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Herrn Augsteins Präsuppositionen

Auf Twitter schreibt Jakob Augstein:

Ich finde es überraschend, dass die Leute sich in einen Akt der Solidarität stürzen, obwohl die allermeisten von ihnen von den Maßnahmen gegen die Krankheit viel stärker bedroht werden als von der Krankheit selbst. Lauter Altruisten, wo wir zuvor nur Selbstoptimierer wähnten?

Wie genau kommt Herr Augstein darauf, dass, Zitat, die allermeisten“ Menschen von den Maßnahmen gegen die Krankheit stärker bedroht werden als von der Krankheit selbst?

Ich persönlich fühle mich hinreichend bedroht, wenn in der Firma, wo ich arbeite, mit größter Wahrscheinlichkeit Menschen sterben werden. Wenn die Chance, dass von meinen Eltern keiner stirbt, nur ca. 80% beträgt. Wenn in meinem Sportverein Menschen sterben werden, und unter meinen Nachbarn.
Macht mich das bereits zu einem „Altruisten“? Oder ist das vielleicht nur menschlich?

Von den Maßnahmen gegen die Krankheit fühle ich mich überhaupt nicht bedroht.

So einen hanebüchenen Unsinn, nämlich, dass die Gegenmaßnahmen gegen Corona irgendwen bedrohten, als Aussage in die Äußerung seiner Überraschung zu verpacken, ist ein schönes Beispiel für eine Präsupposition.
Vielleicht sollte man aber auch von FakeNews sprechen, schließlich wird eine Gefährlichkeit der Gegenmaßnahmen suggeriert, die zumindest meiner Meinung nach nicht gegeben ist.

Was soll übrigens die (falsche) Dichotomie, mit der Herr Augstein impliziert, es könne nur „Selbstoptimierer“ oder „Altruisten“ geben? Gibt es nicht auch ganz normale Menschen, die eine gesunde Balance zwischen Solidarität und Egoismus halten?
Könnte es nicht auch eine egoistische Strategie sein können, Solidarität zu zeigen, z.B. zur Verbesserung des eigenen Image? Und worauf will Herr Augstein eigentlich hinaus?

Nun, im Tween anscheinend auf das rhetorische Kunststück, einen möglichen eigenen Irrtum bezüglich der Einschätzung der „egoistischen dummen neoliberalen Masse“ (Zitat: — Lauter Altruisten, wo wir zuvor nur Selbstoptimierer wähnten?) in eine klug klingende Frage zu verpacken.

Die Frage scheint allerdings rhetorisch zu sein.

Aber so ist der heutige Journalismus anscheinend: Besserwisserisch, unreflektiert und nicht kritikfähig.

Journalisten, die gegen Strohmänner kämpfen (im Konkunktiv II + Futur II)

In der Corona-Krise laufen alle Themen außer der Corona-Krise irgendwie nicht mehr so gut. Kaum jemanden interessieren noch katastrophale Umstände in irgendwelchen Lagern auf Lesbos, wenn er selbst von einer tödlichen Lungenkrankheit bedroht wird, was ja auch ziemlich katastrophal ist. Das Verständnis für illegale Grenzübertritte ist auch gesunken. Und da aufgrund des Shutdowns auch noch CO2-Sparziele für 2020 erreichbar scheinen, ist auch die Klimakatastrophe in 50 Jahren weitgehend irrelevant geworden.

Da sich wenig überraschen die meisten Journalisten aktuell weiterhin eher als staatstragende Volkserzieher denn als kritische Kommentatoren der Lage, und zum Beispiel des Regierungshandelns jetzt und in der Vergangenheit sehen, haben sie eine ganz neue Form des journalistischen Textes erfunden, der in seiner Fiktivität harmlos ist, aber gleichzeitig den Journalisten als vorbildhaft-intellektuellen Demokraten zeichnet.

Es handelt sich um den „Was-Schlimmes-Passieren-Könnte-wenn-nach-der-Krise-die-Notstandverordnungen-nicht-alle-zurückgenommen-worden-sein-würden“-Text, und zahlreiche Journalisten verbringen anscheinend ihre Zeit damit, zu imaginieren, was denn in der Zukunft hypothetisch passieren könnte, sollten dort Maßnahmen aus der Krisen-Zeit nicht zurückgenommen worden sein. Sie leisten quasi bereits jetzt im Voraus Widerstang gegen die imaginären Repressionen, die der hypothetisch in den Faschismus abgeglittene Staat in der Zukunft ausüben könnte.

