Archiv für den Monat: März 2013

Die #piratinnenkon und die Mikrofone des Patriarchats

Der Piratinnenkon stehe ich skeptisch gegenüber.

Denn der Podcast (Direktlink) der Organisatorinnen zum Zwischenstand bereitet mir ein paar Bauchschmerzen.

Vor allem von Minute 15:10 bis ca. 15:40, wo Organisatorin Ursula behauptet dass „Mikrofone [auf dem Bundesparteitag] auf die Frequenzen von Männerstimmen“ eingestellt seien. Die Mikrofone, so führt sie weiter aus, führten dazu dass Frauen „kreischig“ klängen.

Mal angenommen das wäre wahr, dann wäre das natürlich ein Skandal, denn das würde bedeuten dass Frauen die sich politisch engagieren oder aus beruflichen Gründen vor Menschen sprechen müssen durch die Tontechnik diskriminiert und quasi lächerlich gemacht würden.
Und mal angenommen das wäre nicht wahr, dann wäre es ein Skandal dass die Piratenpartei auf Parteikosten Frauen einen Piraten-Kongress organisieren lässt die eine frauenfeindliche Polit-Verschwörung des „ton-“ bzw. „veranstaltungstechnisch-saalvermietenden Komplexes“ wittern wo keine solche existiert, denn das würde bedeuten dass dieser Kongress von Menschen organisiert wird deren Weltsicht nicht erwarten lässt dass dabei Ergebnisse herauskommen die irgendwie geeignet sind als Positionen der Piratenpartei als ganzes angenommen zu werden, was wiederum bedeuten würde das das dafür bereitgestellte Geld zum Fenster rausgeschmissen wäre.

Da ich Mitgliedern meiner eigenen Partei nicht (unnötig) in den Rücken fallen will und ich auch den Gegnern der Piratenpartei bzw. den Popcornpiraten keine Munition liefern möchte indem ich innerparteiliche Konflikte schüre habe ich so gut ich konnte recherchiert.

Die Frage lautet: Sind Mikrofone auf „männliche“/tiefe Stimmen/Frequenzen voreingestellt und lassen „weibliche“/hohe Stimmen „kreischig“ klingen?

Mal sehen was die Wikipedia uns über die Stimme sagt:
Der Frequenzumfang der menschlichen Stimme reicht eigentlich nur von ca. 70Hz bis maximal ca. 1kHz.
Es gibt natürlich noch Obertöne, aber für Sprachverständlichkeit reicht auch Telefonqualität mit einer Auflösung bis nur 4kHz bei einer Abtastrate von 8kHz locker aus, d.h. die für das Sprachverständnis bzw. die Sprechstimme wichtigen Frequenzen liegen im Bereich von ca. 70Hz bis ca. 4kHz.

Um eine (hohe, Frauen-)Stimme kreischig zu machen müssten also Frequenzen in diesem Bereich oder höheren Bereichen verstärkt oder hinzugefügt oder verzerrt werden. Hinzufügen bzw. verzerren/verschieben geht natürlich ohne digitales Effektgerät nicht (und solche sind in üblicher Veranstaltungstechnik nicht verbaut), der „Kreisch“-Effekt müsste also auf der übermäßigen Verstärkung von hohen Frequenzen basieren die in Männer-Stimmen gar nicht oder erheblich weniger vorkommen. Was übrigens ein Abgrenzungsproblem wäre weil „Frauen-Stimmen“ im Schnitt nur ca. 1 Oktave höher klingen als „Männer-Stimmen“. Das bedeutet dass man in den Kennlinien von Mikrophonen die hohe Stimm-Anteile überverstärken auffällige Spitzen oder zumindest eine Betonung der Höhen sehen müsste.

Ich habe mir mal ein paar Kennlinien von zufällig zusammengegoogleten Mikrofonen angesehen (AKG, Neumann- und Shure-Mikrofon), und eigentlich alle haben von ca. 150Hz bis ca. 5kHz einen recht linearen Frequenzgang (die besseren sogar weit darüber hinaus), darunter und darüber werden Töne nicht etwa verstärkt, sondern eher gedämpft. D.h. diese Mikrofone verstärken keine „typischen Frauenfrequenzen“, die Stimme kann nur gedämpft oder weniger voll klingen wenn sie den linearen Bereich verlässt.
Interessanterweise bot AKG ein Mikrofon speziell für Frauen an, das „Elle C“. Und was machte es? Es hob die Frequenzen um 7kHz an. Das heißt also: Wenn die Obertöne/hohen Frequenzen der Stimme verstärkt werden, dann führt das anscheinend nicht zu „Kreischigkeit“, sondern zu einer „präsenteren“ Stimme.

