Archiv für den Monat: März 2014

Halbwahrheiten bei Twitter oder: Hilfe, schwules Blut!!11!!!!1!

Es gibt so Tweets die hin und wieder in der Twitter-Timeline erscheinen, die einfach nicht totzukriegen sind. Einer davon ist derjenige der sagt, dass Schwule ((und Bisexuelle, also „MSM“)) kein Blut spenden dürften, und dass das ein Skandal sei, und Diskriminierung. Wobei sich die Frage stellt, wie diskriminierend es überhaupt sein kann, kein Blut spenden zu dürfen, zumal mir ein „Recht auf Blutspende“ generell nicht bekannt ist. ((Oder ein Recht auf Samenspende. Oder generell eine Pflicht von irgendwem, irgendetwas anzunehmen, nur weil man es ihm kostenlos geben will))

In diesen Tweets wird stets der Eindruck erweckt, als sei der Ausschluss von MSM von der Blutspende eine homophob motivierte Ungerechtigkeit, und es wird der polemische Vorwurf erhoben, die Gegner der Blutspende durch Schwule hätten wohl Angst vor einer Infektion mit Homosexualität.

So… unglaublich ironisch-sarkastisch-lustig diese Variante der „Strohmann-Argumentation“ scheinbar auch sein mag – es geht bei der (Nicht-)Zulassung von Blutspendern um das durchaus und buchstäblich Tod-ernste Thema der Minimierung des Risikos für eine Infektion mit tödlichen Krankheiten durch verseuchte Blutprodukte. Insofern ist es möglicherweise angebracht kurz nachzudenken, bevor man sich dem vorgeblich hehren Kampf für das „Blutspenden-Recht für Schwule“ anschließt.

Ich habe darum mal recherchiert.

Also: Laut dem epidemiologischen Bulleting zum Thema HIV des Robert Koch Instituts von 2013 gab es in Deutschland Ende 2012 ca. 78.000 HIV Infizierte. Davon sind 15.000 Frauen und 63.000 Männer, 51.000 davon „Männer, die Sex mit Männern haben“ (im Wissenschafts-Jargon kurz MSM), bleiben 12.000 sonstige Männer. Es sind also ca. 80% aller HIV-Infizierten Männer in Deutschland und ca. 2/3 aller HIV-Infizierten in Deutschland überhaupt Männer, die Analsex praktizieren.

Jetzt lässt sich rechnerisch zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Nicht-MSM HIV-infiziert ist, wesentlich geringer ist als die Wahrscheinlichkeit, dass ein MSM HIV-infiziert ist.

Ich will das ganz kurz grob überschlagen: Schätzen wir großzügig dass 15% aller Männer MSM seien, bei ca. 80 Mio. Deutschen wären 15% von ca. 40 Mio. Männern, also 6 Mio. Männer.
Die HIV-Quote unter diesen wäre dann 51.000 / 6 Mio. = 0.85%. Unter den restlichen 74 Mio. Menschen wäre die Quote aber nur 27.000 (15.000 Frauen + 12.000 „sonstige Männer“) / 74 Mio. = 0.0365%, also ca. 23 mal geringer. Manche Studien errechnen auch den Faktor 18; wie auch immer, die Wahrscheinlichkeit dass ein MSM HIV-positiv ist ist ca. 20 mal größer als die dass ein Nicht-MSM HIV-positiv ist. Man redet hier auch von einer 20-mal höheren Prävalenz von HIV bei MSM.

Aber warum könnte das ein Grund sein MSM (und nicht etwa nur „Schwule“, wie auf Twitter suggeriert, siehe auch z.B. den Fragebogen des Blutspendedienstes Hamburg oder den Fragebogen des DRK ) von Blutspenden auszuschließen, wo doch alle Blutspenden mit aufwendigen PCR-Tests auf HIV getestet werden, die sehr sehr zuverlässig sind?

Dafür gibt es wahrscheinlich zwei Gründe:

  1. Die sogenannte „diagnostische Lücke“; diese besteht darin dass ein HIV-Test erst ein paar Wochen nach einer HIV-Infektion anschlägt weil eine bestimmte Viruslast bzw. eine bestimmte Menge von HIV-Antikörpern Voraussetzung für die Funktion dieser Tests ist. Es besteht also die (sehr geringe) Gefahr, dass negativ getestetes Blut doch HIV-positiv ist und infektiös sein kann.
  2. Die Gefahr von HIV-Mutationen, die durch den aktuellen HIV-Antikörper-Test nicht erkannt werden. So eine Mutation soll in der Vergangenheit bereits einmal aufgetreten sein. Ich konnte dazu allerdings bisher keine glaubhafte Quelle finden. Aufgrund der Tatsache dass es verschiedenste Subtypen von HIV-1 und HIV-2 gibt erscheint es aber denkbar dass diese Gefahr existiert, und da ca. 2/3 aller HIV-infizierten MSM sind erscheint es auch denkbar, dass die Gefahr des Entstehens so einer Mutation in dieser Gruppe von HIV-Infizierten besonders hoch sein könnte.

Nun ist die Gefahr für eine HIV-Infektion durch eine Blutspende aufgrund der HIV-Antikörper-Tests und aufgrund der geringen Wahrscheinlichkeit des Entstehens einer neuen HIV-Variante generell extrem gering und wurde 1995 auf 1:1.000.000 geschätzt.

Dennoch wäre das HIV-Infektions-Restrisiko durch falsch negative Tests bei Blut von MSM ca. 20 mal höher als bei Blut von Nicht-MSM.

