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Frau Stokowski und die #Cancelculture

Wenn man das Werk eines Künstlers (oder die Aussagen eines Politikers) nicht mag und das äußert, dann ist das Kritik.
Wenn man dabei herabsetzend oder beleidigend vorgeht, nennt man das heute „Hetze“, früher Schmähkritik oder vielleicht Beleidigung.

Und wenn man behauptet oder impliziert, das Werk sei deshalb schlecht, weil der Künstler selbst schlecht sei, das schlechte oder falsche Werk sei also ein Abbild des „verdorbenen Charakters“ des Künstlers, die Kunst sei also aufgrund des „entarteten Charakters“ des Erschaffers so falsch, böse, schlecht etc. wie es eben sei, und wenn man deswegen dann versucht, den Künstler durch öffentlichen Druck, Hetze oder Gewalt an weiteren Werken zu hindern, bzw. die Grundlage seines Schaffens (Job, finanzielle Mittel, persönliches Image) zu zerstören, so dass er in Folge dessen keine weiteren „schlechten“ Werke erstellen kann oder nicht weiter wagt, dies zu tun und/oder die Werke zu veröffentlichen, dann spricht man (neuerdings) von „CancelCulture“.

Weil es nämlich dann nicht mehr um Kritik (am Werk) geht, sondern um den Aufbau von Druck im Sinne von psychischer und physischer Gewalt sowie um konkrete, schädigende Attacken im persönlichen Lebensbereich und im Beruf gegen den Künstler selbst.

Nur wenige Menschen können diesem Druck widerstehen.
Als in Deutschland vor längerer Zeit ein Kabarettist auftrat, saßen im Publikum zwei Männer und notierten alles, was er Kritisches sagte.
Der Kabarettist ging daraufhin ins Publikum und fragte die möglichen Angestellten einer staatlichen Polizeibehörde „Kommen Sie mit – oder soll ich mitkommen?“. Und kam damals damit durch. Heute würde er vielleicht von „Aktivisten“ verprügelt, so wie Werner Finck auch sehr gut hätte von der Gestapo verhaftet oder der SA gefoltert werden können.

Im Prinzip macht es keinen Unterschied, ob man Werner Finck nicht mag oder Lisa Eckhart (die noch dazu explizit eine Kunstfigur ist) oder Til Lindemann, und ob der Druck gegen einen Künstler von offiziellen Stellen oder von einem Internet-Mob ausgeht. Jeder Künstler sollte seine Kunst veröffentlichen dürfen, ohne deswegen Drohungen oder Gewalt ausgesetzt zu sein. Was nicht verboten ist, muss erlaubt sein, und (Meinungs-)“Freiheit ist das Recht zu sagen, was andere nicht hören wollen“ (Orwell). Wo sich mehrere Leute organisieren, um gemeinsam durch Vorwürfe und Drohungen einen Künstler zum Schweigen zu bringen, wo ein Boykott-Aufruf nicht nur die Forderung beihaltet, niemand solle sich das aktuelle Programm des Künstlers ansehen, bzw. niemand solle dessen Werke kaufen, sondern auch der Künstler und sogar die Veranstalter und alle Fans per „Guilt by association“ zum Ziel von Beschuldigungen und Drohungen werden, da hört Kritik auf, und dort beginnt „CancelCulture“. Denn dort wird nicht das Werk kritisiert, sondern dessen Verbreitung soll durch Druck auf den Künsterl und auch auf Veranstalter, Verlage, Fans etc. aktiv verhindert werden.

Entsprechend enttäuschend und schal ist die aktuelle Kolumne „Cancel Culture für Anfänger“ von Frau Stokowski im Spiegel, die ich aufgrund ihrer Armseligkeit hier nicht verlinken möchte, die die CancelCulture verharmlost und sogar für gar nicht existent erklärt.

Erster Absatz: CancelCulture bedeutet erstmal nur Kritik (falsch).
Zweiter Absatz: Wortspiele, langweilige Erläuterungen trivialer Fremdwörter, Verharmlosung der #CancelCulture mit schlechter Strohmannargumentation.
Dritter Absatz: Fingerübungen im freien Assoziieren unter Alkoholeinfluss (?)
Vierter Absatz: Herablassende Äußerungen über Kollegen, außerdem irgendwas mit Hitler und Lindemann und natürlich Relativierungen, dass so ein kleiner Boykott und ein wenig Ächtung ja nicht so schlimm sind.
Fünfter Absatz („‚Cancel Culture‘ heißt also, manche Leute mögen manche Leute oder deren Arbeit nicht?“): Verharmlosung von Mobbing und Doxing und Suggestion, es träfe ja doch meistens die Richtigen[tm]. Außerdem kriegen viele Leute ja wieder ein Job, wenn sie ihren durch öffentliche Ächtung und Mobbing verloren haben. Alles nicht so schlimm!
Sechster Absatz: Framing, „CancelCulture“ sei eine ‚rechte Erfindung‘.
Siebter Absatz: Drohungen durch die Antifa (Heute: Besorgte Warnungen aus der Nachbarschaft), die es ja nicht gibt, gibt es nicht, darum wurde Lisa Eckhardt vollkommen ohne Grund ausgeladen. Und eine CancelCulture gibt es natürlich nicht.

