Skandal! Lindner spricht mit Steinhöfel (der ein moralisches Dilemma konstruiert)

Christian Lindner hat Joachim Steinhöfel ein Interview gegeben, das ein paar Wellen geschlagen hat.

„Linke“ werfen Lindner vor, überhaupt mit Steinhöfel gesprochen zu haben, da dieser in einem „rechten Umfeld“ unterwegs sei.
„Rechte“ hingegen sind unglücklich, weil Lindner nicht gesagt hat, mit der AfD stimmen zu wollen, wenn nur das ermöglichen würde, das #NetzDG zu kippen.

So gesehen hat Lindner meiner Meinung nach alles richtig gemacht.

Die Frage von Steinhöfel, ob die FDP mit der Linken und der AfD stimmen würde, wenn das der einzige Weg sei, ein Normenkontrollverfahren gegen das NetzDG anzustrengen, hat Lindner natürlich ausweichend beantwortet, weil es nichts bringt, hypothetische Fragen zu beantworten, bevor sie sich wirklich stellen. Damit kann man sich nur in die Nesseln setzen.

Denn die Frage ist ein eigens zu diesem Zweck (Lindner schlecht aussehen lassen bzw. ins Schwitzen bringen) konstruiertes moralisches Dilemma: Heiligt der gute Zweck (NetzDG kippen) hier das Mittel, mit dem „Bösen“ (AfD) zu kooperieren?

Für Linke sind die Leute von der AfD Parias, mit denen man nach Möglichkeit nicht einmal sprechen sollte. Mit diesen auch nur in einer Sache zusammenzuarbeiten wäre bereits moralisch verwerflich, auch wenn man damit etwas Gutes bezwecken wollte. Gemäß Adornos Spruch, dass es nichts Richtiges im Falschen gibt, also auch keine „gute“ Zusammenarbeit mit den „Bösen“, oder entsprechend der „Broken Windows“-Theorie, dass sozusagen aus einer Kooperation dann mehrere werden würden und dann die AfD davon profitieren könnte.
Also tat Lindner, der ja auch am „linksliberalen Rand“ nach Wählern fischt, gut daran, nicht zu sagen, möglicherweise mit der AfD zu kooperieren, sondern zu sagen, er habe nicht genug Phantasie sich eine Kooperation mit Linken oder AfD vorzustellen — was ja im Endeffekt wieder gar nichts aussagt.

Für (Bürgerrechts-)Rechte allerdings ist bereits das (nicht sofort einer Kooperation mit Linken und besonders AfD in dieser Sache zustimmen) wiederum schon eine Art Verrat, denn für diese müsste natürlich die Verteidigung grundlegender Bürgerrechte fast jedes Mittel rechtfertigen, und für diese ist auch eine Kooperation mit der AfD kein wirklich großes Übel (wie für die Linken).

Aber um zu verhindern, dass Schlagzeilen wie „FDP würde mit AfD kooperieren!“ entstehen, konnte Lindner nicht sagen, nötigenfalls mit der AfD stimmen zu wollen, auch wenn ihm das Rechte jetzt so auslegen wollen, als hätte die FDP hier angekündigt, lieber Bürgerrechte aufzugeben als (in irgendeiner Sache) genau so zu stimmen wie die AfD.

Noch klüger wäre deswegen gewesen, das hypothetische Dilemma als ebensolches zu entlarven bzw. zu dekonstruieren: Wenn in dem hypothetischen Szenario der Antrag für diese Normenkontrollklage gegen das NetzDG nicht von der AfD käme, und man nicht mit der AfD redete, dann würde man vor der Abstimmung gar nicht wissen, wie wer stimmen wird, und dann könnte nach der Abstimmung, sollten hier Linke, FDP und AfD gleich gestimmt haben, auch eigentlich keine Vorwürfe laut werden, die FDP hätte wie die AfD gestimmt, wenn gleichzeitig auch die AfD wie die Linke und die Linke wie die FDP gestimmt hätte, etc.. Entsprechend gäbe es dann auch kein Dilemma. Sondern nur das nicht weiter auffällige Ereignis, dass die AfD so gestimmt hätte wie Linke und FDP, was man sowieso nicht in jedem Fall verhindern kann, es sei denn, man wollte der AfD die Macht einräumen durch ihr Stimmverhalten zu kontrollieren, wie alle anderen Stimmen müssen (nämlich: Anders als die AfD).

Meiner Meinung nach ist es darum lächerlich, Lindner auf Grundlage seiner Antwort auf diese konstruierte fiese Frage einen Strick drehen zu wollen. Wer das tut, versucht entweder auf Kosten der FDP Wahlkampf für die AfD zu machen, oder aber er oder sie ist möglicherweise nicht zu komplexeren polit-taktischen Überlegungen in der Lage.

Bleibt die Tatsache, dass Lindner überhaupt mit Steinhöfel, der sich in der Öffentlichkeit zumeist als sehr streitbar, arrogant und unangenehm inszeniert ((Vielleicht ist der private Joachim Steinhöfel tierlieb, meditiert täglich, und trägt alten Frauen die Einkäufe nach Hause)), und die auch verschiedene Aspekte der Politik von Union/SPD in mit diesem Image konformer, ätzende Weise kritisiert hat, gesprochen hat.

Ich persönlich finde das aber durchaus gut. Oder zumindest besser, als sich immer nur von handzahmen, hochbezahlten öffentlich-rechtlichen Höflingen interviewen zu lassen.