Nehmen wir die Idee, man müsse die Sprache verändern, damit sich das Denken verändere; es sei also nötig, immer auch weibliche Formen oder geschlechtsneutrale Hilfskonstrukte zu verwenden (s.g. Sapir-Whorf Hypothese), weil sonst Menschen dächten, alle Grundschullehrer/Ärzte/Ökotrophologen seien Männer.
Tatsächlich ist es aber so, dass die Sprache geändert und erweitert wird, wenn die sprachlichen Möglichkeiten nicht ausreichen, etwas auszudrücken.
„Fremdschämen“ zum Beispiel, „Hater“ oder „prokrastinieren“ sind vergleichsweise neue Wörter, die gebildet wurden, um plötzlich relevante Dinge auszudrücken. ((Die Franzosen haben sogar ein Wort für die Angst, man könnte verrückt werden und springen, wenn man hoch oben steht…))
Es beschränkt also nicht die Sprache das Denken, sondern das Denken führt zu einer Veränderung der Sprache. Und wenn es eine relevante Menge von Menschen interessieren würde, ausdrücken zu können, dass eine Person möglicherweise Trans- oder a- oder bi-sexuell oder polyamorös sei, vielleicht aber auch nicht, dann würde auch hierfür eine sprachliche Möglichkeit gefunden. Tatsächlich aber interessiert es die meisten Menschen rein gar nicht, und darum können sich zu diesem Zweck ausgedachte „inklusive“ Schreibweisen auch nicht durchsetzen. Nichtmal das krampfige „Mit-Nennen“ der weiblichen Form wird im Alltag von einer nennenswerten Zahl von Menschen praktiziert. ((Da im Englischen, wo es keine geschlechtsspezifischen Endungen oder Artikel (mehr) gibt, auch alle sehr gut damit auskommen, dass die eine, noch benutzte Wortform z.B. bei den lateinisch-stämmigen Worten klar männliche Endungen hat (actor, proprietor, inventor …), fragt man sich sowieso, ob es nicht klug wäre vom Feminismus, wenn man aufhören würde vom generischen Maskulinum zu faseln und sich statt dessen einfach mitgemeint fühlen würde, wenn die männliche Form benutzt wird.))
Dass Menschen bei „einem Arzt“ weiterhin eher an einen Mann denken, hängt vielleicht einfach damit zusammen, dass weiterhin mehr Männer als Frauen als Arzt tätig sind. Weil viele Ärztinnen doch später lieber Teilzeit oder gar nicht arbeiten.
Das bringt mich zur zweiten feministischen These, nämlich, dass nur wenige Frauen in Fachgebiet X arbeiten wollen, weil es dort nicht genug weibliche Vorbilder gäbe. Diese These kann man sehr einfach anhand empirischer Erfahrungen widerlegen. Um 1900 gab es quasi keine Juristinnen oder Ärztinnen, heute sind über 50% der Absolventen in Jura oder Medizin Frauen. Wenn Frauen also etwas interessiert, dann spielt es überhaupt keine Rolle, ob dort viele Frauen sind – oder keine.
Es gibt also nicht deshalb wenig Interesse bei Frauen an Elektrotechnik, weil dort wenig Frauen sind, sondern es sind wenig Frauen in der Elektrotechnik, weil Frauen daran wenig Interesse haben.
Fast scheint es so, als sei die Umkehrung von Ursache und Wirkung der Standard-Kunstgriff des Gender-Feminismus, um auf einfache Weise eine scheinbar logische „Dekonstruktion“ von Fakten zu bewerkstelligen.
Das trifft ja auch bei der genderfeministischen These zu, es gebe gar keine Geschlechtsunterschiede. Nicht die Unterschiedlichkeit der Geschlechter führe zu unterschiedlichem Verhalten, sondern die Konditionierung zu unterschiedlichem Verhalten führe zu einer (scheinbaren) Unterschiedlichkeit der Geschlechter.
Einen gewissen Einfluß auf das Denken hat die Sprache aber schon. Ich will das mal an einem anderen Fall erläutern, bei dem es ebenfalls um „Ausgrenzung“ geht: die Verwendung der Begriffe „Deutschland“ und „Deutsche“. Zur Zeit der Teilung nach dem zweiten Weltkrieg hat sich das in Ost und West unterschiedlich entwickelt. Die SED hatte sich in den 60ern vom Ziel eines geeinten Deutschlands („Deutschland, einig Vaterland“ war Teil der Nationalhymne!) verabschiedet und die Zweistaatlichkeit als Status quo propagiert. Das schlug sich auch in der Sprache nieder: Fortan gab es – außer im historischen Kontext – kein Deutschland mehr, nur noch DDR und BRD, keine Deutschen, nur noch DDR- und BRD-Bürger. Immerhin wurde die Sprache noch als deutsch bezeichnet, auch das Konzept einer deutschen Nationalität (heute würde man Ethnie sagen) wurde aufrechterhalten. Im Westen wurde die Bezeichnung DDR – zunächst mit dem Zusatz „sogenannt“ – übernommen, die Abkürzung BRD allerdings als (angeblich) kommunistische Propaganda abgelehnt. Da die Langform „Bundesrepublik Deutschland“ aber zu unhandlich war, wurde meist nur „Bundesrepublik“ oder eben schlicht „Deutschland“ als Synonym benutzt. Dieser synonyme Gebrauch hat dann dazu geführt, daß mit „Deutschland“ oder „Deutschen“ häufig tatsächlich nur der Westteil gemeint war. Diese sprichwörtliche „Mauer in den Köpfen“ hat sich auch über die Wiedervereinigung gehalten (beispielsweise hieß es nach einem deutschlandweiten Studententreffen Anfang der 90er: „Es kamen Teilnehmer aus ganz Deutschland und aus den neuen Bundesländern“ – aus dem Gedächtnis zitiert, Quelle habe ich leider nicht).
Allerdings zeigt sich hier auch schön, wie absurd das Vorgehen des Feminusmus bzgl. generischem Maskulinum ist: wenn man nämlich nach diesem Muster propagieren würde, künftig von „Deutschen und Ostdeutschen“ zu sprechen, damit sich auch wirklich jeder angesprochen fühlt und nicht nur „mitgemeint“ ist, würde man diese Schere im Kopf nicht nur nicht bekämpfen, sondern im Gegenteil sogar verstärken und zementieren.
Deshalb frage ich mich oft, ob der exzessive Gebrauch der weiblichen Formen (Wählerinnen und Wähler, Schülerinnen und Schüler etc.), der ja gerade bei Politikern häufig nur wie eine direkt aus dem Kleinhirn gesteuerte Floskel wirkt, die behauptete Ausgrenzung von Frauen bei Beschränkung auf das Maskulinum verstärkt oder gar erst hervorgebracht hat.
Bezüglich „Deutschland“ als Synonym für „Westdeutschland“ in Westdeutschland denke ich, dass auch hier das Denken die Sprache geprägt hat: Ostdeutschland galt quasi als verloren, also wurde Westdeutschland zu „Deutschland“.
Dass das dann nach der Wiedervereinigung noch nachgehangen hat, sich aber langsam verflüchtigt hat, beweist meiner Meinung nach gerade nicht, dass die Sprache das Denken prägt.
Das liegt vielmehr allein daran, dass Menschen Gewohnheiten nur langsam ablegen.
Und es zeigt, dass „Sprachregelungen“ keine nachhaltige Wirkung gegen die Wirklichkeit entfalten (d.h. nach der Wiedervereinigung konnte sich Deutschland als Synonym für Westdeutschland nicht halten).