Interessanterweise ist CancelCulture (nehmen wir mal an, es gäbe sie) eine zutiefst menschliche, wenn auch schäbige Sache.

Natürlich würde auch ich gerne sehen, dass Frau Stokowski beim Spiegel gefeuert würde, damit sie die Reichweite des Spiegels nicht weiter für die Verbreitung ihrer schlechten Artikel nutzen könnte. Und sicher habe ich auch schon weniger freundliche Dinge über Frau Stokowski geschrieben.

Aber im Gegensatz zu woken Aktivisten würde ich mir keine absurden Vorwürfe ausdenken und direkt dem Spiegel schreiben, man möge Frau Stokowski doch feuern, weil sie ein schlechter Mensch sei.
Ich würde mich nicht mit einem Internet-Mob verabreden, eine Buchpräsentation von ihr zu stören oder ihr Privathaus mit Farbbeuteln zu bewerfen, ihre/n Partner/in zu bedrohen oder ihre Kinder anzuspucken, wie das so oder so ähnlich mit dem FDP-Politiker Thomas Kemmerich passiert ist.
Und das ist der Unterschied zwischen Kritik und CancelCulture: Kritik richtet sich primär gegen das Werk bzw. eine politische Position, und nur mittelbar auch gegen dessen Schöpfer (indem sie ihn als Schöpfer schlechter Werke darstellt). #CancelCulture richtet sich gegen den Menschen als solcher. Kritik ist Gegnerschaft, CancelCulture ist Feindschaft.

Hat Frau Stokowski das wirklich nicht verstanden?

Georg Restle, „Plädoyer für einen werteorientierten Journalismus“, eine Replik

Wenn man Artikel von Journalisten liest, bietet es sich manchmal an, den Artikel beim zweiten Lesen Absatz für Absatz von hinten zu lesen. Oft fragt man sich dann spontan, was im Artikel passiert sein muss, um zu diesem Ende zu finden.
Das ist auch bei Georg Restles Artikel „Plädoyer für einen werteorientierten Journalismus“ so.

Denn im letzten Absatz fordert er im Prinzip nichts als Binsenweisheiten: Journalisten sollten unabhängig und unbestechlich sein und keiner Partei angehören. Sie sollten sich an die Fakten halten und nicht blind das übernehmen, was andere vorgeben. Und man sollte humanistisch und werteorientiert berichten.
Die einzige Referenz auf alle vorherigen Teile seines Artikels ist die, dass er sich gegen „blinde Neutralität“ ausspricht. Und genau das ist der relevante Teil.

Doch bevor ich dazu komme, was Georg Restle damit meint, erstmal zurück zum Beginn des Artikel, der mit Selbstmitleid anfängt: Es ist so schwer geworden für Journalisten. So viele Informationen in so kurzer Zeit, der Journalist kann kaum noch etwas einordnen und recherchieren, bevor es zu spät ist. In diesem Kontext wird auch die Mär nochmal aufgewärmt, Bot-Armeen und Algorithmen könnten tatsächlich die öffentliche Meinung manipulieren, obwohl mittlerweile bekannt ist, dass es so einfach nicht geht.
Ja, die ersten Absätze des Artikels (vor „Der Weg des Egon Erwin Kisch“) dienen meiner Meinung nach nur dazu, im Kopf des Lesers zu verankern, dass Journalismus heute fast unmöglich und darum wichtiger ist als jemals zuvor, damit darauf im vorletzten Absatz noch einmal Bezug genommen werden kann.
Eigentlich hätte man diese Absätze auch streichen und wie folgt zusammenfassen können: Journalisten sind Helden, die unter unmöglichen Bedingungen gegen die Manipulation des dummen Pöbels durch übermächtige Propaganda-Maschinen ankämpfen.

