Eine Antwort an Sascha Lobo

Du schriebst auf SPON einen Artikel, den ich kommentieren möchte.

Erstmal: Dass sich die Zukunft nicht vorhersagen lässt ist eine Erkenntnis in dem Artikel, von der ich hoffe, dass Du sie schon früher hattest. Falls nicht hoffe ich, Du hast an der Börse nicht allzuviel verloren.

Wirklich interessant finde ich Deine Anmerkung, dass die als linke Idee geborene „Gegenöffentlichkeit“ jetzt real geworden ist; leider halt auch für „die Falschen“. Wenn ich so darüber nachdenke ist es tatsächlich tragisch, dass die schöne Idee von der Völkerverständigung zu einem internationalen Spionage-, Betrugs-, Überwachungs- und Propaganda-Netzwerk geführt hat, aber so ist es halt.

Weiterhin schreibst Du:

Die Welt wendet sich von der bürgerlichen Medienwelt des 20. Jahrhunderts und ihrem journalistischen Prinzip der Mäßigung ab. Von dem Prinzip, Nachrichten als Berichterstattung zu betrachten, objektiv und ausgewogen.

Hier möchte ich Dich fragen: Gibt es das journalistische Prinzip der Mäßigung überhaupt? In den Editorials, Glossen, Meinungsartikeln der real existierenden Welt doch eher nicht, und auch nicht im Fernsehen, wo — außer vielleicht in der Phönix-Runde — die ewig gleichen Politiker in immer nur leicht unterschiedlichen Konstellationen auftreten, die schon allein deshalb in keiner Weise objektiv sind, weil sie selbst Partei und Beteiligte in der Sache sind, die sie diskutieren.
Wer hat denn unter den heute lebenden Journalisten jemals die Maxime beherzigt, dass man sich gerade mit den besten Sachen nicht gemein machen sollte?
Wer redet denn heute solange von mutmaßlichen und angeblichen Sachverhalten, bis die Ermittlungen beendet sind, wer nutzt bei der Wiedergabe von Behauptungen den Konjunktiv Präsens, wer wahrt Distanz, recherchiert nach, ist skeptisch, nimmt nicht Partei? Mir scheint: Keiner. Auch Du nicht, Sascha.

Möglicherweise ist Trump ein Rassist und Sexist. Aber wir kennen nur die Sekundärberichterstattung darüber und nicht den gesellschaftlichen Kontext, in dem Trump seine Sprüche reißt. Es scheint ja so zu sein, dass diese Sprüche für viele US-Amerikaner zumindest einen wahren Kern haben. Und wenn Trump sagt, man komme als reicher und prominenter Mann auch mit sexueller Belästigung ungestraft durch, dann ist wahrscheinlich auch das die bittere Wahrheit. Neulich hat doch dieser Grüne gesagt, alle Männer seien potenzielle Vergewaltiger. Hat er damit nicht gemeint, dass die allermeisten Männer quasi-trumpsche Gedanken in sich tragen? Also alle Sexisten sind? Und damit quasi per Geschlecht eigentlich heute nicht (mehr) tragbar sind? Auch linke Männer?

Apropos Linke:
Wer sich auf Twitter einmal mit „linken, progressiven“ Menschen auseinandergesetzt hat, der weiß, dass Hass, Drohungen, Sexismus und Beleidigungen mitnichten ein Problem sind, dass man einem bestimmten politischen Lager zuordnen könnte, sondern ein Problem von hitzköpfigen Ideologen allgemein, was auch Linksextremisten, Umwelt-Verschwörungstheoretiker, sexuell in besonderer Weise Orientierte, Atheisten, Fans irgendwelcher Personen, Gruppen oder Vereine, Tier-, Frauen-, Männerrechtler, Veganer oder Waffenfreaks sein können. Also alle, die meinen, irgendwie ausgewählt oder erleuchtet zu sein und in Folge dessen die Wahrheit gepachtet zu haben.
Der schwule linke Stalker-Pirat aus Berlin, der seinen Ex-Freund und sich selbst getötet hat, ist nur ein besonders krasses Beispiel, dass ein links-progressiver Intellekt kein Garant für sozialverträgliches Verhalten oder Triebkontrolle ist. Und unter linken Ex-Piraten in Berlin finden sich sicher noch weitere aggressive Männer, die unter der Flagge und im Schutz ihres linksprogressiven Aktivismus ihre Mitmenschen ohne Skrupel ihrem wohlmeinenden Tugend-Terror aussetzen.

