Die CSD-Saison

In den USA, in New York, wo am 28.6.1969 im „Stonewall Inn“ in der Christopher Street in New York der sogenannte Stonewall Riot ausbrach ((und ich würde nicht wetten, dass das die Mehrheit der deutschen CSD-Besucher überhaupt weiß)), gibt es bis heute den LGBT Pride March, zu dem Ende 1969 (für den Juni 1970) erstmalig unter dem Titel „Christopher Street Liberation Day“ aufgerufen wurde, und der konsequenterweise immer am letzten Wochenende im Juni stattfindet.
Wie ich finde eine sehr würdige und angemessene Veranstaltung um an die Diskriminierung von Homosexuellen in den USA in den 1960ern zu erinnern, wobei man natürlich nicht vergessen darf, dass auch heute noch allenthalben Defizite bei der Gleichberechtigung gewisser Minderheiten bestehen, in den USA und anderswo.

Weniger würdig finde ich leider, dass in Deutschland jede mittelgroße Stadt ihren eigenen CSD veranstaltet, so dass es dutzende kleiner, mitunter eher kläglicher CSD-Umzüge gibt. Veranstaltet von Menschen und Städten, die dies mitunter — dem Anschein nach — nur tun, um sich selbst weltoffen und tolerant zu zeigen bzw. eher nur zu geben. Wo dann mitunter nur eher wenige richtige, überzeugte LGBT-AktivistInnen herumlaufen, und Mitglieder von politischen Jugendorganisationen, Parteien, Sponsoren und irgendwelchen Grüppchen, die auf den „CSD-Zug“ aufspringen und in die Lokalzeitung wollen, manchmal die „optische Mehrheit“ stellen.
Dass es von Juni bis August immer mal wieder irgendwo einen CSD gibt macht die Berichterstattung darüber ermüdend und langweilig. Yet another CSD? Ach was!
Beim dritten CSD, also schon Anfang Juni, interessiert dieser ggf. keinen mehr, und das Thema ist auch medial verbrannt. Lediglich die Lokalzeitungen, die davon teilweise leben, betreiben wahrscheinlich den üblichen Verlautbarungsjournalismus und drucken die Pressemitteilungen der jeweils beteiligten Gruppen und Grüppchen ab, aber relevante überregionale Medien werden wahrscheinlich einen großen Bogen um die allermeisten CSDs machen oder vielleicht sogar über keinen einzigen berichten.

Aus dem einen, großen Event, das an ein wichtiges historisches Ereignis erinnert, hat man in Deutschland eine Art langatmiger hedonistischer zweiter Karnevals-Saison gemacht.
Das finde ich schade. Denn obwohl ich die Anliegen der LGBT-AktivistInnen in vielen Bereichen für durchaus unterstützenswert halte, nervt mich die CSD-Karnevalssaison in ihrem Verlauf genau so wie die „richtige“ Karnevalssaison in deren Verlauf. Denn natürlich können Menschen sich auf ein Event freuen und dann ausgelassen und fröhlich sein – aber wenn das jede Woche ist, dann glaubt mein Unterbewusstsein einfach nicht mehr daran, dass das „echt“ ist. Egal ob sich die Veranstaltung CSD nennt oder Prunksitzung und aufgrund welcher Tradition Menschen plötzlich als Kopie der Village People oder Darsteller in „ES“ verkleidet sind.

Ich glaube, es würde der politischen Sache gut tun, wenn man auch in Deutschland zu einem oder zumindest wenigen am gleichen Tag stattfindenden CSDs finden könnte. Die aktuelle zeitliche und personelle Überstreckung führt zu vielen wenig beeindruckenden und in ihrer Masse die jeweilige Relevanz reduzierenden Regional-CSDs mit einem gewissen Nerv-Faktor, bei denen der historische, LGBT-politische Hintergrund angesichts der mitunter karnevalesken Züge und der Einmischung jeder unbedeutenden lokalen politischen Gruppe, Sponsoren etc. total untergeht.

Homophobie-Vorwürfe nehme ich natürlich billigend in Kauf, gern auch in den Kommentaren.