Dieses Risiko erscheint Medizin und Politik im Verhältnis zur möglichen Erhöhung der Zahl der Blutspender anscheinend als zu hoch. Welcher Politiker würde sich im Falle einer HIV-Infektion durch Blutprodukte schon gern fragen lassen, warum er für eine Ausweitung der Gruppe der möglichen Blutspender um vielleicht 10% eine Erhöhung des Restrisikos um fast 300% ((Wenn 90% der Blutspender keine MSM sind, und 10% MSM mit einem 20-fach erhöhten Risiko, dann ist das Gesamtrisiko im Vergleich zur Gruppe ohne MSM statistisch gesehen um den Faktor (0.9 + 0.1 x 20) = 2,9 erhöht. )) okay fand? Und darum werden MSM als Risikogruppe von Blutspenden ebenso ausgeschlossen, wie Menschen, die vor kurzem im Ausland Sex hatten oder die häufig wechselnde Sexualpartner haben. Weil das Risiko einer Infektion von Blutprodukte-Empfängern soweit wie möglich minimiert werden soll – und das finde ich richtig!

Man muss diese Entscheidung auch vor dem historischen Kontext der Infektion von Blutern durch kontaminierte Blutprodukte sehen, die in Deutschland ein großer Skandal war, und mit Grund war, Risikogruppen von der Blutspende auszuschließen.

Es gibt also sachliche Gründe für den Ausschluss von MSM von der Blutspende. Eine obskure homophobe Nazi-Verschwörung, wie auf Twitter so gern propagiert, gibt es nicht. Sogar die AIDS-Hilfe glaubt, dass der Ausschluss von MSM okay ist.

Ergänzungen:

Ich habe die Frage auf Twitter auch schon öfter diskutiert, dabei wurde die Frage aufgeworfen warum es nicht reicht wenn man die Frage nach häufig wechselnden Sexualpartnern stellt; um die Gefahr durch die diagnostische Lücke auszuschließen müsste es ja auch bei MSM reichen wenn sichergestellt wäre das dieser in den letzten Wochen keinen Sex oder nur Sex mit einem treuen Partner gehabt hat, weil man ja auch bei Heterosexuellen ungeschützten Sex mit einem festen Partner tolieriert.

Anscheinend – sonst müsste man hier ggf. tatsächlich eine Diskriminierung konstatieren – möchte man sich bei MSM nicht auf die Angaben zur Treue des Partners bzw. den anderen Sexualpartnern der jeweiligen Sexualpartner verlassen („hatten sie Sex mit jemandem, der häufig wechselnde Sexualpartner hat“).
Da die Fremdgeherquote unter Männern unabhängig von der sexuellen Orientierung eher hoch zu sein scheint (40-50%, laut Studien) bedeutet das, dass bei MSM die Gefahr einer HIV-Infektion über einen untreuen festen Sexualpartner im Vergleich mit Nicht-MSM um den Prävalenz-Unterschied (ca. Faktor 20) erhöht ist. Dazu kommt dann noch der Unterschied bezüglich der Infektionswahrscheinlichkeit, der bei Analverkehr im Vergleich mit anderem Verkehr erhöht ist.
Die erhöhte Infektionswahrscheinlichkeit aufgrund der Art des Verkehrs (Faktor 10), in Kombination mit der erhöhten Prävalenz von HIV bei MSM (Faktor 20), resultiert bei MSM also in einer (bei passivem Analsex) bis zu 200 mal höheren Infektionswahrscheinlichkeit bei ungeschütztem Sex mit einem untreuen Partner, im Vergleich mit Sex zwischen Nicht-MSM.
Ich weiß, das wollten einige Leute jetzt nicht lesen, weil das auch die Argumentation des LSVD für die Ersetzung der Frage nach MSM durch eine Frage nach „Personen, die ungeschützten Sexualverkehr mit wechselnden Personen“ haben aushebelt. Weil MSM eben — wie gerade vorgerechnet und erläutert — ein höheres Risiko darstellen, wenn sie ungeschützen Sexualverkehr mit einem festen, aber vielleicht untreuen Partner haben, als Heterosexuelle oder Lesben, die ungeschützen Sexualverkehr mit einem festen, aber vielleicht untreuen Partner haben.

Dieser Umstand könnte der Grund sein warum die „Sind sie MSM?“-Frage in den Blutspende-Fragebögen nicht einfach weggelassen und komplett durch die „Haben sie Sex mit häufig wechselnden Sexualpartnern“ / „Haben sie Sex mit jemandem, der häufig wechselnde Sexualpartner hat“-Fragen ersetzt wird, oder durch eine Frage „Haben sie ungeschützten Sex?“, die dann zuviele tendenziell eher ungefährliche monogame Heterosexuelle ausschließen würde.

Das Paul-Ehrlich-Institut hat auf seiner Webseite hier und hier Informationen zum Thema. Hier ist auch von einem 100-fach erhöhten HIV-Restrisiko bei Blutspenden durch MSM die Rede.

Die Antwort auf die Frage, warum MSM kein Blut spenden sollen, lautet also nicht: „Böse Politiker wollen nicht, dass Schwule Blut spenden“. Sondern eher: Politiker oder Gesundheitsexperten oder Betreiber von Blutbanken wollen aus politischen, wissenschaftlichen oder ökonomischen Gründen nicht verantworten, Blutspender zuzulassen, die ein 20-fach oder noch stärker erhöhtes Infektions- Restrisiko darstellen könnten für den Fall, dass Tests falsch negativ sind.

Jetzt gibt es natürlich rechtschaffene Menschen, die seit Jahren monogam leben, die sich als MSM trotz aller statistischen Gründe irgendwie als Individuum diskriminiert fühlen. Weil es ja irgendwie gemein ist, dass die Blutspendedienste nach statistischen Wahrscheinlichkeiten gehen und nicht einfach glauben, dass sie garantiert monogam und treu sind und daher kein erhöhtes Risiko darstellen.

Dann aber sind wir aber bei einer Diskussion darüber, ob es überhaupt zulässig sein sollte, Menschen nach bestimmten Eigenschaften zu kategorisieren, oder ob das allein schon diskriminierend ist.