Daher kann „Kreischigkeit“ hoher Stimmen allen zusammengetragenen Fakten nach nicht von Mikrophonen kommen. Wenn Stimmen „kreischig“ sind, dann höchstwahrscheinlich weil sie von Natur aus kreischig sind. Das hat nichts mit Mikrophonen oder Verstärkern oder Equalizern (die es in Konferenzräumen sowieso kaum gibt) zu tun, sondern mit dem Individuum das die Stimme besitzt und nutzt.

Auch Google will die Existenz der mikrofonbasierten Hochstimmendiskriminierung partout nicht bestätigen. Man findet keine Treffer wo sich Menschen mit hohen Stimmen über Soundanlagen beschweren. Es finden sich allerdings zahlreiche Angebote von Sprach- und GesangstrainerInnen Menschen zu trainieren weniger kreischig zu klingen. Das Problem gibt es also, es hat aber nichts mit der Tontechnik zu tun, sondern mit ungeübten oder unsicheren Sprecherinnen und Sprechern.

Das bedeutet also dass unter den Organisatorinnen der PiratinnenKon tatsächlich Menschen sind die individuelle Stimmprobleme nicht als Stimmprobleme zu akzeptieren in der Lage sind und diese statt dessen „Externalisieren“ und „patriarchaler Tontechnik“ anlasten. Und das ist radikalfeministischer Verschwörungsquatsch.

Das bedeutet dass Radikalfeministinnen die PiratinnenKon organisieren, und das bedeutet dass das Ergebnis nachher sowieso lauten wird dass Frauen in Deutschland schwerstens diskriminiert werden (jetzt auch durch die patriarchale Tontechnik!), und dass die Piratenpartei jetzt dringend „yet another Quotenpartei“ werden muss.

Wobei man vielleicht wissen sollte wie super das Gender-Thema z.B. die feministische Partei „die Frauen“ trägt. Die Partei „die Frauen“? Kennen sie gar nicht? Genau.

p.s.: Ich habe in mehreren Jahren „Bürgerfunk“, in meinem Beruf und auf dutzenden von Kongressen niemals erlebt das eine hohe Stimme von einer Mikrophon-/Verstärkeranlage „kreischig“ gemacht worden wäre, und auch Tontechniker haben mir bestätigt dass das nicht möglich ist.
Der Grund dafür dass man seine eigene Stimme tiefer hört als sie andere Menschen hören ist übrigens die Knochenleitung

Update: Ich bin gerade dabei die Veranstaltungstechnik der Orte der letzten BPTs anzuschreiben um herauszufinden welche Mikrofone, Mischpulte, Equalizer und Verstärker dort im Einsatz waren und welche Abmischung daraus resultiert haben kann. Möglicherweise lobe ich einen Preis aus für die Einsendung eines Equalizer-Presets dass ein Sample einer nicht-kreischigen Frauenstimme kreischig machen kann.
Update 2: Ich habe den Namen von Organisatorin Ursula des Nachnamens beraubt weil es unnötig ist eine Person stellvertretend für alle anderen mit vollem Namen zu benennen und weil ich so Internet-Pranger-mäßige Verknüpfung von Namen und Positionen die die betroffenen später vielleicht selbst nicht mehr nachvollziehen können scheiße finde. Wer’s unbedingt wissen will wie die gute Frau genau heißt kann ja nachrecherchieren.
Update 3: Ich habe auf Twitter noch ein paar Threads gelesen in denen der Einfluss von Lautsprechern und Raumakustik auf „Kreischigkeit“ diskutiert wurde. Das möchte ich der Vollständigkeit halber erwähnen. Möglicherweise sind also die ArchitektInnen die wahren Agenten des Patiarchats die akustisch gesehen frauenfeindliche Hallen bauen.
Allerdings sollte sich diese Theorie auch leicht überprüfen lassen, denn Lautsprecher und Raumakustik kommen nur „vor Ort“ zum Tragen. Im Stream ins Internet, den es ja von den letzten BPTs als Aufzeichnung geben sollte, also vor der Ausgabe in einen Raum per Lautsprecher, also nicht. Es wäre deshalb interessant zu wissen ob auch die Streams von der „Kreischigkeit“ betroffen sind. Das würde die Raumakustik und Lautsprecher als Ursache ausschließen. Da bisher keine Unterschiede beobachtet wurde glaube ich darum nicht an die Lautsprecher-Raumakustik-Theorie. Zumal ja die Kreischigkeit, trotz unterschiedlicher Veranstaltungsorte, angeblich immer stattfindet.

