Merkel und die Flüchtlingskrise

Wie viele Menschen mache ich mir ein wenig Sorgen wegen der „Flüchtlingskrise“.

Ich habe mich aber zu der Sichtweise durchgerungen, dass das, was wir gerade erleben, ein Musterbeispiel merkelscher Politik ist.

Statt wie Sigmar Gabriel davon zu reden, man könne künftig 500.000 Migranten pro Jahr vertragen, hat Frau Merkel zum Beispiel bzgl. Einwanderung noch überhaupt nichts gesagt. Ja, man will Flüchltingen großzügig Asyl bieten und Integrationshilfe, aber von Einbürgerung hat sie nicht gesprochen. Gleichzeitig erweckt sie aber den Eindruck, Deutschland könne oder wolle größere Mengen von Flüchtlingen ggf. auch einbürgern.

Außenpolitisch lässt Merkel damit Deutschland als moralischen Sieger dastehen, und baut dadurch gewaltigen Druck auf den Rest der Welt und Europa auf, ebenfalls zu helfen. Dadurch könnte mittelfristig der Großteil der Flüchtlinge, deren Aufnahme Deutschland angeblich plant, doch noch in andere Länder abfließen, und der Flüchtlingszustrom nach Deutschland würde sich ggf. auf ein normales Maß reduzieren.
Man darf auch nicht vergessen, dass Merkel formal auf der Einhaltung von Dublin II festhält. Und weil quasi Null Flüchtlinge per Flugzeug oder an der Nordsee ankommen, kann Deutschland rein formal nicht einmal zur Aufnahme eines einzigen Flüchtlings verpflichtet werden. Nötigenfalls kann man auch bei unregistrierten Flüchtlingen die Aufnahme verweigern. Weil das so ist, kann Deutschland hier ggf. jederzeit politischen Druck auf Ungarn oder Österreich aufbauen.

Auch die halbe islamische Welt lässt Merkel im Sinne des Ausspruches des Großmufti Muhammad Abduh, Ich ging in den Westen und sah Islam, aber keine Muslime. Ich kehrte in den Osten zurück und sah Muslime, aber keinen Islam. schlecht aussehen.
Es ist geradezu erdrückend offensichtlich, dass die europäische Kultur der Säkularisierung und Aufklärung, von Demokratie und Rechtsstaat, anderen Kulturen gerade im nahen Osten doch haushoch überlegen ist. Das bietet Merkel, die häufiger gesagt hat, „Multikulti“ sei gescheitert, die Gelegenheit, bei einer möglicherweise anstehenden Neudefinition von Einwanderungs- und Asylrecht eine klare christdemokratische Kante zu zeigen, also nationale Interessen bei der Auswahl von Migranten klar und eindeutig einfließen zu lassen.

Die aktuelle Krise kann Merkel auf jeden Fall nutzen, um verkrustete Strukturen in Deutschland handstreichartig aufzubrechen.
Lächerliche neueste Vorschriften bezüglich Feuerschutz und Geländerhöhe etc., die die Nutzung von Gebäuden zur Unterbringung von Flüchtlingen formaljuristisch unmöglich gemacht hätten, werden „bis auf weiteres“ außer Kraft gesetzt, neue Querfinanzierungsmöglichkeiten zwischen Bund und Ländern und Kommunen geschaffen, Staaten wohl ohne größeren Widerstand (z.B. wegen Bedenken bezüglich der Lage der Roma etc.) zu sicheren Drittländern erklärt, und wer weiß, für welche unter anderen Umständen undurchsetzbaren Reformen sich die aktuelle Situation noch nutzen lässt.

Manch einer wird sich ggf. später noch die Augen reiben, falls Merkel die Chance nutzt, hier richtig „durchzuregieren“. Merkel wird CSU, Linke und SPD rechts und links gleichzeitig überholen, möglicherweise Reiche besser besteuern, möglicherweise den Sicherheitsbehörden neue Rechte für den Kampf gegen Terrorismus und organisiertes Verbrechen geben, möglicherweise die Bundeswehr aufrüsten, möglicherweise die Regeln für Aufenthaltsrecht, Familiennachzug, Duldung und Abschiebung verschärfen, die Möglichkeit von medizinischen Zwangsuntersuchungen zur Bestimmung der Herkunft und des Alters von Asylbewerben schaffen, möglicherweise die EU mehr nach dem Willen Deutschlands umgestalten.
Das alles unter Ausnutzung der Krisensituation, der „Stunde der Exekutive“, unter Ausnutzung des Momentums, das sich aus der Situation ergibt und ermöglicht, sonst unüberwindbare Widerstände zu überwinden, bzw. um ein Bild zu verwenden, den ansonsten in einem gesellschaftspolitischen Stellungskrieg tief eingegrabenen politischen Gegner blitzartigt zu überrollen.

Sogar die Finanzkrise lässt sich so ggf. einfacher überwinden, denn vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise kann man die Probleme Griechenlands und anderer Länder als lächerliche First-World-Problems darstellen, und als „Hauptziele“ von Flüchtlingen sind z.B. Griechenland und Italien auf Hilfe der EU angewiesen und damit in einer eher schlechten Verhandlungsposition gegenüber Deutschland.

Ich glaube keine Minute, dass Merkel als Frau, Ostdeutsche, promovierte Naturwissenschaftlerin und Pfarrerstochter und nicht zuletzt Machtpolitikerin wirklich vorhat, Millionen junge muslimische und hauptsächlich männliche Flüchtlinge immigrieren und ggf. ihre Familien nachziehen zu lassen.
Ich glaube, Merkel wird wie bisher immer unterschätzt. Während Gesellschaft und Medien in hektischem Aktionismus verfallen sind und taktische Überlegungen anstellen, entwirft die Kanzlerin wahrscheinlich längerfristige, ganzheitliche Strategien, die Deutschlands Vormachtstellung in Europa festigen werden. Der wirtschaftlichen Dominanz fügt sie eine moralische Autorität hinzu.
Geostrategisch pflegt Deutschland mit den USA und Israel, aber auch mit dem Iran, den Kurden und der Türkei gute Beziehungen. Die Peschmerga hat man schon für den Kampf gegen den IS ausgerüstet, in Afghanistan gekämpft, im Irak geholfen, etc.. Es würde mich nicht wundern, wenn Merkel die Krise vielleicht nutzen würde, auch militärisch weiter in der Region Einfluss zu nehmen. Eine europäische Friedensmission in Libyen, möglicherweise mit einer Aufteilung des Landes in verschiedene autonome Regionen, unter Zerschlagung der lokalen IS-Präsenz, könnte ein Baustein einer Lösung zur Befriedung Nordafrikas sein und die Flüchtlingswelle verringern.

Ein Gedanke zu „Merkel und die Flüchtlingskrise

  1. peter Beitragsautor

    Es scheint, ich habe mich geirrt. Anscheinend hat Frau Merkel kein geniale Konzept in der Schublade. Schade.

Kommentare sind geschlossen.