Der Kampf gegen „Hatespeech“, werter Sascha, ist schon deshalb aussichtslos, weil es ein Kampf gegen die fünf bis zehn Prozent Extremisten, Dummköpfe und Gestörten in der Bevölkerung ist, die es immer gab und immer geben wird. In einem Rechtsstaat mit freie Meinungsäußerung müsste auch jeder Einzelfall von „Hatespeech“ erstmal juristisch aufgearbeitet werden, und das wird niemals möglich sein.
Oder möchtest Du gerne, dass die großen sozialen Netzwerke durch „Hausregeln“ bestimmen, was dort zulässig ist und was nicht, und dadurch die Spaltung der Gesellschaft durch eine Aufteilung auf politisch verschieden ausgerichtete soziale Netzwerke noch weiter verstärkt wird? Möchtest Du in einem Land leben, in dem das Justiz- und Familienministerium bestimmen, was im Internet erlaubt und was „Hatespeech“ ist, und möchtest Du das auch dann noch, wenn ggf. „die Falschen“ an der Macht sind?

Du solltest Dich, wie es so schön heißt, „ehrlich machen“: Hinter der ganzen verbalen Gewalt im Internet stecken nicht nur, und nicht einmal mehrheitlich, Rechte. Es gibt allgemein ein Problem mit Menschen, die von ihren Überzeugungen so überzeugt sind, dass sie die Überzeugungen anderer nicht einmal mehr tolerieren können. Die keinen Zweifel zulassen können und keine Argumente, die nicht in der Lage sind eine Antithese zu ihrer These zu ertragen und zu be-denken und folglich auch nie zu einer Synthese kommen können.

Du schreibst:

Und wir – ich auch – müssen unsere Fehler erkennen. Dringend. Wir, die publizistisch und aktivistisch gegen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus gekämpft haben, hier in Europa. Wir müssen unsere Fehler in den kommenden Wochen, Monaten, Jahren analysieren und daraus Konsequenzen ziehen. Wo haben wir gehofft, statt zu erkennen? Wo haben wir ignoriert, statt hinzusehen? Wo haben wir geschwiegen und geduldet, statt zu sprechen und zu handeln? Wo lagen wir schlicht und ergreifend falsch?

Was habt ihr also falsch gemacht? Was hast Du falsch gemacht? Ich glaube, der Fehler liegt gerade darin, mit rechtschaffenem Zorn ständig publizistisch und aktivistisch gegen andere Weltsichten zu kämpfen. Wer ständig kämpft und statt politischen Gegnern nur noch weltanschauliche Feinde sieht, wer nicht einmal mehr den Versuch macht, die Motive der Gegenseite zu verstehen, der wird nie so etwas wie gesellschaftlichen Frieden erreichen.
Leider, Sascha, bist Du nicht Michael Moore, der nicht nur Aktivist ist, sondern sich auch für seine Gegner interessiert und mit diesen geredet hat.

Wer aus Prinzip „den Rechten“ keinen Fuß breit Raum lassen will, und dabei „rechts“ immer breiter definiert, bis es auch „rechts“ ist, nicht begeistert über Immigration zu sein, nicht an den Klimawandel zu glauben oder auch nur ein alter weißer Mann zu sein, der drängt schließlich soviele Menschen so weit in die rechte Ecke, dass dieser Kampf schließlich nicht mehr zu gewinnen ist. Man gewinnt keine Herzen und Hirne, indem man erwachsene Menschen „erziehen“ will und wie dumme Kinder behandelt, denen man alles nur besser erklären müsste, damit sie verstünden, was die klugen Intellektuellen und die Regierung sich Segensreiches ausgedacht haben. Die Leute verstehen möglicherweise tatsächlich nicht die Details politischer Konzepte, aber sie verstehen, dass Politik im Endeffekt auch für Politiker weniger Wissenschaft als Try & Error ist.
Sie verstehen auch, dass Politik, die sich nicht mehr traut etwas zu entscheiden und statt dessen Millionen von Beraterstunden bei McKinsey kauft, ebenfalls nichts mehr versteht und schwach und manipulierbar ist.

Ihr müsstet erkennen, dass Eure progressive Weltsicht und Definition von allen Formen von *ismus nur eine Sichtweise ist. Das Problem ist nicht, dass ihr geschwiegen und geduldet hättet, sondern dass ihr ständig nur geredet und gehandelt habt um Eure Agenda durchzudrücken, anstatt auch mal zuzuhören. Mal die Welt durch andere Augen zu sehen. Mal ‐ Achtung altes Wort — demütig zu sein.
Denkt doch mal an Hanlon’s Razor, „Schreibe nichts der Böswilligkeit zu, was durch Dummheit hinreichend erklärbar ist.“, und fragt Euch dann, ob es etwas bringt, wenn man Menschen, die es nicht besser wissen, als Idioten und Nazis beschimpft.
Vielleicht sollte man sich auch mal einlassen auf die anderen, so wie Casey Jaye, die Feministin, die einen feministischen Film drehen wollte und dabei erkennen musste, dass auch Männerrechtler Menschen mit berechtigten Anliegen sind.

Wie steht es übrigens mit den scheinbaren Gewissheiten, Sascha, die man sich im linksprogressiven Lager so zurechtgelegt hatte? Glauben noch alle, dass Pazifismus eine tolle Idee ist im Zeitalter von Erdogan und Putin? Dass es gar keine Probleme mit Geflüchteten gibt? Ist es eigentlich noch links gegen Freihandel zu sein, jetzt, wo Trump es auch ist? Was ist noch übrig von Eurem Weltbild, wo wollt ihr hin, und, Sascha, wie wollt ihr das Lumpenproletariat dahin mitnehmen?