Dann kommt der Abschnitt
Der Weg des Egon Erwin Kisch
in dem Georg Restle von dem Journalisten Egon Erwin Kisch berichtet, der Kommunist war (also gerade nicht parteiunabhängig, wie am Ende des Artikels für gute Journalisten eigentlich gefordert).

Ausgerechnet dieser Journalist wird von Restle als positives Beispiel für werteorientierte Berichterstattung dargestellt. Tatsächlich aber scheint Egon Erwin Kisch als strammer Kommunist und Idealist seinen Berichten seinen eigenen kommunistischen Spin aufgeprägt zu haben, anstatt so neutral wie möglich zu berichten.

Die Idee, es könne etwas wie „Neutralität“ geben, will Georg Restle aber von vornherein nicht gelten lassen. Wen kümmert es schon, dass Gesetze und Verfassung von Neutralität reden? Den Journalisten Georg Restle, der parteiische Berichterstattung als „werteorientiert“ reframen will, jedenfalls nicht.

Was folgt, ist eine klassische Strohmann-Argumentation, ein rhetorischer Trick:

Georg Restle definiert neutrale und ausgewogene Berichterstattung als eine Berichterstattung, in der Journalisten alle Meinungen entsprechend ihrem Anteil an der öffentlichen Debatte und Meinung gewichtet reproduzieren und als gleichwertig präsentieren. Wenn also 70% der Leute behaupten würden, die Erde sei eine Scheibe… dann müssten Journalisten in einem Beitrag zur Form der Erde zu 70% diese Theorie vertreten…
Und dann zeigt er auf, dass eine auf diese blödsinnige Weise definierte „neutrale Berichterstattung“ Blödsinn ist.

Daraus, dass er die Sinnhaftigkeit „neutraler Berichterstattung“ im Sinne seiner selbst absichtlich absurd gewählten Definition widerlegt hat (Argumentation gegen den Strohmann), folgert er dann in seinem zweitletzten Absatz (ab der Zwischenüberschrift „Unabhängig und unbestechlich“), dass neutrale Berichterstattung gar nicht wünschenswert sei. Und darum sei „werteorientierte“ Berichterstattung zu wählen.

Der rhethorische Kunstgriff mit Strohmann-Argumentation ((und zusätzlich falscher Dichotomie von „neutraler“ oder „werteorientierter“ Berichterstattung)) ist natürlich höchst unredlich. Aber ein „Chefredakteur des Flagschiffs des deutschen investigativen TV-Journalismus“ argumentiert anscheinend so, im Jahre 2018.

Statt der Illusion von Neutralität nachzuhängen, argumentiert Restle im zweitletzen Absatz weiter, solle man besser parteiisch sein. Was im Widerspruch steht zum letzten Absatz, wo Unabhängigkeit, Unbestechlichkeit und Unparteilichkeit gefordert wird.

Um diesen Widerspruch scheinbar aufzulösen macht Restle den Kunstgriff, „blinde Neutralität“ auszuschließen, was, wie wir jetzt wissen, auf die von Herrn Restle selbst konstruierte vorsätzlich sinnlose Definition von Neutralität als „ungefilterter Weitergabe jeden beliebigen Blödsinns“ referenziert. So versucht Herr Restle, vorsätzlich nicht-neutralen Gesinnungsjournalismus dennoch als die Form von Journalismus zu präsentieren, die dem Ideal von Unabhängigkeit, Unbestechlichkeit und Unparteilichkeit am nächsten komme.

Aber das ist natürlich, Restle’scher Rhetorik zum Trotz, vollkommen absurd.
Unparteilichkeit bedeutet nicht, keine Meinung zu haben oder keine Entscheidungen oder Wertungen zu treffen. Es ist wie beim Fußball: Es bedeutet, ohne Vorurteile, von einer neutralen Startposition aus, vorzugehen, und möglichst fair und auf Fakten basiert zu urteilen.
Und hier ist Neutralität wichtig. Klar sind wir alle Menschen mit Werten, und es fällt uns schwer, neutral zu sein. Aber es ist möglich, wenn man selbstreflektiert und systematisch vorgeht. Wenn man skeptisch bleibt, ganz besonders in Bezug auf die Dinge, die man selbst glauben *will*.
Wenn man Group Think, Confirmation Bias und Wunschdenken durch schrittweises, die eigenen Überzeugungen, Annahmen und Vorurteile bewusst-machendes und hinterfragendes Vorgehen versuchen auszuschließen. Wenn man also wie ein Naturwissenschaftler auf Wahrheitssuche geht, und sich selbst dazu zwingt, alle eigenen Überzeugungen zu hinterfragen, zu plausibilisieren und zu belegen — oder eben fallen lassen.