Ob es z.B. diskriminierend ist, dass junge Männer höhere Beiträge zur KFZ-Versicherung und ältere Männer höhere Beiträge zur privaten Krankenversicherung zahlen.
Oder ob es diskriminierend ist, wenn Stellen bevorzugt mit Frauen besetzt werden.
Oder ob es vielleicht doch nicht diskriminierend ist, wenn man Menschengruppen von der Blutspende ausschließt, die man für stärker Risiko-behaftet hält.

Was heißt „Strukturelle Gewalt“?

Ein Pirat hat für den Landesparteitag der NRW-Piraten einen Antrag zum Beschluss eines Positionspapiers ((Okay, Positionspapiere sind im Zweifel folgenlos und damit die Bits nicht wert, mit denen sie gespeichert werden, aber egal…)) Feminismus und Geschlechtergerechtigkeit eingebracht, dessen erster Satz lautet: Wir stellen fest, dass Frauen noch immer benachteiligt sind und struktureller Gewalt unterliegen.

Okay. Dazu fallen mir zwei Fragen ein. Erstens: Inwiefern sind Frauen noch immer benachteiligt? Und zweitens: Was ist eigentlich „strukturelle Gewalt“ genau?

„Strukturelle Gewalt“ durch den Staat?

Fangen wir mit dem Begriff der „strukturellen Gewalt“ an: Die Wikipedia hat dazu natürlich einen Artikel parat. Dieser ist bezüglich der konkreten Bedeutung des Ausdrucks wenig erhellend, vermerkt aber im Abschnitt Kritik unter anderem: Der Staatsrechtler Josef Isensee sah in der „Lehre von struktureller Gewalt, die von der neomarxistischen Richtung der sog. Friedensforschung vertreten wird“, ein „Legitimationsschema zum Bürgerkrieg gegen das ‚kapitalistische‘ System“:
Das bedeutet: Der Ausdruck „strukturelle Gewalt“ ist kein neutraler Ausdruck, sondern ein Begriff, auf den sich in der Vergangenheit vor allem linksextreme Gruppen bezogen haben um „Gegen“-Gewalt zu rechtfertigen.
Das finde ich problematisch. Die Piratenpartei hat schon genug Probleme mit linksextremistischen Ideologen, die die Demokratie für eine Brückentechnologie halten und die freiheitlich demokratische Grundordnung überwinden wollen. Und dann fällt einem angeblich irgendwie auch liberalen Piraten nix besseres ein als einen schwammigen, linksextremistisch konnotierten Begriff ins Gleichberechtigungsprogramm der NRW-Piraten schreiben zu wollen? Ähh…. SRSLY? ((Ich habe damit natürlich keine Probleme, ich bin ja kein Pirat mehr. Viel Spaß noch da in der linksextremistischen Ecke…))

Und nun zu dem, was mit „strukturelle Gewalt“ gemeint sein könnte, nämlich eine „im System liegende“ Benachteiligung von Frauen. Kurz: Diese vermag ich nicht zu erkennen. Ich finde schlicht keine Hinweise für eine im staatlichen System angelegte Benachteiligung von Frauen. Frauen leben länger, stellen mehr Wähler, haben also die politische Übermacht; Frauen erleiden weniger Arbeitsunfälle, Frauen werden zu kürzeren Haftstrafen verurteilt. Frauen erhalten den gleichen Lohn für gleiche Arbeit (zumindest im Staatsdienst), Frauen bekommen häufiger Abitur oder einen Hochschulabschluss. Es gibt Frauenprofessuren, Frauenförderung etc.. Vom Effekt her und von Recht und Gesetz her scheinen Frauen also eher Vorteile als Nachteile zu haben durch die staatlichen Strukturen.

Also gibt es keine strukturelle Benachteiligung von Frauen, die man durch irgendwelche politischen Maßnahmen verändern könnte, deren Einfluss auf staatliches Handeln und die Gesetze beschränkt ist. Und also auch keine staatliche „strukturelle Gewalt“ gegen Frauen.

„Strukturelle Gewalt“ durch „die Gesellschaft“

Blieben also nur noch etwaige Benachteiligungen, die sich durch das Verhalten der Gesellschaft ergeben könnten, die man als „strukturelle Gewalt“ bezeichnen könnte.
Diese Gewalt ginge dann quasi von „der Gesellschaft“ aus, manifestiert in unzähligen kaum merkbar sexistischen Einzelhandlungen. Die Gesellschaft müsste dann als sexistischer Mob gesehen werden, aus dem heraus die nicht verortbare und darum hilfsweise „strukturell“ genannte „Gewalt“ hineinwirkt in das Leben von Frauen.

Nun ist es aber so: Die verfassungsmäßig garantierten Rechte schließen das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit mit ein, und das umfasst IMHO auch das Recht, ein Arschloch oder eine Spinnerin zu sein, solange das Verhalten nicht justiziabel ist; und Männer als Kindergärtner für ungeeignet zu halten oder Frauen als Konzernlenkerin ist vielleicht falsch, aber auch ((bisher)) kein (Hass-)Verbrechen.

Schwarmsexismus?

Und ich glaube, dass kann auch gar nicht anders sein. Es muss immer auch unangenehme Menschen geben. Denn: Ohne die weniger angenehmen Ränder der Gesellschaft gäbe es auch den sonst doch immer so hoch gehaltenen Pluralismus nicht. Ich finde es gut, dass wir nicht in einer Zukunft wie in „Demolition Man“ leben. Natürlich muss es Grenzen akzeptablen Verhaltens geben, aber diese kann man IMHO nicht so ziehen, dass man die Grenze schon bei dem Verhalten ziehen kann, dass hier als „Partikel“ der sogenannten „strukturellen Gewalt“ gewertet werden soll.
Eine scheinbar organisierte „strukturelle Gewalt“ in die Gesamtheit individuellen Einzelhandelns hineinzuinterpretieren finde ich deshalb unzulässig und falsch. Denn erstens geht es hier nicht um Gewalt, sondern um unpassendes Verhalten. Und zweitens hat eine Art „Schwarmsexismus“, wie man vielleicht passender sagen könnte, wenn man unbedingt Sexismus erkennen will, keine Struktur. „Strukturelle Gewalt“ wäre also eine irreführende Bezeichnung für etwas, was weder Struktur besitzt, noch im eigentlichen Sinne mit Gewalt zu tun hat.