7 Gedanken zu „Eine Antwort an Sascha Lobo

  1. Skythe

    Nicht polemisch gemeint, aber: was hast du mit deiner Weltsicht jemals bei den Piraten gemacht? ^^

    Serveradmin, hoffe ich, denn mit dem Parteiprogramm gabs da ja kaum Überschneidungen.

    1. Autor Beitragsautor

      Hallo Skythe,

      ich hatte gedacht, für linkssozialliberale Realos wäre Platz bei den Piraten. Und die Idee der evidenzbasierten Politik, des „post-Gender“ und des Politik-Hackens fand ich auch gut.

      Hacken geht bekanntlich nur, wenn man ein System und seine Spielregeln versteht, und da mangelt es meiner Meinung nach bei den Piraten teilweise erheblich – in ganz vielen Fragen.

      Darum hat am Ende nicht die Piratenpartei das System gehackt, die Linksradikalen haben die Piratenpartei gehackt.

      Was das Parteiprogramm angeht, halte ich es weiter für einen großen Fehler, das Vollprogramm beschlossen zu haben. Dadurch sind zu viele teils strittige Punkte ins Programm gekommen, für die es möglicherweise auf dem jeweiligen Chaos-BPT nur zufällig gerade eine Mehrheit gab, was den inneren Zusammenhalt der Partei nachhaltig zerstört hat.

      Besser wäre es gewesen, eine Sparten-Partei zu bleiben, bis die Partei sich innerlich konsolidiert hat.

      1. Skythe

        Da hast du sicher in allen relevanten Punkten recht.

        Aber wahrscheinlich bist du (ohne es zu wissen) auch teil der (rechts-konservativen) Seite der Sollbruchstelle, die die Piraten am Ende dahingerafft hat. Die andere Seite wurde eben von links-progressiven Kräften gestellt, und zu denen würde ich dich nun wirklich nicht zählen.

        Mein Punkt war: die Piraten waren für die wahrscheinlich meisten Menschen (wie mich) niemals eine konservative Partei. Eine konservative Partei schreibt sich nicht auf die Fahne, alles ändern / entern zu wollen. Eine konservative Partei ist per Definition mit dem status quo ganz zufrieden.

        Deshalb hast du vielleicht nie in diese Partei gepasst. Ohne Wertung! Außer, deine Einstellung hat sich erst später um 180° gedreht.

        1. Autor Beitragsautor

          Ich glaube nicht, dass die sozialliberalen Kräfte die Partei „dahingerafft“ haben (das mit dem rechtskonservativ ignoriere ich mal…).

          Viel mehr glaube ich, dass die Piraten sich massiv damit übernommen haben „alles zu ändern“. Dieser „revolutionäre Impuls“ führt fast nie zu guten Lösungen und fast immer zu dysfunktionalen Schnellschüssen.

          In eine Partei, die die einfachsten Dinge nicht auf die Reihe bekommt, weil sie sich dabei verzettelt, alles ganz neu und alles auf einmal machen zu wollen, habe ich tatsächlich nie gepasst.

          1. Skythe

            Ich habe nicht geschrieben, „dass die sozialliberalen Kräfte die Partei dahingerafft haben“, sondern dass du wahrscheinlich teil der konservativen Seite der Sollbruchstelle warst. Es gab auch die andere Seite der Sollbruchstelle, die euch gegenüberstand. Zwei Seiten eines Grabens.

            Und ich glaube, deine Seite war weit in der Unterzahl. Oder einfach weniger laut. ;)

            1. Autor Beitragsautor

              Warum redest Du eigentlich von einer Sollbruchstelle. Keine Partei hat eine Sollbruchstelle.

  2. Elmar Diederichs

    Interessanter Artikel.

    Ich würde an zwei Stellen folgende weiterführende Fragen stellen:

    „Möglicherweise ist Trump ein Rassist und Sexist.“
    Nehmen wir mal an, daß das wirklich zu ist. Und nehmen wir weiter an, daß das moralisch untragbar wäre. Inwiefern tangiert das sein passives Wahlrecht, sein Recht, sich wählen zu lassen? Die Massenmedien predigen, daß man berechtigt sei, seine Wahl auch mit Gewalt zu verhindern. Welche Vorstellung kann so einen Standpunkt legitimieren?

    „Hinter der ganzen verbalen Gewalt im Internet stecken nicht nur, und nicht einmal mehrheitlich, Rechte.“

    Hier das analoge Problem: Wer etwas de facto in Übereinstimmung mit der richtigen Moral tut, scheint schon aus begrifflichen Gründen nicht Böses tun zu können. Welche Menge von Meinungen macht einen solchen Standpunkt möglich und verständlich?

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