Zweifel muss man benennen, statt sie zu verschweigen. Beim Recherchieren muss man „in alle Richtungen ermitteln“ und sehen, wohin einen das führt; man darf nicht vorher bereits wissen, wie das Fazit eines Artikels lauten soll, sonst recherchiert man nicht, sondern betreibt nur PR für die eigene Meinung. Neutrale Berichterstattung heißt nicht, andere von dem bekehren zu wollen, was man selbst glaubt, sondern die Wahrheit zu suchen und zu beschreiben.

Wer einen Artikel schreiben will über Impfungen, der muss zunächst alles anzweifeln. Die Argumente der Impfgegner, aber auch die Argumente der Pharmaindustrie. Jede vermeintliche Gewissheit muss man prüfen. Gibt es viele oder wenige Impfschäden. Kann man an Masern sterben. Was würde passieren, wenn man nicht mehr impfen würde – kurz-, mittel- und langfristig. Wie teuer sind Impfungen? Wer verdient was damit? Wie teuer sind gelähmte Kinder, oder Senioren, die (nicht) sterben?

Erst wenn man die Fakten geklärt hat, in dem man gerade auch die eigentlich nicht fragbaren Fragen gefragt hat und auch die ungeheuerlichen Möglichkeiten zumindest kurz in Betracht gezogen hat, kann man die Faktenlage auf informierte Weise einordnen und werten und dann einen Artikel schreiben, der zwar wertet und einordnet, aber für den mündigen Leser nachvollziehbar auf diese Wertung und Einordnung hinführt indem er beschreibt, wie der Journalist zu seinen Schlüssen gekommen ist.

Ein so geschriebener Artikel ist so neutral und damit so unparteilich wie möglich.

Herr Restle hält aber anscheinend nichts vom mühsamen Suchen nach der Wahrheit, das notwendig ist, um (so) neutral (wie möglich) zu berichten. Er plädiert statt dessen für einen von Überzeugungen gefärbten, Partei-nehmenden Journalismus im Sinne des Kommunisten Egon Erwin Kisch:

Zitat Wikipedia:

Kisch war voller Enthusiasmus für die politischen und sozialen Veränderungen im kommunistischen Russland, ignorierte aber die Zwangsarbeitslager, die Hungersnot in der Ukraine oder die Verfolgungen der Russisch-Orthodoxen Kirche.

Kisch hat also Fakten verschwiegen, um seine Artikel, mit denen er seine kommunistische Gesinnung bewerben wollte, für sein Zielpublikum attraktiver zu machen.
Und hier ist eine interessante Parallele zum aktuellen Fall Relotius:
Relotius hat Fakten erfunden, um seine Artikel für sein mit einer bestimmten Gesinnung ausgestattetes Zielpublikums attraktiver zu machen.

Beides ist Betrug am Leser. Beides ist manipulativ und unredlich und hat mit Unparteilichkeit oder gar Wahrhaftigkeit, von der Restle im Zusammenhang mit Kisch auch einmal schreibt, nichts zu tun.

Auf den „werteorientierten“ Journalismus von Georg Restle, der Neutralität als Illusion abtut und mit falschen Definitionen verächtlich macht, kann ich verzichten, denn er führt direkt zum Relotius-Journalismus.

Der Relotius-Journalismus hat die Werteorientierung und die Vermeidung der mühsamen Suche nach der Wahrheit perfektioniert. Er orientiert sich nicht mehr an Fakten, sondern nur noch an den Vorstellungen und Werten der Leser; Fakten werden dann passend konstruiert. So erschuf Relotius eine Wahrheit, wie sie, gemäß den Vorurteilen seiner Leser, hätte sein sollen.
Und auch Kisch hat durch Auslassungen und Betonungen in seinen Texten den Lesern Sowjetunion und USA so gezeigt, wie er sie gesehen haben wollte. Auch das war keine wahrhaftige Berichterstattung, sondern PR für die eigene Weltsicht, kein Suchen nach der Wahrheit, sondern das Präsentieren einer Wahrheit, wie sie seiner Meinung nach hätte sein sollen.
Die eigenen Werte bzw. die Werte der Leser haben Kisch und Relotius Dinge schreiben lassen, die nicht die ganze Wahrheit waren, sondern irreführend, mal beschönigend, mal schwarzmalend.