Die Tontechniker Thomas und Tim haben mir geschrieben. Unter anderem, dass die Frequenzen unter 500Hz für das Sprachverständnis nicht so wichtig seinen (kann man wegmachen, Tiefpass-Filter), dass die wichtigsten Frequenzen um 1 kHz liegen, und dass man die Frequenzen zwischen 1.5 und 3 kHz etwas verstärken kann damit die Stimme „fetter“ klingt. Einer von ihnen fand meine lapidare Erwähnung der Obertöne bzw. Frequenzen von 1kHz bis 10kHz im Nebensatz latent irreführend, darum also hier explizit: Die sind auch wichtig! – zumindest für Tontechniker. Dennoch ist anscheinend richtig dass die Frequenzen von 500Hz bis 4kHz für Sprachverständnis reichen. Einer von ihnen gab zu bedenken dass man natürlich mit einem Equalizer die Mikrophon-Anlage für bestimmte Stimmen optimieren kann und dann die anderen Stimmen im Vergleich weniger gut klingen, und das bei einer Fehlbedienung der Tontechnik schlimme Dinge mit Stimmen passieren können, im Extremfall möglicherweise auch „Kreischigkeit“. Aber keiner von beiden konnte bestätigen dass Mikrophone per default für Männer eingestellt seien, und beide behaupten dass Tontechniker (die wir ja bei der Piratenpartei bei den BPTs auch haben) Mikrophone natürlich so einstellen dass jeder und jede optimal klingt. Von daher bleibt der Artikel IMHO von der Grundaussage richtig.

Die Piratenpartei die ich meine

Für mich war die Piratenpartei die Partei, die evidenz-basierte Politik machen wollte. Die Partei mit den Kernthemen Datenschutz und digitale Freiheit.

Leider ist sie im Moment nicht in der besten Verfassung, und das hat IMHO folgende Gründe:

  1. „Themen statt Köpfe“ funktioniert nicht. Die Medien berichten über Köpfe, denn die Leute merken sich Köpfe tausend mal besser als Themen. Über Themen kann man keine Home-Stories schreiben, sie tragen keine Sandalen oder Kleider und man kann sie nicht als möglicherweise faule Beamte, irre Faulenzer oder durch eine Jugend in der Nähe vom Tschernobyl geschädigte Ladies darstellen. Alle die jetzt wissen auf wen ich anspiele sollten realisieren: Köpfe sind der Schlüssel zur Aufmerksamkeit. Themen sind zwar das eigentlich wichtige, aber die Menschen merken sich nur Köpfe. Darum bauen die „Altparteien“ gezielt Köpfe als „Experten für irgendwas“ auf; wer kennt z.B. den Gesundheitsexperten der SPD mit der Fliege nicht? Und wer kennt das SPD-Programm zur Gesundheitspolitik? Na? Also! Wenn wir evidenzbasierte Politik machen wollen müssen wir auch in Bezug auf die Art und Weise wie Politik funktioniert die Faktenlage anerkennen: Themen gehen nur mit Köpfen. Und Köpfe, man sieht es an Angela Merkels Popularität, gehen notfalls auch ohne Themen. Das Dogma „Themen statt Köpfe“ gehört sofort durch „Themen und Köpfe“ ersetzt.
  2. Basisdemokratie funktioniert nicht. Zumindest früher waren doch viele Piraten aus der IT. ITlern müsste doch einleuchten dass „divide & conquer“ bzw. Parallelsierung ein besserer Algorithmus ist als single-threaded alles linear durchzuarbeiten wie bei einem basisdemokratischen Bundesparteitag. Und darum müsste es auch einleuchten warum eine hierarchische parallele Struktur von Parteitagen wo Beschlüsse erst auf Bezirksebene, dann auf Landesebene und dann auf Bundesebene beschlossen werden bis sie Beschlusslage werden effizienter ist als eine Struktur wo jeder auf dem Bundesparteitag ohne nennenswerte Vorbereitung beliebige Anträge stellen kann. Denn bei der mehrstufigen Hierarchie werden die dämlichsten Anträge schon auf der Bezirksebene rausgefiltert und die guten Anträge schon auf Landesebene einigermaßen perfektioniert; auf dem Bundesparteitag bleibt dann Zeit für Finetuning; zumindest machen sich andere Parteien nicht lächerlich indem sie auf einem Bundesparteitag dreimal über den gleichen Antrag abstimmen und ihn dann wegen einer Formulierung ablehnen.
    Wenn wir die Partei sind die evidenzbasierte Politik macht, dann sollten wir nicht unsere Augen verschließen vor der Ineffizienz der Basisdemokratie und vor der Überlegenheit mehrstufiger parallelisierter Verfahren. Auch internetbasiertes Abstimmen beseitigt übrigens nicht das Problem mangelnder Parallelisierung. Auch im LQFB gibt es nur eine Ebene auf der zu viele Anträge auf einmal eingestellt werden als dass sie der durchschnittliche Basispirat alle angucken könnte, so dass nur noch Anträge Beachtung finden die von irgendwelchen „Elitepiraten“ per Twitter etc. gepusht werden. Und das bringt mich zum nächsten Punkt:
  3. Das Delegiertensystem ist nicht böse, sondern es führt dazu dass die wirklich Engagierten zu Delegierten bestimmt werden. Wir lügen uns in die eigene Tasche wenn wir glauben dass es bei uns Piraten im Moment anders liefe als bei anderen Parteien: Unsere „Funktionäre“ heißen zwar nicht so, aber es sind genau wie bei anderen Parteien diejenigen die am meisten von ihrer Lebenszeit in die Partei stecken. Auch bei uns gibt es eine Elite der Gewählten und der Bekannten die die Multiplikatoren und Meinungsführer sind. Wir haben zwar kein Delegiertensystem, aber dennoch haben wir nur ca. 5% hochaktiver Mitglieder, man sieht es im LQFB und bei den Stammtischen. Diese hochaktiven Mitglieder wären in einem Delegiertensytem die Delegierten und würden den Kurs der Partei genau so bestimmen wie sie es jetzt bereits tun. Die Ablehnung des Delegiertensytems entspringt dem nachvollziehbaren Wunsch nach „sozialer Durchlässigkeit“ der Parteistrukturen. Sie entspricht auch dem Unbehagen gegen das „Hochdienen“ in einer Parteihierarchie und dem Unbehagen gegen das Gefühl als Basismitglied weitgehend ohne Einfluss zu sein. Aber gegen die soziale Durchlässigkeit spricht auch der Wunsch der Parteibasis dass Führungspersönlichkeiten sich verlässlich für die Werte der Partei einsetzen sollen. Die Basis will – Köpfe statt Themen – die Menschen an der Spitze kennen und ihnen vertrauen können. Die Basis will die Schlömer-vs-Ponader-Show nicht noch einmal erleben, aber viele wollen sich auch die Illusion erhalten sei könnten – wenn sie sich die Zeit nähmen ein paar Emails zu schreiben – schon beim nächsten BPT der nächste Schlömer oder Ponader werden. Ich schreibe Illusion weil das natürlich keine realistische Vorstellung