Wer hat in Thüringen was falsch gemacht?

Im Thüringer Landtag sitzen sechs Parteien. Die linken Parteien (Linke, Grüne, SPD) haben versucht, ihren Ministerpräsidenten erneut wählen zu lassen, und sind gescheitert.
Der Kandidat der Union wurde ebenfalls nicht gewählt. Im letzten Wahlgang hat die FDP – wie angekündigt – einen eigenen Kandidaten als Kompromiss aufgestellt. Dieser wurde daraufhin von FDP, Union und AfD gewählt.

Nun ist die Aufregung groß, obwohl es im Prinzip kein Problem sein sollte, wenn Nazis einen Demokraten wählen. Schließlich hat es in der Geschichte üblicherweise nur dann Probleme gegeben, wenn Demokraten Nazis gewählt haben.

Nun ist die Frage, wer was falsch gemacht hat…

Ich halte es für einen Fehler, dass die Linke als linkeste Partei im Parteien-Spektrum versucht hat, ihren Kandidaten im dritten Wahlgang wählen zu lassen. Die Hoffnung, die nicht-linken Parteien würden aus Angst vor Zustimmung von der AfD den linken Kandidaten wählen, war möglicherweise aufgrund von dessen Popularität nicht vollkommen illusorisch, hat sich aber als trügerisch erwiesen.

Dass die AfD wahrscheinlich den FDP-Kandidaten gewählt hat, kann man leider nicht als Fehler sehen, weil sie dadurch die anderen Parteien maximal geärgert hat.

Aber auch der FDP kann man schwer vorwerfen, ihren Kandidaten gewählt zu haben, und auch, dass die eindeutig in der Mitte des Parteienspektrums stehende Partei einen Kompromisskandidaten aufgestellt hat, scheint nicht unbedingt ein Fehler zu sein.
Ob dieser die Wahl hätte annehmen sollen, obwohl ihn vielleich die AfD gewählt hat ((bei einer geheimen Wahl weiß man das im Prinzip nicht)), ist strittig. Ich finde allerdings, dass es egal ist, wer einen wählt, wenn man einen demokratischen Kandidaten hat, der die politische Mitte repräsentiert, und dass man eine Wahl, zu der man angetreten ist, auch annehmen sollte.
Es ist meiner Meinung nach absurd, wenn man den Gewählten mit den Wählenden assoziiert. Den Parteien ist es ja auch egal, welche Bürger ihnen bei der Landtagswahl die Stimme geben. Auch dort kommt es nur auf das Ergebnis an.

Sitzverteilung im thüringer Landtag nach der Wahl 2019

Quelle: Wikipedia

Machen wir das Gedankenexperiment, was denn passiert wäre, hätten auch Grüne und SPD den FDP-Kandidaten gewählt: Dann würden wir jetzt keine wütenden Proteste hören, die FDP habe ihren Kandidaten von Nazis wählen lassen, denn die zusätzlichen, aber letztlich irrelevanten Stimmen von SPD und Grünen hätten Kemmerich dann irgendwie legitimiert. Und auch wenn Ramelow ebenfalls von der AfD gewählt worden wäre, hätte ihn das wahrscheinlich nicht beschädigt, denn er ist ja ein Linker.

Grüne und SPD hätten also den kleinen Triumph der AfD, alle anderen Parteien in helle Aufregung zu versetzen, verhindern können, hätten sie nicht das gefährliche Spiel gespielt, auf ein Einknicken von Union und FDP zu setzen.
Doch diese haben sich diesmal eben nicht als Umfaller erwiesen, sondern als Taktiker der Macht, die sich auch durch Guilt-by-Association-Nazikeulen nicht einschüchtern lassen.
Doch Grüne und SPD konnten den Kandidaten der FDP nicht wählen, weil sie sich schon in einer Koalition mit der Linken wähnten. Der Koalitionsvertrag war schon unterschrieben, die Wahl des Ministerpräsidenten hatte man als Formalie gesehen.
Den Weg zu einem Komprimiss der demokratischen Parteien zu einem Kandidaten der Mitte hatten sich SPD und Grüne selbst verbaut.
Diese Tatsache hat die AfD ausgenutzt. Die „Schuld“ an der Wahl von Kemmerich liegt nicht primär bei der FDP. Sie liegt auch bei SPD und Grünen, die demonstriert haben, dass für sie Lagerdenken wichtiger ist als eine ausgewogene Regierung für Thüringen.

Ich gehe heute mit grossem Vertrauen in die Ministerpräsidenten Wahl. Meine Hand ist ausgestreckt, um Neues zu wagen. Demokraten sind gesprächsfähig und gesprächsbereit. Heute heißt es mehr Demokratie und weniger Parteibuch wagen!

Quelle: Twitter

So gesehen wirkt der Tweet von Ex-Ministerpräsident Bodo Ramelow geradezu grotesk, in dem er fordert, mehr Demokratie und weniger Parteibuch zu wagen. Jetzt nach der Wahl, wo die Demokratie anders funktioniert hat als gedacht, und wo sein Lager das Lagerdenken vielleicht hätte aufgeben müssen, wird er sich an diesem Tweet messen lassen müssen. Wenn er sich nicht lächerlich machen will, werden Linke, Grüne und SPD mit FDP und CDU zusammenarbeiten müssen.