Das, nämlich Autoren, die versuchen, ihre Leser im Sinne ihrer eigenen Agenda zu manipulieren, sind die Ergebnisse von „werteorientiertem Journalismus“. Und Monitor-Chef Restle plädiert für mehr davon!
Da bin ich doch lieber für Neutralität im eigentlichen, nicht von Herrn Restle absurd umdefinierten Sinne.
Denn der Leser hat kein Interesse daran, von Journalisten manipuliert zu werden, er möchte informiert werden. Fehlinformationen haben für ihn keinen Wert, egal wie „werteorientiert“ sie sind.

Das alles heißt natürlich nicht, dass es verkehrt wäre, wenn Journalismus von Menschen mit Werten betrieben wird, die auch etwas Gutes tun wollen. Aber wenn man die Wahrheit „werteorientiert“ verzerrt, führt das langfristig nie zu etwas Gutem. Denn nur wenn die Wahrheit bekannt ist, kann man tatsächlich Maßnahmen treffen, die etwas verbessern. Was man auf Basis verzerrter, falscher Informationen oder Annahmen tut, wird hingegen nie zu etwas Gutem führen, egal wie gut gemeint es ist.

Wenn es um Werte und Wahrhaftigkeit geht, würde ich den Wallraff-Journalismus bevorzugen, der zwar mit guten Absichten festlegt, über welches Thema man recherchiert, im Folgenden aber versucht, neutral zu bleiben und zu berichten „was ist“, anstatt die Ergebnisse vorwegzunehmen, zu skripten oder im Notfall „werteorientiert passend zu machen“.

Wir brauchen Männerrechtler oder: Der Feminismus „holt mich nicht ab“.

Wenn irgendwann ein Buch über die politische Sprache des 21ten Jahrhunderts in Deutschland erscheinen wird, dann wird es darin möglicherweise einen Eintrag geben über den Ausdruck „jemanden nicht abholen“, und die Erläuterung dazu wird ungefähr so aussehen:

Jemanden nicht abholen:
Phrase, mit der ein/e Politiker/in den Anschein erwecken will, für die „nicht Abgeholten“ (d.h. die, die angeblich die klugen Absichten der Politik nicht richtig verstehen) Verständnis zu empfinden, wobei diese „nicht Abgeholten“ mit der Phrase gleichzeitig als passiv und „Zurückgeblieben“ hingestellt werden.

Ich mag diese Phrase eigentlich nicht, aber ich denke sie passt hierher, denn ich gehöre zu den Männern, von denen Feministinnen unserer Zeit wohl sagen würden, dass sie „nicht abgeholt“ worden seien, und damit meinen würden, ich sei einfach zu blöd zu erkennen, was der Feminismus eigentlich alles Tolles für mich tun will.

Ich komme mir beim Nachdenken über diese tollen Dinge, die der Feminismus angeblich auch gerade jetzt für mich tun will oft vor wie im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern; denn wenn ich darüber nachdenke, was der Feminismus für mich im Angebot hat, sehe ich — Nichts. Der Kaiser ist nackt, der Feminismus hat gar nichts für mich im Angebot, dennoch wird von Feministinnen ohne Unterlass so getan als wäre da was und als müssten Männer eigentlich begeistert sein und jubeln und die, die es nicht tun, die sind halt zu blöd, bzw. stehengeblieben, zurückgeblieben, nicht abgeholt worden.

Dass ich diese positiven Dinge, die der Feminismus angeblich für mich tun will, irgendwie nicht (als positiv) sehe, zieht sich übrigens vom Kleinen bis ins Große durch.

Im Kleinen fängt es mit dem „Boys Day“ an, wo staatlich gefördert versucht wird, Jungen Berufe schmackhaft zu machen, die zu Alterarmut führen (!) und für die sie sich meist gar nicht interessieren. Mit Verlaub, über diese Maßnahme vermag ich mich wirklich nicht zu freuen. ((Der Girls Day ist, bei aller Erfolglosigkeit, zumindest gut gemeint, aber der Boy’s Day ist mit dieser Zielsetzung Männer in unterbezahlte Berufe zu drängen einfach nur eine Frechheit. Vielleicht sollte man das Geld für diese Veranstaltungen besser in Initiativen zur Verbesserung der Bezahlung sozialer Berufe stecken.))

Und es geht im Großen bis hin zum BMFSFJ, dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen, und Jugend. Ist es nicht auffällig, dass das Ministerium quasi für jeden zuständig ist, der entweder jung oder alt oder in einer Familie oder eine Frau ist, also für alle außer (Single-) Männer? Weswegen einige Männerrechtler das Ministerium auch zynisch-verbittert das „Ministerium für alle außer Männer“ nennen.

Das einzige, was das BMFSFJ jemals für Männer getan zu haben scheint ist, eine Studie Gewalt gegen Männer erstellen zu lassen, und zwar im Jahre 2005 (das war vor d r e i z e h n Jahren).