Und auch wenn wir dem Drang nachgeben wollten ein gesellschaftliches Phänomen verbreiteten als unangenehm empfundenen Verhaltens zu „struktureller Gewalt“ zu erklären – was sollte das bringen? Was hat Politik damit zu tun? Was könnte Politik dagegen tun? Umerziehungslager für „geschlechterpolitisch unangepasste Menschen“ organisieren? Oder zehn Wochenstunden „Gender-Benimmunterricht“ in der Schule? Andere tolle Ideen?

Ich fasse zusammen: „Strukturelle Gewalt“ ist eine weitgehend irreführende, inhaltsleere Polit-Phrase, die nichts beschreibt, zumindest nichts, was man irgendwie politisch ändern könnte. Deshalb, und weil der Begriff mit linksextremistischer Gewalt konnotiert ist, würde ich empfehlen, ihn zu streichen.

Piraten? KORSAREN!

Kurz gesagt: Ich halte die Piratenpartei für verloren und plädiere für einen Fork.

Ich weiß, viele Piraten wollen keinen Fork. Aus der Hoffnung heraus, dass es doch noch klappt mit den Piraten, und aus der Angst davor, mit dem Fork könnte es niemals klappen. Allerdings sind Aussagen wie „Noch nie hat in der Vergangenheit (…)“ sinnlos, wie auch xkcd weiß, weil man aus der Vergangenheit nicht auf die Zukunft schließen kann. Eigentlich trivial. Und übrigens, die CDU ist eigentlich eine Art Fork der Zentrumspartei. Es gibt also keinen logischen Grund anzunehmen, ein Partei-Fork hätte aus irgendwelchen Gründen keine Chance. Nur Angst.

Es ist ja auch nicht so, als gäbe es keine Leute für so einen Fork. Seit Mitte 2012 bis Anfang 2014 hat die Piratenpartei mehr als 5.000 Mitglieder verloren, darunter auch viele Altpiraten. Damit kann man mehrere Parteien gründen; die Piratenpartei hatte Ende 2006 nur 360 Mitglieder und Mitte 2009 nur ca. 1000, 5.000 reichen also für knapp 15 Piratenparteien 2006 und ca. 5 Piratenparteien 2009. So … what?

Nun zur Hoffnung, es könnte noch etwas werden mit den Piraten, die einige bei den Piraten hält. Es werde ja bestimmt bald besser.
Hier kommen meiner Meinung nach verschiedene psychologische Effekte ins Spiel, die viele Piraten nicht bemerken lassen, wie sehr sich dieses „wir holen uns die Partei zurück“ und „es wird besser“ nach Durchhalteparolen anhört.
Erstens gibt es natürlich das rechtschaffene Gefühl der Loyalität für seine Partei. Es gehört einiges dazu, bis Menschen sich von einer Partei abwenden. Das ist auch gut so!
Dazu kommt dann allerdings etwas ähnliches wie der „Endowment-Effekt“ (Die Parteimitgliedschaft ist viel wert, WEIL ich dafür ja gezahlt und viel Zeit aufgebracht habe, und weil es deswegen MEINE Partei ist). Und die sogenannte psychologische Konsistenz bzw. kognitive Dissonanz sorgt für eine innere Abwehr des Gedankens, dass man Monate oder Jahre in etwas investiert hat, was sich nicht gelohnt hat. (Niemand, der klug ist, bleibt lange Mitglied in einer desorganisierten Partei die gar nicht seine politische Ideale vertritt. Ich bin klug. Darum KANN meine Partei keine desorganisierte Partei sein, die nicht meine politischen Ideale vertritt.)
Der gleiche Effekt führt auch dazu, dass Menschen Aktien, die gefallen sind, nicht rechtzeitig verkaufen, weil ein Verkauf das Eingeständnis bedeuten würde, ein schlechter Spekulant gewesen zu sein.
Auch Gedanken, dass die Partei ja in der Vergangenheit gute Umfragewerte hatte und darum bestimmt bald wieder haben könnte ((inverser Spieler-Fehlschluss)), oder dass es jetzt erst vielleicht noch etwas schlechter wird, aber dann wieder besser sind Fehlschlüsse. Denn wie gesagt – aus der Vergangenheit kann man nicht auf die Zukunft schließen, so sehr wir uns das auch Wünschen. Ich glaube, die Hoffnung auf eine baldige Rettung der Piratenpartei ist „wishful thinking“ und Selbstbetrug.

Aber denkt selbst! Wie schwer kann es sein, mit ein paar guten Leuten einen Partei-Fork zu machen, mit einer neuen, etwas verbesserten Satzung? Würde das nicht genug Aufmerksamkeit geben? Wie lange würde das dauern? Und wie lange würde es im Vergleich dauern, sämtliche Extremisten aus der Partei rauszuwerfen, die etlichen Fehler der Organisation und der Satzung auszubügeln, und wieviel Zeit und Geld würde das kosten, wieviele Burn-Outs?
Ich denke, die Neugründung einer neuen piratigeren Partei ist viel weniger illusorisch und auf jeden Fall finanziell, zeit-technisch und emotional günstiger als die Rückeroberung der Piratenpartei von fanatischen innerparteilichen Gegnern die keinen Fußbreit auf irgendwen zugehen werden der ihre Positionen nicht übernimmt.