ist. Man wird in der realen Welt nicht einmal Kreisvorsitzender ohne sich lange und viel darauf vorzubereiten, mit Menschen zu reden und für sich selbst Werbung zu machen.Die Piratenpartei befindet sich meiner Meinung nach in dem schmerzhaften Prozess des Erwachsenwerdens in Zuge dessen man realisieren muss dass man im Leben nicht alles haben kann. Wenn wir als Partei erfolgreich sein wollen müssen wir uns von dem unrealistischen Wunsch verabschieden die Quadratur des Kreises der innerparteilichen Demokratie zu lösen. Akzeptieren wir doch die Lehren der Geschichte, dass nämlich Organsiationen die irgendetwas auf die Beine stellen wollen Hierarchien brauchen. In seltenen Fällen können basisdemokratische Vereinigungen irgendwelche Dinge durch Massenproteste (zeitweise) verhindern oder sogar Regime stürzen, aber konstruktiv etwas aufzubauen gelingt nur mit einer Hierarchie. Oder hat irgendwer nach der Wende in der DDR wieder etwas vom „Neuen Forum“ gehört, dessen heutiges inhaltliches Profil übrigens ungefähr genau so lautet wie die „progressiven Linken“ bei den Piraten die Piraten haben wollen?
  4. Wahlcomputer funktionieren nicht. Und mit LQFB sind manche Piraten im Begriff die Historie der Parteiendemokratie um einen weiteren Kardinalfehler zu bereichern. Ich weiß wirklich nicht warum vordergründig doch recht intelligente Menschen nicht einsehen wollen dass Wahlen per Computer entweder „nicht frei und geheim“ oder manipulierbar sind. Je mehr Aufwand getrieben wird um die Manipulierbarkeit zu verringern, desto größer wird sie paradoxerweise. Denn ohne die Analyse der „ultimativ sicheren Wahl-Blackbox“ und des „ultimativ sicheren asymmetrischen Verschlüsselungsverfahrens“ kann niemand garantieren dass nicht irgendjemand Kluges eine Möglichkeit gefunden hat bestimmte Eigenschaften auszunutzen um nur bestimmte Stimmen zu zählen oder ein Ergebnis einzuschleusen.
    Das analoge „Zettel, Stift, Urne“-Verfahren hingegen ist so einfach dass es jeder versteht. Es versteht sogar jeder die möglichen Schwachstellen, z.B. eine Verschwörung der Wahlkommission, oder die Ermittlung von Wählern über Fingerabdrücke oder DNS-Spuren. Und darum können diese Schwachstellen abgestellt werden, z.B. durch einen Wahlproporz durch den immer Leute aus entgegengesetzten Lagern und aus unterschiedlichen Gegenden in die Wahlkommission gewählt werden (Viele-Augen-Prinzip), und durch die Vernichtung der Stimmzettel nach der Wahl.
    Es gibt auch über die Geschäftsordnung die Möglichkeit eine namentliche Abstimmung zu fordern oder den Hammelsprung.
    Und darum ist das old-school-Verfahren Papierabstimmung den technokratischen Träumen von Online-Abstimmungen mit tausend Lagen Krypto-Foo die niemand versteht und die effektiv auf ein Keine-Augen-Prinzip herauslaufen jetzt und für absehbare Zeit weit weit überlegen.
    Dezentrale Abstimmungen sind natürlich auch super. Darum wäre ich auch für einen verteilten Bundesparteitag. Und zusätzlich für diese verteilten anderen Parteitage, die bei anderen Parteien Bezirks- und Landesparteitage heißen und hierarchisch aufeinander aufbauen.
  5. Vollprogramm funktioniert nicht (für uns, jetzt).
    Die Piratenpartei hat den Fehler gemacht sich einreden zu lassen ein Vollprogramm zu brauchen. Aber wir können nicht in wenigen Jahren (ohne beständige Parteistrukturen) aufholen was andere Parteien in Jahrzehnten an Programmatik aufgebaut haben. Andere Parteien deren Programme auch stetig in einem Wandel sind und der Zeit oftmals hinterherhinken.
    Natürlich war es nicht sehr souverän dass unsere Vertreter im Fernsehen allzu oft sagen mussten dass die Piraten zu irgendeiner Frage noch keine Position haben. Aber das ist kein Grund sich von den anderen Parteien vor sich hertreiben zu lassen. Wie aktuell sind denn die Programme der Mitbewerber? Und wie oft werden Programme nur für die Wahlwerbung geschrieben und dann überhaupt nicht umgesetzt? Das wären die Punkte gewesen die unsere Vertreter hätten ansprechen sollen. Ich finde wir sollten uns auf die Position stellen dass wir bei den Punkten wo wir kein eigenes Programm haben einfach dem Vorschlag der anderen Parteien zustimmen werden der am ehesten zu unserer Linie passt bzw. den unsere Abgeordneten am ehesten mit ihrem Gewissen vereinbaren können. In einem Land das eine der leistungsfähigsten Volkswirtschaften der Welt hat brauchen wir jetzt nicht wirklich die Notwendigkeit für „yet another wirtschaftspolitisches Programm“ zu konstatieren. Es wäre kein Schaden und kein Indiz für Ahnungslosigkeit wenn wir im Zweifel den Vorschlägen irgendeiner anderen Partei zustimmen würden. Ich dachte das wäre eine der Grundideen der Piraten: Nicht immer parteipolitisches Gegeneinander, sondern auch mal echte Auseinadersetzung mit den Themen, auch mal Kooperation mit anderen Parteien? Diese Idee hätte man anführen können um Vorwürfen von Konzeptlosigkeit und „zu wenig Programm“ entgehen zu wirken, aber das haben wir in den Sand gesetzt. Bisher.