Unter anderem stand im Fazit der Studie (Langfassung, Abschnitt 10.3):
Ausgehend von den Ergebnissen einer Erforschung der geschlechtsspezifischen Strate­gien der Gewaltverarbeitung und Hilfesuche von Männern, sollte das bestehende Hilfesystem evaluiert werden. Sind bestehende Hilfsangebote auf diese Strategien ausgerich­tet? Dabei ist ein besonderes Augenmerk auf die positiven Modelle funktionierender Hilfsangebote (‚best practises‘) zu richten. Auf dieser Grundlage sollten Maßnahmen zu Verbesserung der bestehenden medizinischen und psychosozialen Versorgung von Männern erarbeitet werden, sowie Lösungen für bestehende Lücken. Insbesondere in den tabuisierten Bereichen berichten Männer häufig, dass sie kein Hilfsangebot vorfinden, an das sie sich wenden können.
Insbesondere für Männer, die sexuellen Missbrauch, Ver­gewaltigung und häusliche Gewalt erlitten haben, halten wir es für dringend erforderlich,
männerspezifische Hilfsangebote zu installieren. In diesem Bereich ist ein besonderer Bedarf zu vermuten, da zwar Hilfsangebote für schwule Männer vorhanden sind, die aber nicht jeden ansprechen, und für heterosexuelle Männer nicht explizit vorhanden sind.

Nachdem diese Studie also das Ergebnis hatte, dass dringend Hilfsangebote für männliche Opfer von Gewalt zu schaffen seien, geschah: NICHTS. Und zwar für 13 Jahre, bis heute, 2018.

Was geschehen statt dessen geschehen ist, ist zum Beispiel das Inkrafttreten des Hilfetelefon Gesetzes am 14.März 2011, dessen Zweck es laut §3 HilfeTelefonG explizit ist, allen zu helfen, die mittelbar oder unmittelbar von Gewalt gegen Frauen betroffen sind; Männern, die Opfer von Gewalt geworden sind, hingegen nicht. Warum auch… (Sarkasmus).

Entschuldigung, aber die durchgehende Einseitigkeit feministischer Bemühungen zur Verbesserung der Welt für Frauen ist einfach zu eindeutig, als das irgend ein Mann glauben könnte, der Feminismus kümmere sich auch um die Sorgen und Nöte von Männern.

Das Gegenteil ist der Fall: Feministinnen ignorieren alle Probleme von Männern; wenn Männer auf Probleme von Männern aufmerksam machen, wird das als Gejammere / Derailing / „Whataboutism“ abgetan. Männer werden als von Feministinnen nur als Privilegierte bzw. als Täter gedacht, so dass jegliche Maßnahme für Männer von Feministinnen immer als Schritt gesehen wird, „die feministische Sache“ zumindest irgendwie zu beschädigen oder zu verlangsamen, und sei es nur aufgrund der Tatsache, dass ein Budget für Maßnahmen für Männer natürlich Geld darstellen würde, dass nicht noch zusätzlich für Frauen ausgegeben werden kann.
Sogar dass die Jungenbeschneidung per Gesetz (§1631d BGB) legalisiert wurde ((nachdem ein Gericht festgestellt hatte, dass die medizinisch nicht notwendige Amputation von Körperteilen auf Wunsch der Eltern Körperverletzung ist)) obwohl es vollkommen absurd ist, dass die Religionsfreiheit der Eltern das Recht auf körperliche Unversehrtheit nur von Jungen einschränken könnte/sollte/müsste, wurde von feministischer Seite nie kritisiert; vielmehr scheint man dort die Genitalverstümmelung von Jungen aufgrund der Möglichkeit zu begrüßen, dass diese das Gebährmutterhalskrebsrisiko bei Frauen reduzieren könnte; so zynisch, selbstbezogen, männerverachtend und gegenüber Jungen vollkommen empathielos agiert der Feminismus.

Und solange das so ist, wird sich kein Mann, der bei klarem Verstand ist, vom Feminismus „abholen“ lassen; jedenfalls solange nicht, wie das Mitkommen noch freiwillig ist.

Für mich ist es absolut notwendig, dass Männer sich als Männerrechtler für die Anliegen von Männern einsetzen und engagieren. Der Feminismus eignet sich nicht als Anwalt für Männer, solange die allermeisten Feministinnen als Anklägerinnen sehen, die Männer immer nur als Schuldige sehen, während Frauen grundsätzlich Opfer irgendwelcher angeblicher „Strukturen“, „des Systems“ oder gar „des Patriarchats“ sein sollen.