Wer selbst denkt, der sollte sich immer gut überlegen, welche Kämpfe er führen will und welche Kämpfe er lieber auslässt. Wenn das Pferd tot ist, sollte man absteigen, heißt es; sinnvoller aber ist es schon abzusteigen wenn das Pferd sich ein oder zwei Beine gebrochen hat.
Wer sich weiter selbst in die Tasche lügen und mit seinem (metaphorischen) bösen siamesischen Zwilling um die Kontrolle über das verletzte Pferd kämpfen will: Nur zu! Wer aber begreift, dass man als Mensch immer die Möglichkeit hat einen Moment innezuhalten, einen Schritt zurückzutreten, sich selbst zu beobachten, sein eigenes Handeln neu zu bewerten; wer begreift, dass man immer die Möglichkeit hat, sich neu zu entscheiden, neu anzufangen; wer begreift, dass es gerade dieses neu-anfangen-können ist, das Wahlfreiheit und Selbstbestimmung ausmacht, der sollte sich jetzt ernsthaft überlegen warum er sich selbst in diesem bescheuerten innerparteilichen Konflikt mit absonderlichen Menschen aufreiben will anstatt zu sagen: Stopp! Ich suche mir jetzt eine neue Gruppe von Leuten, mit denen ich auf einer Wellenlänge bin, und mache mit denen etwas Neues auf, was wieder Spaß macht.

Nach diesem mehr oder weniger flammenden Appell ((Selbstironie ftw!)) jetzt nochmal zu den Gründen, warum ein Fork richtig ist:

Fünf Punkte, warum ein Fork Sinn ergibt

Nulltens ((für richtige IT-Nerd-Kernpiraten quasi)), weil man das so macht wenn sich ein Projekt zerstritten hat. Weil man es kann. Jedenfalls, wenn genug gute Leute mitziehen. Wofür ich werben möchte.

Erstens wegen des beschissenen Images, das die Piraten sich eingehandelt haben. Ich sagte es bereits in ähnlicher Form: Meiner Meinung nach kann man eine progressive Politik unter dem Label „Piratenpartei“ im Moment in Deutschland genau so gut verkaufen wie Aktien unter dem Namen „Prokon“ oder Last-Minute-Urlaubsreisen auf die Krim … ihr versteht, was ich meine.

Zweitens hat die Piratenpartei ein strukturelles Problem. Wie auch Rick Valkvinge, der Gründer der schwedischen Piratenpartei, in seinem Buch Swarmwise auf Seite 53ff. ausführt, kann eine Partei, die so organisiert ist wie die Piratenpartei, aufgrund des Kommunikationsoverheads nicht richtig funktionieren.
Der Schwarm — so führt Valkfinge aus ;&mdash muss in kleinere Gruppen aufgeteilt werden, damit Kommunikation möglich bleibt. Dieses Prinzip hat die Piratenpartei bei ihrem basisdemokratischen Bundesparteitag völlig in den Wind geschlagen, mit der Folge, dass dieser oft höchst ineffizient und unbefriedigend abgelaufen ist.
Und auch eine partei-globale SMV und ein bundesweites LQFB, wo jeder ständig und im Zusammenwirken mit allen über alles mitentscheiden soll, sind nicht zur Plattform „Mensch“ kompatibel. Menschen sind einfach nicht in der Lage in allzu großen Gruppen effizient zu kommunizieren und zu kooperieren. Der menschliche Geist skaliert nicht. Von daher sind diese Partei-globalen Systeme Ausdruck eines technokratischen Machbarkeitswahns, der nicht akzeptiert, dass Tools für Menschen gemacht sein müssen, sondern fordert, dass die Menschen sich an das Tool anpassen – egal wie kommunikationspsychologisch und HMI-mäßig blödsinnig und over-engineered das Tool auch ist. Und das ist Bullshit und ein Geburtsfehler der Piratenparte.

Ab einer gewissen Gruppengröße funktioniert nur noch „mitlaufen“ effizient — was interessanterweise durch die Idee der „Delegationen“ als Lösung für die praktische Unmöglichkeit der Beschäftigung aller mit allem auch gleich in der Software als Option angeboten wird —, und das ist ja nicht das, was wir uns unter einer Mitmach-Demokratie vorgestellt haben. Hoffe ich. Und daher muss eine piratige Partei die Zusammenarbeit der Mitglieder so organisieren, dass jeweils kleine Gruppen an abgegrenzten Aufgaben arbeiten und nicht jeder für alles und nichts zuständig ist. Alles andere führt zu Verwirrung und zum Gefühl von Kontrollverlust und damit zu schwindendem Engagement.
Wie man gesehen hat, ist auch eine schwache Führung, die eher „Hausmeisteraufgaben“ hat, in der Mediendemokratie eher wenig hilfreich, vor allem wenn die metaphorischen Hausmeister wegsehen, wenn im übertragenen Sinne randaliert und das Haus mit parteischädigenden Parolen beschmiert wird.

Wir brauchen also eine Partei, die vernünftig strukturiert ist und sich effiziente Strukturen gibt. Strukturen, die funktionieren, statt Strukturen, die das utopische Ideal einer Jeder-macht-Alles-Demokratie zu erreichen versuchen. Wir kennen es ja aus unserer arbeitsteiligen Gesellschaft: Du kannst eine super Ärztin sein oder ein super Fliesenleger oder ein großartiger Sänger oder eine klasse Verwaltungsangestellte: Aber alles gleichzeitig geht nicht. Wenn es gut werden soll geht immer nur eine Sache. Vielleicht zwei oder drei. Aber dann ist auch Schluss.

