Archiv für den Monat: August 2013

Ein Rant über Datenschutz, Kommunikationsgeheimnis, Freiheit, USA, Prism und die Piraten

Deutschland soll ja so ein Rechtsstaat sein, mit Fernmeldegeheimnis, Grundrechten, Unschuldsvermutung, Herrschaft des Rechts und so, und kein rechtsfreier Raum.

Umso schockierender ist es dass die USA anscheinend tatsächlich über die Möglichkeiten verfügen die man in US-Crime-Serien (Navy CIS, CSI-Irgendwas) sehen kann, bisher aber immer als maßlose Übertreibung und lächerliche Idee in US-Allmachts-Phantasien schwelgender Drehbuchschreiberlinge abgetan hat.

Es gibt tatsächlich eine umfassende Überwachung aller Aktivitäten aller Nutzer im Internet. Eine Überwachung der man sich heute überhaupt nicht mehr entziehen kann, da wir alle von Telekommunikation abhängig sind, über anscheinend vollständig und lückenlos verwanzte Netze und ohne gangbare Möglichkeit für den Normalbürger sich dieser Komplett-Durchleuchtung zu entziehen. Nicht erst seit auch Telefone über IP-Netze funktionieren, auch vorher schon war anscheinend in jeder Vermittlungsstelle ein Überwachungszugang für deutsche und/oder „befreundete“ Dienste installiert.

Anscheinend können die USA und ihre „besseren“ Verbündeten den gesamten Internet-Traffic für drei Tage speichern, alle Emails, Suchanfragen, gelesene und geschriebene Texte mitlesen und alle „interessanten“ Daten sowie Metadaten unbegrenzt in Datenbanken speichern. Was wiederum bedeutet, dass die USA entweder Zugriff auf alle Email-Server haben oder die Schlüssel für die verschlüsselten Verbindungen zwischen den großen Email-Providern besitzen.
Und das bedeutet, dass jeder von uns jederzeit abgehört und beobachtet werden kann.

Finde nur ich es beunruhigend dass die USA die Möglichkeit hätten mein Online-Konto leerzuräumen oder mir „Beweismaterial“ auf den Rechner zu spielen, oder in diesem WordPress-Blog unsinnige Artikel zu veröffentlichen, wenn sie es wollten? Oder zeichnet sich der gute Staatsbürger der freien westlichen Welt heute dadurch aus dass er das Damoklesschwert ständiger Überwachung und Kontrolle über sich beharrlich ignoriert weil er ja irrelevant ist und außerdem nichts zu verbergen hat?

Natürlich habe auch ich außer peinlichen Fotos, längst vergessenen alten Emails, der Liste aller Webseiten die ich jemals besucht habe bzw. auf die mich interessante Pop-Ups entführt haben, meinen Logins zu verschiedensten Internet-Diensten und den Daten die ich dort abgelegt habe, meinen genauen sexuellen Präferenzen, meinen finanziellen Verhältnissen, meiner wirklichen Meinung über einige meiner (Ex-)Bekannten, -Kunden und -Arbeitgeber etc. pp. überhaupt nichts zu verbergen, aber eigentlich ist es doch schon eine ganze Menge was ich gerne verbergen würde, bzw. was zumindest nicht jeder wissen soll.

Darum finde ich es auch sehr unangehnehm dass Geheimdienste alle meine Daten zugreifen können wenn sie es wollen. Und auch wenn sie das nicht tun: Durch die gesammelten Meta-Daten kennen Sie meinen Bekanntenkreis, meine politischen und gesellschaftlichen Ansichten und wissen auch ohne meine Kommunikation inhaltlich abzuhören bereits mehr über mich als ich gut finde.
Die USA können wahrscheinlich jederzeit meine Windows-Rechner „fernwarten“. Und dank in den meisten PCs verbautem „Trusted Platform Module“ sind auch andere Betriebssysteme möglicherweise kein Schutz mehr, weil möglicherweise die Abhörschnittstelle für die NSA bereits in der Hardware eingebaut ist.

Die Dienste können also meine Emails lesen, meine Telefonate abhören, mein Handy orten, sie kennen meine Interessen, Wünsche und Ängste, was bedeutet dass diese Dienste mich im Prinzip jederzeit psychisch, physisch und sozial vernichten können.