Gerne verbunden wird dieser wohlfeile imaginäre vorgezogene Antifaschismus mit Bemerkungen, dass diese schlimme Zukunft unter unserer großen Kanzlerin (Sie möge lange leben!) natürlich unvorstellbar sei, aber vielleicht in der Krise das dumm Volk Rechtspopulisten wählen könnte, so dass das Szenario doch nicht so vollkommen unrealitisch sei, wie es heute scheint…

Auf diese Weise verbindet der Haltungsjournalist das Bekenntnis zu Rechtsstaat und Freiheit mit einem Bekenntnis zur Kanzlerin (Sie möge lange leben!) und stellt gleichzeitig seine löbliche und redliche demokratische Haltung und seine hypothetische Entschlossenheit zur imaginären Bekämpfung des von ihm selbst aufgebauten Strohmanns des angeblich möglichen autoritären Systems, dass in der Krise entstehen könne, zu Schau.

Kurz und gut: Die Journalisten haben nichts zu tun und wissen nicht, was sie schreiben könnten. Darum schreiben Sie Texte, in denen es im Geheimen um das geht, um das es in Texten von Journalisten im Geheimen immer geht: Um sie selbst.

Die „Strukturen“ sind schuld! oder: Wie man intellektuelle Faulheit verschleiert

Vor kurzem ist mir (erneut) aufgefallen, dass Politiker — aber auch „Experten“ und „Aktivist_*Innen“ — immer dann von „Strukturen“ reden, wenn Sie eigentlich keine Ahnung haben, wen oder was sie für einen Missstand genau verantwortlich machen sollen, aber dennoch simulieren wollen, sie hätten irgendetwas Substanzielles zum Thema zu sagen.

Zu wenige Frauen in der Wirtschaft? -> Frauenfeindliche Strukturen.
Zu viele Beleidigungen schwarzer Spieler im Fußball? -> Rassistische Strukturen.
Menschen mit Kippa werden angegriffen? -> Antisemitische Strukturen.

Ich halte dieses Reden von „Strukturen“ für einen billigen Trick, nicht nachdenken zu müssen, was wirklich der Grund für ein Problem ist.

Zumindest beim Rassismus im Fußball sind wahrscheinlich einfach zu viele Arschlöcher auf einem Haufen, die eine verquere Tradition rassistischer „Fangesänge“ pflegen. Da braucht man nicht pseudo-intellektuell und wichtig von „Strukturen“ zu reden.

Hinter den „Strukturen“ verstecken sich eigentlich immer Menschen mit bestimmten Vorstellungen, also (religiösen / weltanschaulichen / philosophischen) Konzepten, Memes, Traditionen. Das sind alles Dinge, die man benennen kann.

Die meisten Religionen in Deutschland – ausgenommen der Protestantismus und einige Freikirchen – haben sexistische religiöse Konzepte. Das kann man klar benennen, hier müsste man nicht um den heißen Brei herumreden und von „frauenfeindlichen Strukturen“ sprechen. Und den meisten Wirtschaftsunternehmen geht es darum, ihren Laden am Laufen zu halten und Gewinn zu machen. Manchmal werden deshalb für bestimmte Positionen keine Frauen eingestellt, die möglicherweise Kinder bekommen oder halbtags arbeiten wollen könnten. Das ist nicht nett, aber betriebswirtschaftlich nachvollziehbar. Auch hier braucht man nicht von ominösen „frauendeindlichen Strukturen“ zu sprechen.
Auch beim Antisemitismus kann man sicher handfeste Gründe finden, warum sich dieser so beharrlich hält, obwohl wahrscheinlich die meisten Menschen in Deutschland eher negative Erfahrungen mit den Missionaren von Scientology, den Mormonen und den Zeugen Jehovas oder Priestern der katholischen Kirche gemacht haben werden als mit Juden.

Man könnte bei der Entstehung von Gewaltkriminalität männlicher Jugendlicher auch das Aufwachsen in einem Ein-Eltern-Haushalt als möglichem Risikofaktor für psychische Instabilität und daraus resultierende Gewalt als Ausdruck von Orientierungslosigkeit betrachten; aber dann müsste man auch in Betracht ziehen, dass sowohl die Jugendämter in Deutschland und die (feministischen) Proponentinnen weiblicher Alleinerziehung als auch die deutschen Familiengerichte und die Gesetzeslage Teil der „Strukturen“ sein könnten, die im Ergebnis mittelbar zu Gewalt, Neonazismus und Antisemitismus führen. Dann redet man doch lieber von „Strukturen“. Denn allzu genau nachzuforschen könnte ja zu unerwünschten, unangenehmen Erkenntnissen führen, wie zum Beispiel, dass einige gesellschaftliche Probleme direkte Folgen gut gemeinter Politik sind. Auch die mit besten Absichten getroffenen Entscheidungen können Folgen haben, die am Ende dann auch wieder niemand gewollt haben will.

Gern von „Strukturen“ geredet wird aus ähnlichen Gründen meiner Meinung nach bei den Fragen, warum weniger Frauen als Männer Nobelpreise gewinnen, warum Männer 90% aller tödlichen Arbeitsunfälle haben, warum weniger Frauen als Männer in Aufsichtsräten sitzen, oder wieviel mehr Männer obdachlos sind als Männer in Aufsichtsräten sitzen.
Für diese gesellschaftlichen Realitäten gibt es natürlich Gründe, aber darüber will niemand wirklich reden, denn dann müsste man sich mit unschönen Details auseinandersetzen, die am Ende eigenen Dogmen widersprechen könnten, und darum redet man doch lieber von „Strukturen“, die man in Zukunft entschlossen bekämpfen will. ((Natürlich nicht die Strukturen, die dazu führen, dass hunderttausend Männer auf der Straße leben, sondern die, die dazu führen, dass nicht genug Frauen in Aufsichtsräten sitzen; man muss schließlich Prioritäten setzen…))

Aber was man nicht fassen kann, kann man auch nicht bekämpfen.
Irgendwelche Sachverhalte auf scheinbar unfassbare „Strukturen“ zurückzuführen, ist daher in höchstem Maße unredlich und nicht zielführend.

Jedem, der in einer poltischen Debatte von „Strukturen“ spricht, muss man intellektuellen Bankrott vorwerfen. Die „Strukturen“ in der politischen Debatte sind reines Blendwerk, rhetorische Nebelkerzen; eine Leerformel, um über etwas reden zu können, was man aus intellektueller Faulheit nicht willens, oder aus Mangel an Intelligenz nicht in der Lage ist zu erfassen.

Politisch ungewollte Medienkompetenz

Allenthalben hört man politische Forderungen nach „mehr Medienkompetenz“.

Aber wenn dann tatsächlich Medienkompetenz entsteht, wenn die Menschen die Mechanismen der Medien durchschauen, dann ist es dem Anschein nach auch wieder nicht recht.
Offensichtlich ist Medienkompetenz nur dann politisch opportun, wenn diese zu den „richtigen“ Erkenntnissen führt.

Jüngstes Beispiel ist die engelsgesichtige, finanziell besser ausgestattete Vielfliegerin der Grünen Jugend, deren Aufstieg als Berufs-Umweltfunktionärin jetzt möglicherweise ein jähes Ende genommen hat, weil sie jegliche Glaubwürdigkeit verloren hat. Hier schimpfen viele Medienschaffende, zum Beispiel auch Frau Hayali, jetzt auf denjenigen, der dies aufgedeckt hat, und darüber, dass der Pöbel die offensichtliche Unvereinbarkeit von persönlichem Handeln und öffentlichem Reden tatsächlich als diskreditierend sieht.

Da wäre den meisten Journalisten anscheinend lieber, wenn die Leute null Medienkompetenz hätten und man ihnen eine junge Frau mit dem CO²-Fingerabdruck einer Kleinstadt als Umweltretterin verkaufen könnte. Und das, obwohl die gleichen Journalisten vor noch gar nicht allzu langer Zeit einen gewissen Herrn Merz als vollkommen unglaubwürdig geframed haben, nur weil der sich die im Vergleich lächerliche „Sünde“ zu Schulden hat kommen lassen, sich nicht selbst als Teil der Oberschicht sehen zu wollen.

Und auch dieser anders begabten Jugendlichen mit den Zöpfen nehmen viele Menschen die besorgte Umweltaktivistin einfach nicht ab, und wollen sich nicht ausreden lassen, dass es doch eher wahrscheinlich ist, dass sie von professionellen Umweltaktivisten als „Vertreterin der jungen Generation“ mit dem Attribut „wegen Asperger in der Sache objektiv“ extra als Aushängeschild gecastet worden ist. Schon weil die Story, dass ein wahrscheinlich persönlichkeitsbedingt eher kontaktscheues Mädchen mal eben aus dem Nichts zur international bekannten Umweltaktivistin wird (was andere in einem Leben nicht schaffen), und dann gleich eine Einladung zum Weltklimaforum bekommt, doch sehr, sehr, sehr unwahrscheinlich ist.

Wenn das passiert — wenn Menschen tatsächlich nachdenken und reflektieren und abwägen und es wagen, selbst Dinge „einzuordnen“ und selbst Erklärungen zu finden — dann ist diese praktische angewandte Medienkompetenz plötzlich politisch nicht mehr gewollt. Dann sind logische Schlüsse und vernünftige Annahmen nicht mehr Einordnungen, sondern Verschwörungstheorien, und kritisches Hinterfragen wird zu politisch motivierter Menschenfeindlichkeit umgedeutet.

Wie viel schöner wäre es doch für die deutschen Journalisten, wenn die „einfachen Menschen“ einfach still wären und das Einordnen und Bewerten aller Dinge den staatsnahen Medien oder ggf. SPD-nahen Zeitungen überließen! Dann könnte man die öffentliche Meinung weiter mit schlechten PR-Stunts manipulieren, die wie aus „Wag the dog“ kopiert erscheinen.

Which image is from wag the dog?
Welches Bild ist aus „Wag the dog“? (Quelle: IMDB/Stern)