Drittens hat die Piratenpartei ein Problem mit den vielen kontroversen Themen, die teilweise nur knapp entschieden worden sind. BGE und SMV sind die zwei wichtigsten umstrittenen Themen, die die Partei gespalten haben. Bei der SMV existiert ganz klar das Problem, das die freie, geheime Wahl mit Wahlcomputern nicht funktioniert; das ist für Kernpiraten[tm] ein No-Go.
Und beim BGE ist immerhin umstritten, ob das funktionieren kann. Hier hätte man, um eine Spaltung zu verhindern, vielleicht statt einer Grundsatzentscheidung eine Entscheidung für eine Erprobung, möglicherweise zeitlich und räumlich beschränkt, fällen können. Das Zusammenleben in einer Partei erfordert auch immer eine gewisse Kompromissbereitschaft. Was nützt ein knapper programmatischer Sieg in einer winzigen Partei, wenn dieser innerparteiliche Sieg dazu führt, dass die Partei als ganzes geschwächt wird?

Viertens hat die Piratenpartei ein Problem mit, ‚tschuldigung, Fanatikern, als da wären:
– Westentaschen-Stalinisten, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung überwinden wollen. Denn die ist ja an allem Schuld!!!1!!! (Kann man sich nicht ausdenken, sowas)
– Genderfeminist*_Innen, die felsenfest an eine frauenunterdrückende Weltverschwörung[tm] glauben. Die daran glauben, dass heutige Frauen nicht selbständig und klug genug sind um selbst über ihren eigenen Lebensweg zu entscheiden, und darum durch eine wohlmeinende genderfeministische Bürokratie und Quoten sanft in die richtige Richtung gelenkt werden müssen, bis sie endlich genau so handeln wie Männer. Und die häufig irgendwas mit Medien machen((frauentypisch, jaja…)) und/oder im öffentlichen Dienst arbeiten, aber fordern, *andere* Frauen sollten doch gefälligst mehr MINT-Fächer studieren und in der Wirtschaft Karriere machen.
Und dann, zu guter letzt, gibt’s noch
– Extremistisch-libertäre Anarcho-Kapitalisten die der Meinung sind, wenn man alles privatisiere werde schon alles gut werden. Es wäre doch okay wenn Privatpersonen oder Firmen natürliche Ressourcen verwalten oder die Haftung für ein Atomkraftwerk übernehmen würden, denn welche Privatperson oder Firma würde schon einen Bach vergiften oder ein Atomkraftwerk schlecht warten? Natürlich niemand!!!!1!!!1! ((eXXon lässt grüßen. Und Tepco. Und die Mafia. Und …))
Diese Leute muss man alle loswerden. Und das geht mit PAVs so gut wie gar nicht, aber ziemlich einfach mit einem Fork: Man nimmt sie einfach nicht mehr in die neue Partei auf. Ganz einfache Sache.

Was genau schief gelaufen ist

Die Piratenpartei war mal eine Nerd-Partei, eine progressive Partei, eine im wahrsten Sinne des Wortes liberale Partei, eine tolerante Partei.
Eine Partei, die aufgrund ihrer Naivität, die sich z.B. im Motto „Themen statt Köpfe“ ausdrückte, ebenso sympathisch wie leider auch hilflos war.

Hilflos gegenüber der Unterwanderung durch Köpfe, die nur ihr eigenes Thema kennen. DogmatikerInnen, FanatikerInnen, IdeologInnen.

Leute, die unter anderem das auf individuelle Wahlfreiheit und Eigenverantwortung zielende Konzept des Post-Gender ersetzt haben durch die die Ideologie des Gender-Feminismus, der erstmal alle menschlichen Eigenschaften und alle Menschen in die Kategorien „männlich und weiblich konnotiert“ einordnet, auf diesen Kategorien basierend Quoten verhängen will und dann noch behauptet, die Kategorie „Geschlecht“ ja eigentlich überwinden zu wollen.

Leute, die Toleranz ersetzt haben durch die rücksichtslose Durchsetzung kleinlicher Sprachregelungen, die vorgeblich gegen Diskriminierung und jeglichen *ismus gerichtet sind, aber im Endeffekt alle diskriminieren, die diese Sprachregelungen nicht kennen oder verstehen.
Die angeblich gesellschaftliche Verhältnisse und Herrschaftswissen de-konstruieren wollen, aber selbst durch ihre Spezial-Sprache Herrschaftswissen konstruieren.
Leute, die für gewaltfreie und einfache Sprache werben, aber verbale Gewalt in Form komplexer Sprachkonstrukte gegen alle einsetzen, die sich (scheinbar) gegen sie stellen.

Der dogmatisch motivierten Rücksichtslosigkeit dieser „Awareness-Kämpfer“ fallen dann alle zu Opfer, die zu jung, zu wenig gebildet, zu unbedarft, zu nerdig oder zu beschäftigt sind um sich in den Elfenbeinturm-Slang dieser politischen Sprachpolizei hineinzudenken, die selbst jegliche Awareness dafür vermissen lässt, dass ihre ganzen sprachlichen Verrenkungen im Alltag völlig inpraktikabel sind.

Auf der Strecke bleibt der freie Gedankenaustausch, der Fluss der Ideen, und das konstruktive Arbeiten an Inhalten, weil die Fanatiker die Form des Gesagten über den Inhalt stellen, bzw. lieber bösartig mögliche Fehlinterpretationen suchen und anprangern als wohlmeinend den gemeinten Kern einer Aussage zu erschließen und zu bedenken.

Auf der Strecke bleiben auch wahre Toleranz und gegenseitiger Respekt, die sich eben nicht dadurch ausdrückt, dass man andere bekämpft und beschimpft, sondern darin, dass man andere Meinungen respektvoll anhört, seine eigene Meinung höflich darlegt, und sich gegebenenfalls ebenso beharrlich wie zurückhaltend abgrenzt wenn jemand totalen Bullshit erzählt; aber erst nachdem man mögliche Missverständnisse durch freundliche Nachfrage ausgeschlossen hat.