Nun spielt es wahrscheinlich keine große Rolle was die NSA über mich als unbedeutende Einzelperson weiß, aber wie sieht das z.B. mit unseren Bundestagsabgeordneten aus? Und unseren Ministern? Können wir überhaupt noch Leute in den Bundestag wählen die unabhängig sind, oder fertigt die NSA bereits im Vorfeld der Bundestagswahlen über jeden Bundestagskandidaten ein Dossier an, so dass alle unsere Volksverteter jederzeit durch die USA unter Druck gesetzt werden können?

Und was bedeutet es für unsere Wirtschaft dass die USA quasi in Echtzeit informiert sind woran jeder einzelne unserer Ingenieure gerade arbeitet? Nach welchen Patenten die Abteilung XY in Firma Z gerade recherchiert? Welche Unterlagen die Firmen untereinander austauschen, worüber die Leute am Telefon reden? Der potentielle Schaden für unsere Wirschaft ist gar nicht abzuschätzen.

Empörender noch als die Tatsache dass wir anscheinend längst in einem Überwachungsstaat leben ist es, dass die Regierung jetzt so tut als wäre das alles zu unserem besten. Als wäre die totale Überwachung deshalb okay weil der Staat bei den meisten von uns gütig wegsieht. Als wäre es eine Lappalie wenn man den bisherigen Grundsatz, dass eine Überwachung erst nach einer Anordnung durch einen Richter erfolgen darf, einfach umkehrt; nämlich indem erst überwacht wird, und dann infolge eines aus dieser Überwachung entstehenden Verdachts die Verwendung dieses Überwachungsmaterials nachträglich richterlich legitimiert wird.

Und es ist sehr enttauschend dass die Regierung versucht diesen Skandal auszusitzen. Als wäre die Bedrohung unserer Wirtschaft eher theoretisch und die faktische Abschaffung des Kommunikationsgeheimnisses nicht so schlimm. Und als würde die Entrechtung und Entwürdigung von Millionen von Menschen dadurch aufgewogen, dass angeblich ein paar Anschläge verhindert werden konnten. Arithmetik mit Menschenleben zu betreiben ist auch und gerade dann falsch und unmoralisch wenn Law&Order-Politiker die tatsächliche Zerstörung der Vertraulichkeit aller Kommunikation gegen hypothetische Tote aufrechnen wollen.
Und die Demokratie, also die Volksherrschaft – die im übrigens durch ein Handvoll Terroristen niemals gefährdet werden kann – verteidigt man bestimmt nicht indem man präventiv das Volk überwacht und Vorratsdaten speichert.

Die bemerkenswerte Stille die in der deutschen Wirtschaft und Politik herrscht, ganz im Gegensatz zu den deutschen Medien, wo auch Mainstream-Zeitungen wie SZ, Welt oder FAZ mittlerweile kritisch berichtten, ist beinahe unheimlich. Stört man sich in Wirtschaft und Politik tatsächlich so wenig am Ausmaß der Überwachung, oder fürchtet man einen Vertrauensverlust in der Bevölkerung und an den Märkten wenn man sich besorgt zeigt, oder haben „die Dienste“ – wie Verschwörungstheoretiker natürlich schon immer geahnt haben – die Spitzen unserer Wirtschaft und Politik so fest im Griff dass deshalb niemand wagt sich für Datenschutz und Grundrechte einzusetzen?

Ich hoffe man ist in der Politik einfach nur genau so entsetzt ist wie ich und weiß erstmal gar nicht was man angesichts der immer neuen Enthüllungen überhaupt noch zur Verteidigung des generellen Versagens unserer Politiker in dieser Sache in den letzten 20 Jahre sagen soll. Deutschland und Europa haben sich das Heft des Handelns in Sachen IT-Technologie aus der Hand nehmen lassen, und jetzt sind wir plötzlich alle abhängig von Netzwerken, Rechnern, Betriebssystemen und Programmen denen man nicht mehr trauen kann. Die Politik hat bei der Technikfolgenabschätzung komplett versagt und überhaupt nicht mitbekommen, dass die Technologie die sie vor allem als großen Webshop gesehen hat und die für unsere Kanzlerin immer noch „Neuland“ ist, von anderen mit großem Aufwand für deren strategische Interessen instrumentalisiert worden ist, so dass Deutschland und seine Bürger jetzt zumindest mittelfristig in der Falle ausländischer Dienste sitzen die hier alle Daten abschöpfen können die sie wollen.

