Unwort des Jahres 2014 – „Lügenpresse“

„Lügenpresse“ ist Unwort des Jahres 2014. Ich finde es bedauerlich, dass „Erweiterte Verhörmethoden“ nicht gewonnen hat, denn „erweiterte Verhörmethoden“ ist ein grauenhafter Euphemismus für Staats-Folter. Hier wäre eine symbolische Verurteilung durchaus angebracht gewesen, denn leider hat Frau Merkel meines Wissens nie gesagt, dass Folter „gar nicht geht“. Und auch sonst waren Medien, Politiker und Preisverleiher peinlich zurückhaltend bei der Verurteilung der Folter-Verbrechen unserer amerikanischen Freunde bzw. deren letzten Regierungen und deren Exekutivorganen.

„Lügenpresse“ hingegen ist ein Wort, das — Nutzung in der Nazi-Zeit hin oder her — meiner Meinung nach durchaus legitim ein Unbehagen mit der Arbeit „der Presse“ ausdrückt, das weit verbreitet war im Jahre 2014.

Denn leider ist es so, dass zum Beispiel das Bild-Blog täglich Beweise findet, dass die Presse tatsächlich ziemlich häufig verfälscht, verfärbt oder unterschlägt, schlecht recherchiert, und man manchmal durchaus den Eindruck bekommen kann, dass die Presse vorsätzlich lügt bzw. manchmal mit zweierlei Maß misst – unabhängig von der eigenen politischen Couleur.

Dass die Krautreporter — wahrscheinlich eher kein rechtes Projekt — 2014 gegründet wurden, zeigt meiner Meinung nach recht eindeutig, dass „die Presse“ 2014 in Deutschland tatsächlich allgemein ein Glaubwürdigkeitsproblem hatte. Warum sonst sollte sich ein Projekt crowd-sourcen, dass sich transparenten, gut recherchierten, unabhängigen, von Personen mit Haltungen und Werten produzierten, nicht von einer „Verlagslinie“ beschränkten Journalismus auf die Fahnen geschrieben hat?

Darum erscheint es mir widersinnig, dass ein Begriff, der eine allem Anschein nach reale, wachsende Unzufriedenheit mit der Presse ausdrückt, zum Unwort erklärt wird, nur weil irgendwelche Spacken den Begriff vor 70 Jahren auch mal benutzt haben und weil Pegida ihn jetzt auch wieder benutzt. Die Nazis haben übrigens auch den Begriff „Verschärftes Verhör“ geprägt, also den deutschen Vorläufer der englischen „enhanced interrogation techniques“. Hier hätte sich also angeboten, eine konkrete Verurteilung von Folter geschickt mit einer symbolischen Verurteilung von Nazi-Vokabular zu verbinden.

Statt dessen verurteilt man das Wort ausgerechnet jetzt, obwohl es eine durchaus berechtigte Kritik in zuspitzender Weise zu formulieren und damit legitim zu sein scheint. Denn auch von linker Seite gab es Beschuldigungen, die Medien würden einseitig und verfälschend berichten, zum Beispiel in Bezug auf den Ukraine-Konflikt; auch wenn man unter Linken eher von „der Systempresse“ spricht — der Grundtenor ist der selbe, die Glaubwürdigkeit der Medien ist anscheinend in allen politischen Lagern erschüttert.
Man verurteilt also das Wort — nach einer durchaus leidvollen Geschichte als Wort von Hetzern und Diktatoren — in einem denkbar schlechten Augenblick.
Noch ungeschickter als die Jury in dieser Sache agieren leider jene (vielen) Medien, die diese Wahl nun aufgreifen und sich selbst von allen Vorwürfen freisprechen. Das wirkt arrogant und ungeschickt und ist nicht geeignet, das Vertrauen in die Medien wiederherzustellen.

Gott sei Dank bin ich nicht der einzige, der die Wahl schlecht findet (NZZ).

4 Gedanken zu „Unwort des Jahres 2014 – „Lügenpresse“

  1. lawgunsandfreedom

    Es gibt auf den Nachdenkseiten die Begründung einer der Leute, die das Wort „Lügenpresse“ als Unwort des Jahres ausgewählt haben. Es zeigte mir vor allem, was in den Köpfen der Jury vorging. Das ist zwar nachvollziehbar, aber unbefriedigend, denn es zeigt, wie willkürlich da vorgegangen wird.

    Bei ScienceFiles wird die Argumentation dann schön zerlegt.

    Nachdenkseiten: http://www.nachdenkseiten.de/?p=24552
    ScienceFiles.org: http://sciencefiles.org/2015/01/13/von-der-lugenpresse/

    Das semantische Minenfeld wird von interessierten Kreisen immer weiter vergrößter. Interessante Taktik …

  2. Seitenblick

    Letztlich ist es doch eine altbekannte Vorgehensweise: Statt sich damit auseinanderzusezten, ob hinter dem – sicherlich polemischen – Ausdruck Lügenpresse sachliche Gründe für Medienkritik stehen, versucht man, die Kritiker über eine Wortgeschichte zu denunzieren. Es handelt sich somit um eine Variante des ad-personam-Angriffs, und sie dient in erster Linie dazu, die Diskussion sachlicher Gründe zu verhindern durch mittelbare Denunziation.

    Und: Ich finde ebenfalls den Euphemismus „erweiterte Verhörmethoden“ zynischer und verurteilungswürdiger. Aber diese Diskussion, bei der es auch um Wertediskussion gegangen wäre, die wurde in der Presse doch recht knapp geführt.

  3. Graublau

    „Dass die Krautreporter (…) 2014 gegründet wurden, zeigt meiner Meinung nach recht eindeutig, dass “die Presse” 2014 in Deutschland tatsächlich allgemein ein Glaubwürdigkeitsproblem hatte. Warum sonst sollte sich ein Projekt crowd-sourcen, dass sich transparenten, gut recherchierten, unabhängigen, von Personen mit Haltungen und Werten produzierten, nicht von einer “Verlagslinie” beschränkten Journalismus auf die Fahnen geschrieben hat?“

    In dem Punkt wage ich zu widersprechen: Aus dem Lancieren eines solchen Projektes alleine kann man nicht schließen, dass es faktisch notwendig war, sondern nur, dass es hinreichend viele Leute für unterstützenswert gehalten haben. Ansonsten wäre Anita Sarkeesians Videoreihe auch ganz dringend notwendig gewesen.

    Oder umgekehrt: Ist es erst 2014 gegründet worden, weil vorher kein Bedarf bestand? Das glaube ich nicht. Stefan Niggemeier sowie diverse andere Journalisten und Blogger haben seit ca. 10 Jahren im Netz immer wieder die Misere des moderenn Journalismus zur Sprache gebracht.

    1. peter Beitragsautor

      Mein Punkt ist hier, dass das Gefühl, dass der Begriff ausdrückt, schon länger bestand, nicht nur auf Seiten von „rechten Pegida-Chaoten“, sondern auch auf der anderen Seite des politischen Spektrums, siehe z.B. den Ukraine-Konflikt, wo von linker Seite der Vorwurf erhoben wurde, die Maidan-Bewegung bestünde aus Faschisten, und dies werde von den deutschen Medien bewusst verschleiert, etc..

      (Ich habe den Artikel jetzt entsprechend modifiziert)

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