Ich würde so weit gehen die These aufzustellen, dass Probleme von Männern individualisiert werden, während Probleme von Frauen sozialisiert werden.
Das heißt: Wenn ein Mann keine Karriere macht, ist er selbst daran schuld. Wenn eine Frau keine Karriere macht, sind wir eher bereit zu glauben, abstrakte Gründe wie „die Gesellschaft“ oder „die gläserne Decke“ seien Schuld.
Wenn Männer gewalttätig werden, dann liegt es daran, dass sie gewalttätig sind. Wenn Frauen gewalttätig werden, dann glauben wir eher, dass sie irgendwie traumatisiert gewesen sein müssen. Man kann noch viele Beispiele finden dafür, dass bei Männern eher angenommen wird, in ihren Entscheidungen frei und eigenverantwortlich zu sein, während bei Frauen angenommen wird, ihre Entscheidungen würden eher durch die äußeren Umstände beeinflusst.

Diese Sicht auf Männer und Frauen entspricht einem stereotypen Geschlechterbild, dass Frauen als weniger zu Eigenverantwortung befähigt denkt, welches der Feminismus doch überwinden wollen müsste bzw. schon überwunden haben sollte.

Dass der Feminismus das bisher nicht getan und auch nicht versucht hat, liegt entweder daran, dass dazu die Einsicht fehlt, oder daran, dass der Feminismus bei seinen ganzen Forderungen nach weiterer Frauenförderung davon profitiert, dass Menschen durch diese Tendenz, Frauen eher als von den äußeren Umständen beeinflusst zu sehen, eher bereit sind, einer immer „frauenfreundlicheren“ Gestaltung dieser Umstände zuzustimmen.

In jedem Fall ist es notwendig, dass Männer den Kampf für Männerrechte und für eine stärkere Berücksichtigung von Männer-Anliegen in der Politik selbst in die Hand nehmen.

Denn der Feminismus hat überhaupt kein Interesse daran, etwas für Männer zu tun, er betreibt eine einseitige Klientelpolitik für Frauen. Im „Feminismus-Zug“ sind für Männer nur Stehplätze auf dem Gang vorgesehen, sozusagen als „ausgleichende Ungerechtigkeit“ für angebliche „tausende Jahre Frauenunterdrückung“. Kein Mann, der noch bei Sinnen ist, würde freiwillig in diesem Zug mitfahren.

Nur durch eine starke Männerrechtsbewegung wird es wieder zu einem gesellschaftlichen Interessenausgleich zwischen Männern und Frauen kommen. Der wird wahrscheinlich dennoch nicht dazu führen, dass Männer und Frauen die gleichen Interessen, Vorlieben, Leidenschaften und Berufswünsche haben werden, aber vielleicht dazu, dass man bei Fragen der Eigenverantwortlichkeit und Hilfebedürftigkeit, sozusagen beim Fordern und Fördern von Männern und Frauen, bei dem, was man Männern und Frauen zutraut und wo man die Grenze zieht, wo Hilfebedürftigkeit anfängt, keine Unterschiede mehr macht.

Die re:publica, Frau Stokowski, #SPON und die „Linke Liebe“

Frau Stokowski, Berufsfeministin vom Spiegel, schreibt in einem Artikel namens Mal ein guter Trend aus Berlin (Untertitel: Mit Liebe gegen Rechts), die re:publica, die in Berlin stattfindet, habe einen Trend erschaffen, mit Liebe und Solidarität gegen „Rechts“ zu kämpfen.

Die ersten vier Absätze widmet Frau Stokowski der Selbstvergewisserung der Linken, alles richtig gemacht zu haben, regt den ((anscheinend selbst dazu nicht in der Lage seienden)) Leser zum Nachdenken an, und schindet ganz nebenbei noch Zeilen für ihr Honorar — scheint mir.

Aber dann geht es langsam los:

Sie [die Rechten] schaffen es immer wieder, Leute zu verarschen und so zu tun, als sei die Gleichheit, die Linke meinen, in Wirklichkeit Gleichmacherei, und als sei die Freiheit, die wir meinen, in Wirklichkeit Orientierungslosigkeit.

Frau Stokowski will hier suggerieren, mit Gleichmacherei und Orientierungslosigkeit habe die Linke kein Problem.
Oder in ihren Worten: Sie will uns verarschen.