Und unsere Politik hat dabei willfährig mitgewirkt. Und obwohl man uns in der Schule beigebracht hat dass es wichtig sein könnte gegen ein Unrechtsregime Widerstand zu leisten, und uns klasse Zitate von Martin Niemöller beigebracht hat, findet man irgendwie doch niemanden der auch nur laut zweifeln würde dass der angebliche Kampf gegen angebliche Terroristen die Überwachung der ganzen Welt rechtfertigt. Auch die Tatsache dass wahrscheinlich als direkte Folge dieser durch die globale Überwachung ermöglichten globalen Kriegsführung auch hunderte unschuldige Menschen als „Kollateralschäden“ bei Drohnenangriffen getötet worden sind und dutzende aufgrund fehlerhafter Überwachungsergebnisse nach Guantanamo entführt und gefoltertauf besondere Weise befragt worden sind scheint in der älteren Generation, also der Generation der früher mal vorgeblich so besonders aufrechten 68er niemanden wirklich zu stören; man ist schließlich kein Terrorist, Kinderschänder oder Raubkopierer, da schweigt man natürlich wenn unter dem Vorwand der Verfolgung dieser Verbrecher-Gruppen die Welt in ein dystopisches Panoptikum verwandelt wird, also eine Welt, wo man nie sicher sein kann tatsächlich nicht beobachtet zu werden; und wer an der Integrität unserer amerikanischen Freunde zweifelt – denen wir ja tatsächlich auch sehr viel zu verdanken haben – wird einfach als „antiamerikanisch“ stigmatisiert; manch einer mag sich auch mittlerweile gar nicht mehr trauen in seinem Blog etwas kritisches zu schreiben, man könnte ja irgendwann noch mal in die USA reisen wollen…

Also, es ist etwas faul im Staate BRD; ich hätte diese Rechte die mir unsere Verfassung zusichert gerne wirklich, ich hätte gerne Kommunikationsmöglichkeiten die nicht überwacht werden.

Konkret fordere ich eine Abschaffung der Störerhaftung und die Abschaffung der Pflicht zur Registrierung von SIM-Karten, damit jeder jeden über seinen eigenen Internet-Anschluss ins Netz gehen lassen kann ohne dadurch Nachteile befürchten zu müssen.

Nur wenn Internet-Zugänge geteilt und getauscht werden können und jeder einen eigenen kleinen Tor-Exit-Node betreiben kann ohne Störerhaftung fürchten zu müssen kann trotz der massiven Netzüberwachung kurzfristig wieder etwas Anonymität und Privatsphäre etabliert werden.

Mittelfristig muss die deutsche Internet-Infrastruktur von Zugriffspunkten für Geheimdienste gesäubert werden, und es müssen Anstrengungen unternommen werden um sicherzustellen dass Hard- und Software sicher und Hintertür-frei sind. Außerdem brauchen wir mehr Engagement bei der Spionageabwehr und ein hartes Vorgehen gegen Unternehmen die gegen Datenschutzbestimmungen verstoßen bzw. die Daten von deutschen und europäischen Bürgern an ausländische Dienste weitergeben.

Dass Deutschland nichts tun kann um seine Bürger zu schützen ist einfach nicht wahr!

Wie auch immer, die „Prism“ Affäre hat mich überzeugt dass trotz aller Flügelkämpfe und programmatischen Schwächen die Piratenpartei bei der Bundestagswahl die Partei sein wird die ich wählen werde. Keine andere Partei wird auch nur einen Finger krum machen um die Verhältnisse, die diese Parteien mit zu verantworten haben, zu ändern. Und da Freiheit in unserer Zeit auch und vor allem Kommunikationsfreiheit bedeutet ist die Wahl einer Partei die sich dafür einsetzen wird für mich alternativlos.