Archiv für den Monat: Juni 2024

Haben die radikalen Corona-Maßnahmen die Menschen von der Möglichkeit radikaler Änderungen überzeugt?

Die Politik streitet darüber, warum Menschen AfD wählen. Glauben Sie etwa an die Möglichkeit, Dinge einfach so radikal zu ändern? Einfach mal Leute abschieben, Grenzen dicht, Grundgesetz ändern, jeder weiß doch, dass das nicht so einfach geht.

Aber nun hatten wir die Corona-Pandemie und wir haben gesehen, dass man Leuten verbieten kann auf einer Parkbank zu sitzen, dass man die Schulpflicht aussetzen kann und Krankschreibungen per Telefon einführen, Masken ohne Ausschreibung besorgen und weitere Dinge, die vorher undenkbar gewesen wären. Grenzkontrollen waren auch möglich, und jetzt frage ich mich, ob nicht die plötzliche und radikale Machtentfaltung der Exekutive und auch der Legislative dazu geführt haben, dass das Narrativ, der Staat könne alle möglichen Dinge nicht tun, nicht mehr geglaubt wird.

Zumindest ist doch der Eindruck entstanden, dass der Staat viel mehr kann, als er üblicherweise zu können scheint. Vielleicht fördert das ja den Glauben an die Möglichkeit von schnellen Lösungen im Hau-Ruck-Verfahren. Einfach mal machen, Fakten schaffen, im Zweifel auch Bürgerrechte einfach mal aussetzen… das ist der Eindruck, den die Corona-Maßnahmen teilweise hinterlassen haben, und wenn man schon bei Bürgerrechten so verfahren kann, warum sollte das nicht auch mit den geringeren Rechten von Flüchtlingen oder Asylbewerbern möglich sein?

Ich wüsste jetzt auch spontan gar nicht, wie man hier argumentieren sollte, auf so einem groben Level, wo jede juristische Finesse versagen muss, die vielleicht als Erklärung hier herangezogen werden müsste.

Es ist nur ein Gedanke, aber ich glaube, die Corona-Maßnahmen haben den Eindruck verstärkt, dass der Staat tatsächlich manche Dinge nicht „nicht kann“, sondern die Politik einige Dinge nur „nicht will“. Und das könnte der Grund sein warum viele Menschen sich jetzt denken, sie wollen doch mal sehen, ob nicht die Politik doch viel mehr kann, wenn man Politiker wählt, die tatsächlich Dinge radikal verändern wollen.

Vor diesem Hintergrund sollten vielleicht auch die etablierten Parteien bewerten, was sie tatsächlich tun können und wie sie Teile des Souveräns, der Wähler, wieder in das demokratische Lager holen können, das für die offene Gesellschaft steht.

Rechtsruck oder Pendelbewegung?

Ständig hört man vom Rechtsruck in den Medien. Aber ist es nicht so, dass sich die politischen Ansichten seit den 1980er Jahren ständig nach links verschoben haben?
Auf Youtube kann man Videos von Helmut Schmidt finden, bei denen heutige Linke Schnappatmung bekommen würden – und die SPD war in den 1980ern bereits das Ende des linken politischen Spektrums.

Haben nicht SPD und CDU in den 2010er/2020er Jahren durch ihre Versuche, jeweils „die Mitte“ zu besetzen, jeweils die Ränder verloren und dadurch das Entstehen von WASG/Linke und AfD erst möglich gemacht?
Glauben die Politikwissenschaftler, die bei Phoenix und in zahlreichen „Talks“ in Radio und Fernsehen die Wahlerfolge der AfD diskutieren wirklich, es wäre zu erwarten gewesen, dass die Mehrheit der Bevölkerung dauerhaft Parteien links der CDU wählen würde?
Ich glaube nicht, dass wir gerade einen „Rechtsruck“ sehen, und dass die Union die AfD erst hoffähig macht, wenn Sie für Maßnahmen eintritt, die weniger laissez-faire sind als die aktuellen Regelungen für Bürgergeld, Asylstatus, Duldung, etc.. Ich denke, das Bedürfnis der Linken, an das Gute im Menschen zu glauben und keine Unterschiede zwischen Bürgern und Migranten zu machen und den Sozialstaat immer weiter auszubauen und großzügig zu machen, aktuell nicht mehr zur Stimmungslage der Bürger passt. Kurt Tucholsky wird mit dem Satz „Das Volk versteht das meiste falsch; aber es fühlt das meiste richtig.“ zitiert, und vielleicht ist es ja auch hier so, dass das Volk „fühlt“, dass Deutschland nicht gleichzeitig die Energiewende schaffen, die Ukraine unterstützen, kriegsfähig werden, den demographischen Wandel abwettern, den Fachkräftemangel beseitigen, und dann auch noch einen Großteil der in die EU ziehende Migranten integrieren kann.
Ohne Zweifel haben unsere Regierungen der letzten Jahre zahlreiche Herausforderungen einigermaßen gut bewältigt. Dennoch bleiben etliche Dauerbrenner-Themen ungelöst, auch weil im linken Werkzeugkasten keine Werkzeuge sind, die in irgendeiner Weise dazu führen könnten, dass irgendjemand schlechter gestellt würde. Und ohne solche Werkzeuge kann man natürlich eine Situation, in der das Geld zusammengehalten werden bzw. vorrangig für Aufgaben eingesetzt werden muss, die keine Sozialausgaben sind, nicht bewältigen.
So gesehen scheint mit der Fall zu sein, dass die Pendelbewegung in Richtung einer pragmatischeren, härteren, weniger freigiebigen, an praktischen, konkreten Aufgaben ausgerichteten Politik überfällig war. Tragisch ist nur, dass sich die AfD — ohne jemals irgendeine praktische Lösungsfähigkeit bewiesen zu haben, ohne irgendwelche konkreten, umsetzbaren Vorschläge zu machen — als sinnvolle Alternative präsentieren kann, die auch tatsächlich gewählt wird. Meiner Meinung nach hätten SPD oder Union die Politikfelder, auf denen die AfD reüssiert, mit Ausnahme der extremistischen Positionen mittlerweile auch adressieren und übernehmen müssen.
Dass die Merz-Union sich nicht traut, so weit nach rechts zu rücken, dass für die AfD kein Platz mehr bleibt (wie es Strauß gefordert hat), wird irgendwann als großer politischer Fehler und Folge des „Linksrucks“ unter Merkel gesehen werden, vermute ich.

Stern TV vs. Gigi d‘ Agostino oder: Kontroverses Thema verzweifelt gesucht

Am gestrigen 2.6.2024 konnte man in Stern TV beobachten, wie eine Redaktion bemüht versucht hatte, ein „kontroverses“ Thema für die Sendung zu finden.
Die Frage, die die Gäste eine Viertelstunde lang diskutieren mussten: Soll das Lied l’amour toujours von Gigi d‘ Agostino verboten werden — gleich ganz, oder zumindest auf der Wiesn 2024, weil es an bestimmten Stellen vom Takt her möglich ist, dazu rechtsradikale Parolen zu skandieren?

Am Ende wollten 95% der Zuschauer kein solches Verbot — eindeutiges Zeichen, dass die Themenwahl überhaupt nicht kontrovers war.
Für mich ist diese offensichtliche Suche nach Aufregerthemen vor allem Beleg dafür, dass auch Fernsehsendungen zunehmend nach dem Prinzip „Click Bait“ funktionieren.