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„Rasse“ aus dem Grundgesetz streichen?

Das Wort „Rasse“ soll gemäß aktuellen Forderungen aus dem Grundgesetz getilgt werden.
Der Grund: Das Konzept der Rasse sei für Menschen sinnlos und evolutionsbiologisch nicht begründbar; sein Einsatz könne nur zu Rassismus führen. Durch die Verwendung des Wortes „Rasse“ erkenne der Gesetzgeber quasi die Existenz von „Rassen“ an.

Das mag alles richtig sein, aber mit einer Umformulierung des Grundgesetzes werden wir weder den Rassismus aus der Welt schaffen, noch das Konzept „Rasse“ auflösen, noch sonst irgendetwas Positives erreichen. Das hat mehrere Gründe:

  1. In den USA ist das Wort „race“ anscheinend nicht wirklich rassistisch konnotiert. Es ist fraglich, ob Deutschland dauerhaft eine eigene Sprachkultur aufrecht erhalten kann, wo man das englische Wort „race“ mit komplizierten Phrasen übersetzen muss. Ein Beispiel: Rassenunruhen werden in Zukunft wie genannt?! Aus Gründen evolutionsbiologisch irrelevanter sichtbarer visueller Unterschiede mit rassistischer Auswirkung stattfindende zwischenmenschliche Auseinandersetzungen?
    Wenn die Phrasen, die man brauchen würde, um um den Elephanten im Raum herumzulavieren, irgendwann zu einer Abkürzung eingedampft worden sein würden, weil die Verwendung der Phrasen sonst nicht praktikabel wäre, hätte man nichts anderes geschaffen als ein neues, „besseres“ Synonym für „Rasse“. Also viel Aufwand betrieben für nichts außer kurzzeitiger Symbolwirkung. Und Symbolwirkung bewirkt nichts außer eines guten Gefühls bei all denjenigen, die sowieso schon überzeugt waren. Also nichts.
  2. Das Konzept „Rasse“ ist auch für den Antirassismus unverzichtbar. Nur wenn verstanden werden kann, wie Rassisten denken, wie sie Menschen in Gruppen und „Rassen“ einteilen und dadurch Diskriminierung betreiben, kann man antirassistisch arbeiten. Auch die Geschichte (nicht nur des Kolonialismus) lässt sich nur verstehen, wenn man das Konzept erfasst und versteht. Schon deshalb ist das Konzept „Rasse“ selbst niemals mehr aus der Welt zu schaffen. Ganz abgesehen davon, dass „Rassen“ in der Tierzucht etabliert sind, und eine Übertragung des Konzepts auf Menschen keine allzu große Transferleistung ist. Eine Transferleistung, die jederzeit wieder vorgenommen werden kann, allen gedanklichen Brandmauern zum Trotz.
  3. Das Konzept von physiognomisch bzw. von äußeren Geburtsmerkmalen her unterschiedlich aussehenden Menschen findet auch in der Kognitions-Psychologie Verwendung. Der Cross-Race-Effect beschreibt zum Beispiel die Anpassung des Gehirns an die vorherrschenden äußeren Merkmale der Mehrheitsgesellschaft und die daraus resultierenden Schwierigkeiten, die Gesichter von Menschen mit vergleichsweise anderem Aussehen ebenso treffsicher auseinanderzuhalten wie die Gesichter von Menschen, die dem mehrheitlichen Aussehen ähnlich sind.
    Nach äußeren Merkmalen zu differenzieren ist nach Erkenntnissen der Kongnititionspsychnologie in unserem Gehirn angelegt. Wir können dagegen nichts tun. Schon gar nicht, indem wir ein „böses Wort“ aus der Sprache tilgen.
    Es dürfte, wie bereits angesprochen, sehr mühsam sein, in der immer stärker englischsprachigen wissenschaftlichen Literatur gegen das Wort „race“ anzukämpfen oder in deutschen Übersetzungen passende Ersetzungen zu finden. Ich nehme natürlich in den Kommentaren gerne Vorschläge an, wie man das griffige „Cross-Race-Effect“ ins Deutsche übersetzen könnte, ohne das böse Wort Rasse zu verwenden. Den Ausdruck nicht zu übersetzen wäre natürlich auch eine Möglichkeit, aber nicht mehr als ein Ausweichmanöver. Wenn wir schon da angekommen wären mit unseren hilflosen Versuchen, das Wort „Rasse“ zu vermeiden, könnten wir ja auch „Rasse“ im Grundgesetz durch das *vollkommen andere* Wort „Race“ ersetzen.

