Nahles, die AfD, und Erzählungen, die sich ändern

Heute hörte ich im Deutschlandfunk, die Maßnahme von Andrea Nahles, EU-Inländern Sozialleistungen erst nach längerer Wartezeit zuzugestehen, wenn diese nicht vorher in Deutschland sozialversicherungspflichtig gearbeitet haben, sei „gedacht, um der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen“ (oder so ähnlich).
Die rechtspopulistische Propaganda, die die AfD verbreite, könne nicht mehr verfangen, da Nahles die Grundlage von Behauptungen, Deutschland werde von Ausländern ausgeplündert (oder so ähnlich), damit zerstört habe.

Ich finde diese Interpretation von Nahles Handeln deswegen interessant, weil es noch vor kurzem geheißen hätte, wer wegen der AfD Sozialleistungen für EU-Inländer Kürze, der gieße Wasser auf die Mühlen der AfD und bestätige deren Erzählung. Der bestätige die Vorurteile, Ausländer seien Schmarotzer etc., und gebe damit den Rechten nur noch mehr Aufwind.

So gesehen hat die AfD tatsächlich schon etwas verändert in Deutschland. Die SPD hat sich anscheinend entschlossen, sogenannte „besorgte Bürger“ nicht mehr als Pack und Nazis zu bezeichnen, sondern doch eher auf sie zu hören. Die ganze politische Lage, die Erzählungen sind ins Wanken geraten, plötzlich ist alles ganz anders als noch vor ein paar Wochen.

Aber wenn das so ist, und jetzt schon der Zugang zu Sozialhilfe für EU-Inländer gekürzt wird — was hat dann die Million Flüchtlinge von der SPD zu erwarten?

Ich weiß es nicht, aber wir leben in spannenden Zeiten, in denen Deutschland nach langen, gemütlichen Jahren geopolitischer Langeweile im Herzen Europas plötzlich damit konfrontiert ist, dass Geopolitik auch Auswirkungen auf Deutschland hat; dass Deutschland nicht länger alles mit Chequebuchdiplomatie regeln kann; dass die Realität es nicht länger hergibt, sich als moralische Supermacht zu gerieren, weil die Weigerung, seiner eigenen Großzügigkeit und Menschlichkeit realistische Grenzen zu setzen, in der Flüchtlingskrise innenpolitisch doch zu teuer geworden ist.

Plötzlich wird es nötig, dass Deutschland Position bezieht, seine Interessen benennt und verteidigt; plötzlich kann Deutschland nicht mehr Everybody’s Darling sein, sondern muss gegenüber Griechenland Härte in der Eurokriese zeigen, sollte die Demokratie auch in der Türkei verteidigen, und muss möglicherweise demnächst auch selbst sagen, dass man bei Migration gern eine höchst egoistische Auswahl treffen und jeden, der Deutschland nicht nützt, wieder ausweisen wird. Deutschland muss sich fragen, ob es sich den USA, die bei der Spionage keine Freunde kennen, mittels TTIP um den Hals werfen, oder lieber etwas Abstand halten will.
Ich glaube und hoffe wir erleben, wie Deutschland politisch erwachsen wird, weil die äußere und in Folge dessen auch die innere Situation es erfordert, sich weiterzuentwickeln und pragmatische Ansätze zu finden, anstatt fruchtlose akademische Debatten über liebgewonnene, aber nutzlose bzw. realitätsferne politische Theorien zu führen.

5 Gedanken zu „Nahles, die AfD, und Erzählungen, die sich ändern

  1. Skythe

    Ich hab dich vor Urzeit mal nach deinem Twitter gefragt, weil ich deine Texte zu Feminismus und zum Niedergang der Piraten gut fand. Vielleicht erinnerst du dich.

    Wenn ich dein Blog jetzt, vielleicht 2-3 Jahre später, anschaue, könntest du auch dem AFD-Kreisverband Jena Ost angehören. Du erfüllst alle Klischees des braunen, rechten Maskulisten. Was ist passiert?

    Wenn ich dich morgen bei einer Pegida-Demo treffe – wo stehst du? Bei den reichsflaggenschwingenden Naziglatzen um Bachmann? Bei den Buh-Rufern? Bei den unbeteiligten Zuschauern?

    1. Autor Beitragsautor

      Du triffst mich überhaupt nicht auf Demos.

      Es trifft mich natürlich etwas, dass Du meinst, ich hörte mich wie ein brauner Maskulist an, aber andererseits bin ich seit der Stippvisite der linksbizarren Genderspinner bei den Piraten ziemlich gleichgültig, wenn jemand meint den Versuch unternehmen zu müssen, mich in rechte Ecken zu stellen.

      Alles, was ich in meinem Blog schreibe, ist weder justiziabel noch unethisch, von daher bezweifle ich, dass man mir irgendwelche substanziellen Vorwürfe rechter Gesinnung machen kann.

      1. Skythe

        Es ist interessant, dass du eine „Ich tue nichts verbotenes“-Verteidigung wählst. Das habe ich nie behauptet.

        Dein letzter Absatz heißt zusammengefasst: „Ich habe gegen kein Gesetz verstoßen, und ihr habt keine Beweise“. Ein „Ich bin nicht rechts“ ist das ganz und gar nicht – eher eine Bestätigung.

        Dass du auch der Frage ausweichst, auf welcher Seite du stehst, lässt mich annehmen, dass du noch nicht bereit bist, offen zu deiner rechten Gesinnung zu stehen.

        Ein bisschen Islam-Bashing, ein bisschen Orakeln vom „sozial-ökologische[n] Chaos“ und jeder zweite Artikel dreht sich inzwischen um die Gefahr aus Afrika.

        Schade. Wirklich.

        1. Autor Beitragsautor

          Jeder weiß doch mittlerweile, wie das läuft – wer sagt, er sei nicht rechts, ist rechts, nach dem Motto „Wer sich verteidigt, klagt sich an.“ Und wer nicht sagt, er sei nicht rechts, der hat sich nicht genug distanziert?

          Das ist doch Kindergarten, und Du weißt das.

  2. Pingback: JAWO am Mittwoch – KW 18/2016 – Ronja von Rönne - NICHT-Feminist

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