    Mit dem Anspruch auf ein Vollprogramm kommt auch der unrealistische Anspruch überall kompetent zu sein, damit die Notwendigkeit dass einzelne Leute sich spezialisieren müssen, damit die Notwendigkeit dass manche Leute gar nicht mehr wissen worum es bei einem anderen Thema geht, und damit wiederum die Notwendigkeit eine Art „Fraktionszwang“ einzuführen damit „die Partei“ in der öffentlichen Wahrnehmung irgendeine klare Linie verfolgt.
    Wir sind – auf absehbare Zeit – eine Spartenpartei. Die Idee eines Vollprogramms hat uns außer erbitterten Grabenkämpfen um BGE und Feminismus, Waffen und Atomkraft, Gentechnik etc. nichts gebracht. Die Aufmerksamkeit für unsere Grabenkämpfe und parteiinterne Scherze wie „Ponytime“ oder „Zeitreisen“ hat die Aufmerksamkeit von unseren Kernthemen abgelenkt und viele Leute die nicht in unserer Gedankenwelt leben, aber uns hätten wählen können, verstört.
    Unsere innere Geschlossenheit und Schlagkraft hat durch die innere Spaltung in irgendwelche Lager mit irgendwelchen spezifischen Positionen zu allen möglichen Rand-Themen abgenommen. Unsere Glaubwürdigkeit als „neue politische Kraft“ ist geschädigt worden durch den Anspruch ebenso wie alle anderen Parteien zu jedem Thema alles zu wissen. Und mangels starker Parteistrukturen war auch niemand da der die fruchtlosen Debatten über Themen die nicht unsere Kernthemen sind hätte unterbinden können.
    Doch diese starken Strukturen hätten wir gebraucht. Die Leute wollen digitale Freiheit und Bürgerrechte und ein neues Urheberrecht und das Recht auf Mash-Ups und keine Überwachung, und sie hätten uns gewählt.
    Wenn sie jetzt mittlerweile nicht unsicher wären ob sie nicht mit diesen Themen auch das BGE wählen oder Frauenquoten oder die Drogenfreigabe oder Gesamtschulen oder sonstwas was wir Piraten angeblich intern diskutieren. Mit jedem Thema das wir auf unsere Agenda setzen riskieren wir Menschen abzuschrecken. Darum ist es notwendig die öffentliche Wahrnehmung gezielt auf die Themen zu lenken die man für Gewinnerthemen und Alleinstellungsmerkmale hält und die anderen Themen parteiintern und unter der Decke zu halten. Das bringt mich zum letzten Punkt:
  6. Transparenz funktioniert nur eingeschränkt.
    Es gibt dieses Hacker-Motto. Es lautet nicht „Jeder muss alles wissen“. Es lautet: „Öffentliche Daten öffentlich machen, private Daten schützen“. Und politische Diskussionen innerhalb einer politischen Partei sind nicht komplett öffentlich. Sie gehen nur die Parteiöffentlichkeit etwas an. Parteiöffentlichkeit braucht einen gewissen Schutzraum damit Themen offen diskutiert werden und nicht jeder primär damit beschäftigt ist seine Formulierungen so unangreifbar zu machen dass auch der bösartigste Journalist ihm daraus keinen Strick drehen könnte. Man stelle sich mal eine Diskussion über die Haltung der Piratenpartei zum Thema Sterbehilfe, Israelpolitik oder Pädophilie im Internet vor die live bei Phoenix übertragen würde. Die Zahl der Redner würde sich wahrscheinlich arg in Grenzen halten. Wer würde schon riskieren sich durch eine einzige unbedachte Äußerung als politischen Menschen für alle Zeit zu vernichten? Wenn Menschen in einem Prozess der Meinungsfindung in innerparteilichen Debatten keinen geschützten Raum vor-, sondern sich in einem Panoptikum wieder-finden dass sich jederzeit in einen Internet-Pranger verwandeln kann kann keine politische Debatte stattfinden. Niemand von uns ist ohne Irrungen und Wirrungen zu seinen eigenen Ansichten gekommen. Darum darf „Transparenz“ nicht bedeuten dass die Piraten ihr innerstes nach außen kehren und alles aufzeichnen und veröffentlichen. Erst auf einem bestimmten Level wo die Akteure soweit professionelle Politiker mit öffentlicher Bedeutung sind dass die Sphäre des Privaten verlassen wird dürfen Transparenzüberlegungen relevant werden. Das private aber muss privat bleiben.

asemann.de – reloaded

Mein Drupal 6.22 wollte sich nicht updaten lassen, und ich wollte manche meiner alten Blogbeiträge auch gern vergessen. Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern. Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. The show must go on. Und los!