Die Streichung von „Rasse“ im Grundgesetz ist schon deshalb nicht notwendig bzw. falsch, weil das Wort im Grundgesetz in einem anti-rassistischen Kontext vorkommt bzw. die Bundesrepublik als anti-rassistischen Staat konstituiert. Darum wäre es geradezu absurd, diese klare Formulierung aus Zeitgeist-Erwägungen heraus durch einen tagespolitisch opportunen Euphemismus zu ersetzen.
Nur wer es unbedingt will, kann in der Formulierung eine implizite „Anerkennung“ der Anwendung des Konzepts von Rasse auf Menschen erkennen, obwohl der Artikel im Grundgesetz das Gegenteil aussagt. Aber ein juristischer Text muss nicht mit den aktuellesten Ansichten der Evolutionsbiologie hinsichtlich der Frage übereinstimmen, ob es Sinn ergibt, das Konzept „Rasse“ auf Menschen anzuwenden, sondern er muss in der real existierenden Welt die beabsichtigte Wirkung entfalten können, und das ist beim Artikel 3 des Grundgesetzes ohne Zweifel der Fall, denn es begreift tatsächlich jeder, was gemeint ist, sogar die, die sich aus Gründen der Symbolwirkung an der Formulierung stören.

Jeder Versuch, das Konzept von Rasse durch Nicht-Verwendung des es bezeichnenden Wortes zu bekämpfen, ist aus den oben genannten Gründen zum Scheitern verurteilt, und lässt diejenigen, die diesen Versuch unternehmen, als verkopfte Theoretiker erscheinen. Denn aus den oben genannten Gründen kann niemand wirklich davon ausgehen, dass symbolische Wortsubstitutionen irgendetwas bewirken außer, dass wir bald ein neues Synonym für „Rasse“ haben würden, ohne jegliche praktische Auswirkung auf die Existenz von Rassismus, „Rassismus begünstigenden“ neurobiologischen bzw. kognitionspsychologischen Tatsachen, und Rassisten. Die „Evolution“ der Bezeichnungen für „PoC“ (Don’t translate to „Farbige“!) jedenfalls lässt nicht unbedingt vermuten, dass irgendwas erreicht werden würde außer einer neuen Möglichkeit für eine wahrscheinlich oftmals auch nur scheinbar besonders antirassistischen Avantgarde, sich als besonders antirassistisch zu präsentieren und andere aufgrund der Verwendung des „falschen“ Wortes zu diskreditieren.

Droht uns jetzt (endlich!) der Faschismus?

Wie ich schon in „Menschenopfer für den Pseudo-Antifaschismus“ schrieb, wird aktuell viel darüber geschrieben, dass grundlegende Menschenrechte eingeschränkt würden etc., und dass jetzt der Faschismus und die Diktatur drohten.

Es gibt aber auch Gründe, das nicht anzunehmen:

  1. Niemand will die Demokratie abschaffen

    Zu einem ordentlichen Faschismus gehört die Ablehnung bzw. Aufgabe der Demokratie zugunsten des Führerprinzips. Bisher sind keine Wahlen ausgefallen, und niemand hat einen starken Führer gefordert, weil die Demokratie mit der Situation überfordert sei und wir darum jetzt ein anderes System bräuchten.
    Okay, auf der Opposition, besonders den Liberalen, wird herumgehackt, und Linksradikale zünden auch mal Autos von Angehörigen von AfD-Mitgliedern an, aber das ist ja schon längere Zeit so und scheinbar ganz normal in unserer Demokratie. Es gibt jedenfalls bisher keine Merkel-Jugend und keine GroKo-Schlägertruppen, die politische Gegner durch die Städte prügeln.
    Außerdem gibt es sogar noch unterschiedliche Meinungen im staatsnahen Rundfunk — Das hätte ich mir im kommenden Faschismus anders vorgestellt.

