Ein Pirat hat für den Landesparteitag der NRW-Piraten einen Antrag zum Beschluss eines Positionspapiers ((Okay, Positionspapiere sind im Zweifel folgenlos und damit die Bits nicht wert, mit denen sie gespeichert werden, aber egal…)) Feminismus und Geschlechtergerechtigkeit eingebracht, dessen erster Satz lautet: Wir stellen fest, dass Frauen noch immer benachteiligt sind und struktureller Gewalt unterliegen.
Okay. Dazu fallen mir zwei Fragen ein. Erstens: Inwiefern sind Frauen noch immer benachteiligt? Und zweitens: Was ist eigentlich „strukturelle Gewalt“ genau?
„Strukturelle Gewalt“ durch den Staat?
Fangen wir mit dem Begriff der „strukturellen Gewalt“ an: Die Wikipedia hat dazu natürlich einen Artikel parat. Dieser ist bezüglich der konkreten Bedeutung des Ausdrucks wenig erhellend, vermerkt aber im Abschnitt Kritik unter anderem: Der Staatsrechtler Josef Isensee sah in der „Lehre von struktureller Gewalt, die von der neomarxistischen Richtung der sog. Friedensforschung vertreten wird“, ein „Legitimationsschema zum Bürgerkrieg gegen das ‚kapitalistische‘ System“:
Das bedeutet: Der Ausdruck „strukturelle Gewalt“ ist kein neutraler Ausdruck, sondern ein Begriff, auf den sich in der Vergangenheit vor allem linksextreme Gruppen bezogen haben um „Gegen“-Gewalt zu rechtfertigen.
Das finde ich problematisch. Die Piratenpartei hat schon genug Probleme mit linksextremistischen Ideologen, die die Demokratie für eine Brückentechnologie halten und die freiheitlich demokratische Grundordnung überwinden wollen. Und dann fällt einem angeblich irgendwie auch liberalen Piraten nix besseres ein als einen schwammigen, linksextremistisch konnotierten Begriff ins Gleichberechtigungsprogramm der NRW-Piraten schreiben zu wollen? Ähh…. SRSLY? ((Ich habe damit natürlich keine Probleme, ich bin ja kein Pirat mehr. Viel Spaß noch da in der linksextremistischen Ecke…))
Und nun zu dem, was mit „strukturelle Gewalt“ gemeint sein könnte, nämlich eine „im System liegende“ Benachteiligung von Frauen. Kurz: Diese vermag ich nicht zu erkennen. Ich finde schlicht keine Hinweise für eine im staatlichen System angelegte Benachteiligung von Frauen. Frauen leben länger, stellen mehr Wähler, haben also die politische Übermacht; Frauen erleiden weniger Arbeitsunfälle, Frauen werden zu kürzeren Haftstrafen verurteilt. Frauen erhalten den gleichen Lohn für gleiche Arbeit (zumindest im Staatsdienst), Frauen bekommen häufiger Abitur oder einen Hochschulabschluss. Es gibt Frauenprofessuren, Frauenförderung etc.. Vom Effekt her und von Recht und Gesetz her scheinen Frauen also eher Vorteile als Nachteile zu haben durch die staatlichen Strukturen.
Also gibt es keine strukturelle Benachteiligung von Frauen, die man durch irgendwelche politischen Maßnahmen verändern könnte, deren Einfluss auf staatliches Handeln und die Gesetze beschränkt ist. Und also auch keine staatliche „strukturelle Gewalt“ gegen Frauen.
„Strukturelle Gewalt“ durch „die Gesellschaft“
Blieben also nur noch etwaige Benachteiligungen, die sich durch das Verhalten der Gesellschaft ergeben könnten, die man als „strukturelle Gewalt“ bezeichnen könnte.
Diese Gewalt ginge dann quasi von „der Gesellschaft“ aus, manifestiert in unzähligen kaum merkbar sexistischen Einzelhandlungen. Die Gesellschaft müsste dann als sexistischer Mob gesehen werden, aus dem heraus die nicht verortbare und darum hilfsweise „strukturell“ genannte „Gewalt“ hineinwirkt in das Leben von Frauen.
Nun ist es aber so: Die verfassungsmäßig garantierten Rechte schließen das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit mit ein, und das umfasst IMHO auch das Recht, ein Arschloch oder eine Spinnerin zu sein, solange das Verhalten nicht justiziabel ist; und Männer als Kindergärtner für ungeeignet zu halten oder Frauen als Konzernlenkerin ist vielleicht falsch, aber auch ((bisher)) kein (Hass-)Verbrechen.
Schwarmsexismus?
Und ich glaube, dass kann auch gar nicht anders sein. Es muss immer auch unangenehme Menschen geben. Denn: Ohne die weniger angenehmen Ränder der Gesellschaft gäbe es auch den sonst doch immer so hoch gehaltenen Pluralismus nicht. Ich finde es gut, dass wir nicht in einer Zukunft wie in „Demolition Man“ leben. Natürlich muss es Grenzen akzeptablen Verhaltens geben, aber diese kann man IMHO nicht so ziehen, dass man die Grenze schon bei dem Verhalten ziehen kann, dass hier als „Partikel“ der sogenannten „strukturellen Gewalt“ gewertet werden soll.
Eine scheinbar organisierte „strukturelle Gewalt“ in die Gesamtheit individuellen Einzelhandelns hineinzuinterpretieren finde ich deshalb unzulässig und falsch. Denn erstens geht es hier nicht um Gewalt, sondern um unpassendes Verhalten. Und zweitens hat eine Art „Schwarmsexismus“, wie man vielleicht passender sagen könnte, wenn man unbedingt Sexismus erkennen will, keine Struktur. „Strukturelle Gewalt“ wäre also eine irreführende Bezeichnung für etwas, was weder Struktur besitzt, noch im eigentlichen Sinne mit Gewalt zu tun hat.
Und auch wenn wir dem Drang nachgeben wollten ein gesellschaftliches Phänomen verbreiteten als unangenehm empfundenen Verhaltens zu „struktureller Gewalt“ zu erklären – was sollte das bringen? Was hat Politik damit zu tun? Was könnte Politik dagegen tun? Umerziehungslager für „geschlechterpolitisch unangepasste Menschen“ organisieren? Oder zehn Wochenstunden „Gender-Benimmunterricht“ in der Schule? Andere tolle Ideen?
Ich fasse zusammen: „Strukturelle Gewalt“ ist eine weitgehend irreführende, inhaltsleere Polit-Phrase, die nichts beschreibt, zumindest nichts, was man irgendwie politisch ändern könnte. Deshalb, und weil der Begriff mit linksextremistischer Gewalt konnotiert ist, würde ich empfehlen, ihn zu streichen.
Gerade wenn man jeden Geschlechterunterschied als Ausdruck struktureller Gewalt deutet wird es sehr willkürlich.
Der Begriff wird zu einer unbestimmten Klausel für „es gefällt mir nicht, es muss anders werden“. Er wird leider auch nicht mehr wirklich hinterfragt, jeder Unterschied ist bereits Beleg für Gewalt und das auch nur in eine Richtung, nämlich gegen Frauen.
Ich hatte auch mal was dazu geschrieben
http://allesevolution.wordpress.com/2014/01/31/strukturelle-diskriminierung/