Denn Gleichheit kann mehrere Dinge bedeuten. Gleichheit vor dem Gesetz bzw. Chancengleichheit (wofür — nicht ohne Grund — die FDP steht, und nicht die Linke), oder Ergebnisgleichheit. Die Linke setzt sich traditionell eher für Ergebnisgleichheit ein. Und diese versucht sie durch Gleichmacherei zu erreichen; denn nichts anderes sind Umverteilung und Quotierung, also die Maßnahmen, die die Linke sehr häufig in immer neuen Varianten fordert.

Und was die Freiheit angeht, so hat die Linke ebenfalls ernste Probleme.

Es ist allerdings nicht so, dass „linke Freiheit“ Orientierungslosigkeit bedeutet. Tatsächlich hat die Linke sehr genaue Vorstellungen davon, wie Menschen sich richtig verhalten sollten, nämlich indem sie wenig Fleisch essen, „Awareness“ zeigen, und sich „solidarisch“ verhalten. Und an diesem Ideal sollen sich gefälligst alle Menschen orientieren.

Mit dieser Vorstellung des richtigen Verhalten hat die Linke implizit eine Art „linke Leitkultur“ im Hinterkopf, und sie will die dazugehörigen, im Kern spießig-deutschen Verhaltens-Regeln politisch durchsetzen. Und das hat mit Freiheit natürlich nur noch wenig zu tun.
Darum scheut sie sich auch, dieses auf Konformität ausgerichtete System mit dem Ziel, alle Menschen dazu zu bekehren, als (reichlich kleinkarierte) Kultur zu begreifen.
Es ist einigermaßen absurd: Es gibt ganz klar bestimmte Werte einer linken Ideologie, die die Linke durchsetzen will, und deren Durchsetzung sie auch aktiv betreibt. Aber die Linken sehen das nicht als „Aufzwingen“ ihrer Werte, denn sie glauben, jeder Mensch, der guten Willens sei, müsse durch „Einsicht“ an den Punkt kommen, wo er sich freiwillig den linken Werten unterordnet. Für jeden, der diesem Dogma anhängt muss, wer nicht links ist, irgendwie „kaputt“ im Kopf sein.

Und genau diesen Gedanken hat Frau Stokowski wohl auch im letzten Absatz:

Wenn Rechte von Liebe sprechen, dann sprechen sie von Heimatliebe, von schönen deutschen Landschaften mit paarungswilligen Paarhufern und Kulturerzeugnissen wie… Wurst. Oder meinetwegen Schiller-Gedichten und Pünktlichkeit. Sie müssen es so abstrakt halten, sie können sich nicht auf Menschen beziehen, weil sie dann ganz schnell wieder Grenzen ziehen müssten.

Das heißt also:

Wer die falsche politische Einstellung hat, der soll laut Frau Stokowski nicht zu bestimmten Emotionen in der Lage sein. Sogenannten „Rechten“ soll eine wichtige menschliche Qualität fehlen. Sie sind also, suggeriert Frau Stokowski, kaputt, defizitär, keine vollwertigen, keine richtigen Menschen.

Das ist ungeheuerlich, weil sie damit den politischen Gegner entmenschlicht. ((Das ist nicht weniger als die erste Stufe in einem Prozess, der über ein Apartheidsystem bis zu Auslöschung des Gegners führen kann. Denn wer keine Emotionen hat, wer kein Mensch ist, der verdient auch kein Mitleid, den kann man gnadenlos bekämpfen, der ist ein Objekt, das weg kann.))

Ob man beim Spiegel weiß, was für menschenverachtenden Unsinn scheinbar harmlose Kolumnistinnen in ihren Glossen unter sich lassen?

Ich jedenfalls verzichte gern auf diese „Linke Liebe“, mit der man uns aus Berlin beglücken will.

Denn die „Linke Liebe“ gilt nur denen, die die „richtige“ Gesinnung haben. Und nicht denen, die keine Menschen sind, weil sie nicht richtig denken und darum auch nicht richtig lieben können.

Diese fehlerhaften Menschen versucht man dann erst mit „Informationskampagnen“ für sich zu gewinnen. Und wenn das nicht klappt, weil die Menschen sich weigern, ihre Entscheidungsfreiheit gegen die „Freiheit der Linken“ ((Das heißt, ein Leben nach den Regeln der linken Ideologie, z.B. Sozialismus)) einzutauschen, wird dann versucht, mit kleinkarierter Kontrolle, Zensur und Zwang konformes Verhalten zu erzwingen.

Das gab es auf deutschem Boden übrigens schon einmal. Ich übergebe darum das Wort an den Genossen Mielke, der sein Leben lang mit „Linker Liebe“ für die „Linke Freiheit“ gekämpft hat: