Jetzt ist die Zeit der Richtungsentscheidungen in der Piratenpartei

In der Piratenpartei müssen wir bald Richtungsentscheidungen treffen.
Viele wurden zu lange aufgeschoben.

Als da wären:

1. Basisdemokratie / SMV / Delegiertensystem

Dieser Punkt ist seit langem ein Streitpunkt. Wir werden uns hier auch nicht einigen können. Es gibt Argumente für alle Varianten, die von den jeweils Andersdenkenden für falsch gehalten werden. Das ist wahrscheinlich eine Frage der jeweiligen Weltsicht und Lebenserfahrung, denn aus den eigenen Annahmen über „das Wesen der Welt/des Menschen“ folgen jeweils andere „logische“ Argumentationen.

Darum plädiere ich dafür verschiedene Varianten jeweils zeitlich begrenzt auszuprobieren, vielleicht für jeweils ein Jahr; oder für zwei Jahre, aber in verschiedenen Landesverbänden, um das „Ausprobieren“ zu parallelisieren.

Ich glaube persönlich nicht an die SMV, denn mit Menschen wie mir würde sie wahrscheinlich nicht funktionieren. Permanente Abstimmungen wären für mich ein Stressfaktor. Ich will mich lieber regelmäßig en bloque um alles kümmern und nicht in Angst leben etwas wichtiges zu verpassen. So wie den Aushang über die Einspruchsfrist für die Planung von S21 o.ä. Aber viele setzen all ihre Hoffnung in die SMV. Also möchte ich ihnen die Chance geben durch ausprobieren selbst enttäuscht zu werden. Und mir natürlich die Chance überrascht zu werden dass die SMV doch funktioniert.

Ich denke viele Widerstände kommen von der Angst dass „Fakten geschaffen werden sollen“. Was ja der eine oder andere Pirat auch schon mal gefordert haben soll. Solche Ängste könnte man durch die zeitlich begrenzte probeweise Einführung von Dingen verhindern.

Ich glaube auch nicht an die Basisdemokratie, denn 2000 Leute diskutieren Themen nicht besser als 100 Leute, es erhöht sich nur der Kommunikations-Overhead auf ein nicht mehr tragbares Maß. Und wenn 2000 Leute zu einem Bundesparteitag kommen kann nicht einmal jeder einmal für drei Minuten reden. Auch nicht für eine Minute.

Die Einführung von „Leitanträgen“ zur Priorisierung „wichtiger“ Themen würde die Antragskommission zu einer Art allmächtigem Zentralkomitee der Partei machen. Das würde die Basisdemokratie faktisch vernichten und die Vetternwirtschaft, die es natürlich auch so bereits gibt, weiter verstärken.
Ein Delegiertensystem hingegen parallelisiert die Entscheidungsfindung, begrenzt den Kommunikationsoverhead, erhöht die Effizienz und steigert die Qualität der auf den höheren Ebenen eingespeisten Anträge und ist außerdem „proven in use“.

Aber wenn das jemand anders sieht: Auch hier könnte man ja zeitlich begrenzt verschiedene Varianten durchprobieren und später evaluieren was am besten geklappt hat.

2. Geschlechterpolitik

Ich glaube auch dass wir uns keinen Gefallen tun die Piraten zu „yet another Genderfeminismuspartei“ zu machen und Frauen-Pöstchen-Quoten einzuführen. Ich bin Differenzfeminist und glaube dass Frauen selbst am besten wissen was gut für sie ist. Ich glaube nicht an eine seit jahrtausenden anhaltende Männer-Weltverschwörung die Frauen ebenso versteckt wie effizient unterdrückt.
Die Nicht-Gleichverteilung von Frauen und Männern auf Berufe, Posten, Gruppen etc. ist in meiner Weltsicht eine Folge der Tatsache, dass Frauen und Männer verschieden sind und deshalb auch verschiedene Interessen, Präferenzen und Werte haben. Wenn Frauen seltener 80-Wochenstunden-Vorstandsjobs besetzen ist das für mich kein Beweis der Unterdrückung von Frauen, sondern eher Beweis klügerer Lebenszielsetzung von Frauen.

Die genderfeministische Idee, das Verhalten von Frauen und Männern angleichen zu wollen indem unter anderem Frauen konditioniert werden sollen „Werte“ anzunehmen die sonst nur neoliberale Turbokapitalisten_*Innen und auch immer weniger Männern für erstrebenswert halten (Spitzenpositionen erkämpfen, super viel Kohle verdienen, „Macht“ anhäufen) halte ich für geradezu absurd.

Nun, auch hier gehen die Meinungen wohl auseinander. Die einen sehen keine Probleme zwischen den Geschlechtern, die anderen sehen eine systematische Unterdrückung von Frauen. Die einen halten Männer und Frauen für biologisch determiniert unterschiedlich veranlagt und Geschlechterrollen für eine Folge davon, die anderen halten die Geschlechterrollen für anerzogene Hindernisse bei einer wirklich freien Entfaltung der Persönlichkeit von Frauen, aber auch Männern.
Wie auch immer. Wir müssen uns auch hier entscheiden welche Position unsere Partei hier nach außen einnehmen soll, oder ob sie das Thema einfach ausklammern soll. Wir müssen uns als Partei hier nicht von irgendeiner Seite vereinnahmen lassen, es sei denn wir halten das Thema wirklich für so relevant dass hier eine Positionierung notwendig ist.

3. Grundeinkommen und Lebensgemeinschaften

Die Idee, dass Menschen sich zu Lebensgemeinschaften mit anderen zusammenschließen und quasi Ehe-ähnliche gegenseitige Rechte und Pflichten bekommen können halte ich eigentlich für unkontrovers. Der Staat kann kein Interesse daran haben zu verhindern dass Menschen sich miteinander verbinden und somit den Staat ein Stück weit von manchen Problemen entlasten die schnell entstehen wenn Menschen einsam und allein in Probleme geraten.
Bezüglich des Grundeinkommens bin ich wieder skeptisch. Faktisch müssen wir – wenn wir die Menschenrechte achten – jedem Menschen ein Grundeinkommen zugestehen und Wohnung, Kleidung, Essen, kulturelle Teilhabe etc. sichern. Die Frage ist nur, wie man das gestaltet. Mit einem Gängelungssystem, dass Menschen in Maßnahmen und zu sinnlosen Bewerbungen zwingt, oder mit einem „Macht-was-ihr-wollt-das-Geld-kommt-auf-jeden-Fall“-System wie dem BGE. Oder vielleicht mit etwas dazwischen. Wahrscheinlich müsste man das System eigentlich vom Charakter des jeweiligen Menschen abhängig machen; das aber kann der Gesetzgeber nicht, denn vor dem Gesetz muss jeder gleich sein. Auch hier würde ich dafür plädieren die Einführung eines BGE-System erst nur zeitlich begrenzt zu fordern. Erstens weil das weniger Widerstand hervorruft, zweitens weil wir wirklich nicht wissen können ob die von uns erhoffte aktivierende Wirkung eines BGE, das von Druck befreite Menschen motiviert mit ihrem eigenen Ding erfolgreich zu sein, eintreten wird oder ob doch die Mehrzahl der Menschen dem konservativen Menschenbild des Sozialschmarotzers entsprechen der seine Sozialknete vor der Glotze verzecht.

Wenn wir zu diesen Punkten Positionen haben, haben wir meiner Meinung nach viele Konflikte in der Partei entschärft. Dann haben wir wieder klar Schiff gemacht und sind bereit zum Ändern. Haben wieder einen Wertekompass. Können Kurs setzen zu neuen Ufern. Und dann ggf. die nautischen Metaphern über Bord werfen.