Wie auch immer, die politische Kultur in der Piratenpartei hat sich in Richtung von Krawall und Streit entwickelt, nicht in Richtung eines einigermaßen gepflegten Diskurses unter Ladies & Gentlemen.
Das liegt auch daran, dass die „Partei-Hausmeister“ nie klargemacht haben, dass auch an Bord eines Piratenschiffes ((nautische Metaphern ftw!)) gewisse Regeln gelten, und nicht frühzeitig und eindeutig genug ein paar Leute kielgeholt oder über die Planke geschickt haben.

Diese ganzen negativen Effekte möchte ich in einer piratigen Partei, hinter der ich mit gutem Gewissen und vollem Einsatz stehen kann, nicht haben.

Zurück in die Zukunft

Ich will aber die Idee einer Partei, die sich für individuelle Freiheit, Lebens-Chancen für alle, Transparenz in der öffentlichen Verwaltung, ein solidarisches Zusammenleben aller in Frieden, Freiheit, aber auch Wettbewerb einsetzt, nicht aufgeben. Dafür wird so eine Partei einfach zu dringend gebraucht!
Es sollte eine Partei sein, die pragmatisch nach politisch durchsetzbaren Lösungen sucht und diese Schritt für Schritt, nach Priorität und Machbarkeit, umzusetzen versucht, anstatt dutzende Baustellen gleichzeitig aufzureißen und darüber sogar die Deutungshoheit über die eigenen Kernthemen zu verlieren.

Ich will eine solide organisierte Partei mit funktionierenden Abwehr-Mechanismen gegen Extremisten, egal ob diese jetzt glücklich sind mit der Bezeichnung „Extremisten“ oder nicht, und egal ob sie ihre jeweilige total gut gemeinte / naive / irrationale / menschenverachtende Ideologie für rechts oder links oder progressiv oder anarchistisch oder wissenschaftlich fundiert oder gar Gottes Willen halten.
Wer die freiheitliche demokratische Grundordnung überwinden oder den Staat abschaffen und hunderte Jahre Evolution hin zu Gewaltenteilung, Rechtsstaat, Anti-Kartell-Gesetzgebung, Umweltschutz etc. in die Tonne kloppen will, mit dem möchte ich nicht in der selben Partei sein!

Und darum möchte ich eine neue, piratige Partei, die die Geburtsfehler der Piratenpartei vermeidet, Demokratie und Rechtsstaat konsequent verteidigt, die innerparteiliche Debatte frei, offen und respektvoll hält, und dazu persönliche Daten schützt.
Für die Verbesserung der Gesprächskultur und der Fairness innerhalb der Partei wünsche ich mir, dass Debatten eher partei-intern stattfinden und nicht jede Äußerung geloggt und gestreamt (und fehlinterpretiert und zerrissen und auf Popcornpiraten oder Pranger-Blogs veröffentlicht) wird.

Partei-Angelegenheiten sind für mich erstmal privat, und keine öffentlichen Angelegenheiten, denn Basis-Mitglieder haben keine Funktion, und werden nicht bezahlt. Erst auf einem Level, wo Politik professionell wird (z.B. in gewählten öffentlichen Gremien, wo Gehalt oder Aufwandsentschädigung gezahlt wird) halte ich es für richtig und sinnvoll, durch Veröffentlichung auch von Debatten für Transparenz zu sorgen.

Internet-Partei zu sein ist ein schöner Anspruch, aber das bedeutet meiner Meinung nach nicht, dass man sich auf die Nutzung von Diensten einlassen muss die weder designt noch geeignet sind um effizient verteilt Politik zu machen. Twitter und Facebook sind IMHO eher PR-Instrumente, keine Diskussionsplattformen. Und auch riesige Mailinglisten oder LQFBs mit tausenden Teilnehmern sind ineffiziente Kommunikationsmittel; Debatten müssen in kleineren Gruppen geführt werden (hier sei nochmal auf Rick Valkvinges Buch verwiesen, siehe oben), deren Ergebnisse dann systematisch aggregiert werden. Das es manchmal sinnvoll ist Aufgaben an eher kleine Gruppen zu geben hat ja sogar die Piratenpartei letztendlich eingesehen, indem sie die Themenbeauftragten eingeführt hat.

Ich will eine Partei, die vor allem auch funktioniert. Denn wenn etwas funktioniert, dann macht es auch Spaß daran mitzuwirken, und während meiner Mitgliedschaft in der Piratenpartei war der Spaßfaktor dann doch eher begrenzt.
Die Piratenpartei funktioniert auf so vielen Ebenen auf so viele Weisen nicht, und es sind schon so viele Pflöcke eingeschlagen und so viele Designfehler gemacht worden, dass man sehr vieles umbauen müsste.
Das aber werden diejenigen verhindern, die mit viel Mühe irgendwelche Positionen besetzt, Programmpunkte durchgesetzt und Siege errungen haben, die bei einem Neustart wieder zur Disposition stünden. Und darum glaube ich, dass wir eine neue, piratige Partei „from scratch“ aufbauen müssen. Die Piratenpartei war der Prototyp, jetzt könnten wir etwas ausgereiftes auf die Beine stellen, wenn es uns gelingt, genug von der Erfahrung der Piratenpartei, am besten in Form erfahrener Piraten, mitzunehmen.

Um dem Kind einen Namen zu geben will ich einfach mal von den „KORSAREN“ sprechen. Das klingt piratig und soll die Nähe zu den „wahren piratigen Werten“ symbolisieren, soll aber auch ausdrücken, dass diese Partei im Gegensatz zu den freidrehenden Rändern der Piratenpartei auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht, so wie Korsaren im Gegensatz zu Piraten immerhin eine Legitimation in Form eines Kaperbriefs besessen haben, und auf dem Boden des Völkerrechts standen. Abgesehen davon sind Korsaren schneller als Piraten.
In diesem Sinne: Es würde mich freuen wenn sich enttäuschte Ex-Piraten nicht in alle Winde zerstreuten, sondern zusammenrotteten, in einer piratigen Partei die auf wundersame Weise originaler ist als das „Original“.

Etwaige Emails oder Nachrichten werden vertraulich behandelt.

Die „Piratenpartei“ ist tot! Es lebe die Piratenpartei Partei der Piraten!

Die „Piratenpartei“ ist – meiner Meinung nach schon seit einiger Zeit, aber spätestens jetzt – als „Marke“ verbrannt. Auch die #mk14 hat außer Lippenbekenntnissen zu einer Satzung, an die sich niemand hält, nichts gebracht.

So wie auch andere Parteien wie z.B. die FDP ihre Marke durch Beliebigkeit, Inkonsequenz und taktische Spielereien ruiniert haben, hat auch die „Marke Piratenpartei“ durch die vielen Unglaublichkeiten der letzten Wochen, Monate und ggf. Jahre irreparabel Schaden genommen. Der Fisch stinkt — wie so oft — auch hier vom Kopf her, aber die vielen engagierten Piraten an der Basis können nicht ändern, dass das Image einer Partei von ihrem Spitzenpersonal her rührt, und das Spitzenpersonal der Piraten ist leider in den letzten Wochen, Monaten und Jahren nur spitze im Produzieren von #Gates bzw. peinlichen Medien-Pannen.

Die emanzipatorischen, bürgerrechtlichen, sozialen, liberalen, freiheitlichen Ideen für die das Label „Piratenpartei“ einst (2009?) stand, haben es schon schwer genug in Deutschland. Das bedeutet: Wer diese Ideen politisch durchsetzen will, kann sich keine zusätzliche Hypothek in Form des Namens „Piratenpartei“ mit den ganzen negativen Assoziationen die da mittlerweile dran kleben, leisten. Wann hast Du, lieber Leser, das letzte Mal Zustimmung erfahren, als Du mit Außenstehenden darüber gesprochen hast, dass Du Pirat bist?

Lohnt es sich wirklich, sich mit den Linksradikalen, die die Partei unterwandert haben, um eine zunehmend leere Hülle zu streiten? Nur wegen des mittlerweile wertlosen Namens „Piratenpartei“? Ein Name, der in den Ohren des normalen Wählers als Name für eine Partei mittlerweile so gut klingt wie z.B. Contergan für ein Schmerzmittel oder Lehman Brothers für eine Bank? Ich glaube nicht.

Es ist politisch sinnlos aus einer Art von Nostalgie heraus (wegen der guten alten Zeiten!) wehmütig an der „Piratenpartei“ festzuhalten, als hätte der Name irgendeine magische Bedeutung und müsste darum um jeden Preis für die „gute Sache“[tm] zurückerobert werden.

Diese positive, verteidigenswerte Bedeutung hat dieser Name nur noch in
den Köpfen weniger richtiger Kernpiraten[tm]. Auch wenn das ggf. unsere Köpfe sind müssen wir uns damit abfinden dass dieser Name gegen unseren Willen neu geprägt („re-framed“) worden ist und jetzt primär für inkonsistenten, widersinnigen, linksradikalen Bullshit steht. So wie z.B. auch das Wort „neoliberal“ mal eine positive Bedeutung hatte, die aber jetzt niemanden mehr interessiert. Weil es SPD und Die Linke gelungen ist das Wort so umzudeuten dass es jetzt quasi ein Synonym für Raubtier- und Manchester-Kapitalismus, Ausbeutung und Betrug ist.

Wir müssen die Worthülse „Piratenpartei“ mental loslassen und wieder an die Inhalte denken, die wir unter diesem vergifteten Namen in Deutschland zumindest in den nächsten, so entscheidenden Jahren, niemals würden durchsetzen können.

Ich halte es darum für klug den Linksradikalen das leckgeschlagene und brennende Schiff (nautische Metaphern ftw!) namens Piratenpartei zu überlassen (damit sie damit an den nächsten Klippen auf Grund laufen können) und selbst ein neues Schiff auf Kiel zu legen.

Denn: Wir haben schlicht keine Zeit, die Piratenpartei zu debuggen und alle Bugs zu patchen. Wir würden bis 2017 unter dem Sperrfeuer der innerparteilichen Gegner nie damit fertig! Wir müssen die erste Implementierung wegwerfen, die Architektur geradeziehen, und die Partei neu aufsetzen!
Wir brauchen eine funktionierende innerparteiliche Demokratie – ich schlage vor, ein Delegiertensystem mit der Möglichkeit von Urwahlen.
Wir brauchen funktionierende Abwehrmechanismen gegen Radikale U-Boote – ich plädiere für eine Mitgliedschaft auf Probe, reguläre Mitgliedschaft nur bei Aktivität, „Bewerber-Grillen“ statt „Kandidaten-Grillen“.
Wir brauchen eine verbindliche Kernthemen-Agenda, und feste Positionen oder eine Vereinbarung über die explizite Nicht-Behandlung in Bezug auf Streit-Themen die die Partei wieder spalten könnten.

Es ist sicher nicht an mir als unbekannter Basispirat dieses Vorhaben zu treiben, aber ich würde mich freuen ggf. zu helfen, denn auch wenn ich kein Pirat mehr bin liegen mir die liberalen piratigen Ideen, Schutz privater Daten, Transparenz öffentlicher Daten, „Fair Use“, sinnvolle Fristen und faire Beteiligung von Urhebern im Urheberrecht, ein verständliches und faires Rechts- und Patent-System sehr am Herzen.

Die Piratenpartei ist tot – es lebe die „Partei der Piraten“! :-)

p.s.: Für die, die das schon mal gelesen haben: Ich habe diesen Blogpost teilweise aus einer Mail abgeschrieben. Aus einer Mail von mir.

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