  2. Nicht genug Anwälte sind in der Psychiatrie

    Einige Leute sind beunruhigt, weil eine Anwältin in die Psychiatrie gebracht wurde, nachdem sie — trotz Verbots und Ablehnung ihres Eilantrags beim Bundesverfassungsgericht — zu Demonstrationen gegen das Verbot von Demonstrationen aufgerufen hatte, und anscheinend mit dem Gegenwind durch Staatsschutz und Staatsanwaltschaft nicht ganz klargekommen ist, so dass sie schließlich Angst davor gehabt haben soll, Hubschrauber ((Black Helicopters!!!)) und Killerkommandos würden sie verfolgen.
    Tatsächlich gibt es aber immer noch viele Anwälte und noch mehr Journalisten, die täglich dutzdende Artikel voller Bedenken schreiben können und dürfen, die bisher weder in der Psychiatrie noch im Arbeitslager noch im Folterknast sind. Das hätte ich mir im kommenden Faschismus anders vorgestellt.

  3. Es fehlt die radikale Volks-Rhetorik

    Bisher hat niemand davon geredet, dass das „Deutsche Volk“ aus der Krise gestärkt hervorgehen wird, und dass es, wenn es dem „chinesischen Virus“ nicht trotzt, sowieso nicht verdient habe, weiterzuleben. Niemand hat gefordert, dass die Teile des Volkskörpers, die „alt, morsch und gebrechlich“ ((Hitler-Zitat)) geworden sind, sterben mögen. Statt dessen will man Alte und Kranke schützen, und die Opferzahlen minimieren! Keine irre Volksschicksals-, Opfer-, Blut- und Boden-Rhetorik weit und breit! Nichtmal Hetze gegen europäische Nachbarländer, die mittelfristig zu befreien seien, nur immer das übliche (langweilige, antiamerikanische) Trump-Bashing. Das hätte ich mir im kommenden Faschismus anders vorgestellt.

Ich kann also weiterhin das Gerede von der drohenden Abschaffung der Bürgerrechte, der drohenden Diktatur, dem aufziehenden Faschismus nicht nachvollziehen. Es dürfen ja sogar noch unterschiedliche wissenschaftliche Experten ihren Senf dazu abgeben, ob und wie und wann der Shutdown zu beenden sei. Das Internet wurde nicht ab- oder gleichgeschaltet. Es gibt keine Blockwarte bzw. Abschnittsbevollmächtigte. Keine Gruppe wurde zu Volksschädlingen erklärt, kein innerer oder äußerer Feind zum absolut Bösen hochstilisiert. Nichtmal die Wehrpflicht bzw. ein Zwangs-Bundes-Arbeitsdienst wurden (wieder) eingeführt. Quasi alle Elemente, die man bei einem ordentlichen Faschismus erwarten sollte, gibt es nicht.

Daher frage ich mich, ob vielleicht der (leicht pathologische?) Wunsch, einmal im Leben den Faschismus aktiv bekämpfen zu können, der Grund ist, dass so viele Menschen jetzt den Faschismus quasi herbeireden bzw. herbeischreiben, obwohl — tut mir echt leid jetzt — kein Stück wirklicher Faschismus zu sehen ist?!

Es ist doch merkwürdig, dass so viele intelligente und intellektuelle Menschen jetzt, da der Staat einmal (begründet!) etwas autoritärer auftritt, gleich nach Spuren von „Faschismus“ suchen, als hätten sie Angst, in ihnen und ihren Mitmenschen und natürlich im „Staat“ gebe es so eine Art „Nazi-Gen“, das unweigerlich zur Rückkehr des Faschismus führen müssen, wenn wir nicht ganz dolle aufpassen. Vielleicht können wir das auch als Erfolg unseres Schulsystems verbuchen, das ja ein Stück weit dazu erzieht, Faschismus 10 Meter gegen den Wind zu riechen.

Wie auch immer. Ich beobachte das weiter. Wenn der Faschismus kommt, sage ich rechtzeitig Bescheid. Vorzugsweise aus den USA.