Der konservative Backlash oder: Warum bleibt die SPD in der Koalition?

In den letzten Monaten hat sich eins gezeigt:

Wir erleben in Folge der sogenannten Flüchtlingskrise einen konservativen Backlash.

Asylrechtsverschärfungen, SPD-Ministerpräsidentinnen, die mehr abschieben wollen, und Grüne, die ggf. sogar nach Syrien abschieben würden, sind eindeutige Belege, dass sich das politische Koordinatensystem nach jahrlanger Drift nach links wieder nach rechts verschiebt. Das ist ein konservativer Backlash.

Die Ursache, auch das ist klar, ist die Flüchtlingskrise, die wiederum Folge von Angela Merkels Politik ist.

Eine Frage dazu ist für mich, ob diese Entwicklung Zufall ist, oder ob Angela Merkel ggf. ein „Evil Overmind“ ist, der diesen Backlash geplant hat. Aber die Antwort auf diese Frage ist eigentlich nicht wichtig, auch wenn es eine tolle Verschwörungstheorie wäre, dass Angela Merkel als Wolf im Schafspelz durch das Zulassen der Massenimmigration sozusagen links-soziale Erzählungen als nicht mit der Realität kompatibel entlarvt und damit den konservativen Backlash scheinbar unbeabsichtigt ins Rollen gebracht hat…

Viel wichtiger ist für mich die Frage, warum die SPD bei dieser Politik mitmacht.

Liegt das daran, dass man bei der SPD selbst das Gefühl hat, dass eine Neu-Justierung des politischen Koordinatensystems in Deutschland notwendig ist?
Oder merkt die SPD gar nicht, dass ein konservativer Backlash stattfindet, und bleibt nur deshalb in der großen Koalition?

Müsste die SPD nicht jetzt die Koalition verlassen, und mit Linken und Grünen diesen Backlash aufhalten?
Und sollte sie nicht, wenn sie den Backlash gutheißt, ebenfalls die Koalition aufkündigen, Merkel alle Schuld in die Schuhe schieben, und sich an die Spitze der Migrations-Abwehr-Bewegung setzen?

4 Gedanken zu „Der konservative Backlash oder: Warum bleibt die SPD in der Koalition?

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  2. Elmar Diederichs

    „Müsste die SPD nicht jetzt die Koalition verlassen, und mit Linken und Grünen diesen Backlash aufhalten?“

    Ja, wenn sie noch links wären.

    Doch statt Menschenwürde und soziale Würde für die Mehrheit einzufordern, versuchen die Neo-Linken durch Parteilichkeit zugunsten von Minderheiten angebliche strukturelle Ungerechtigkeiten zu kompensieren, was ihnen unabhängig von ihrer politischen Gestaltungsfähigkeit einen moralischen Wert gibt, der sich medial besonders wirksam ausschlachten läßt. Und zwar auch für die, die sich mit ihnen solidarisieren. Diese Parteillichkeit verstehe ich als eine Art postmodernischen Rest einer einstmals universalistischen Moral, deren Prinzipien zu folgen und daher handlungsleitend gegenüber allen Menschen in gleicher Weise zu sein, unter der Fuchtel eines allgemeinen Relativismus keinen Sinn mehr macht, irgendwie böse ist (alle sind unterschiedlich, wie kann man sie dann gleich behandeln?) und letztlich unverständlich geworden ist.

    Das macht es für kleinere, linke Parteien interessant sich auch ohne eigenen politischen Nutzen zu einem Teil des politischen establishments zu machen, indem man sich ganz im Sinne der linken Tradition für die Schwachen der Gesellschaft einsetzt: Zwar ist man selbst politisch visionslos, aber man gibt dem Bündnispartner eine moralisch weiße Weste, die medial entscheidend ist.

    Die Nebenfolge der generellen Solidarisierung mit Minderheiten ist, daß die Gesellschaft zusätzlich fragmentiert und weniger zu kollektivem, demokratischen Handeln fähig ist. Für die politischen Elitien ist das angenehm, insofern sie weniger im Volkswillen belästigt werden und deutlich unabhängiger vom Volk Politik machen können. Wie in einem unbeschränken Markt, der immer den stärksten Wirtschaftssubjekten am meisten nützt, wird der Charakter einer Demokratie als politisches Lobbysystem durch die angeblich wünschenswerte und freiheitverschaffende Diversität auf diese Weise verstärkt. Denn je kleiner die Gruppen sind, desto weniger können sie politisch ausrichten und wer bereits auf irgendeine Weise irgendwo etalbiert ist, wird stärker, weil die Konkurrenz schwächer wird. Auch die Bereitschaft zur Solidarität gegenüber der Gesellschaft als Ganzes und damit über die eigene soziologische Klasse hinaus – die im Extremfall aus genau einem Individuum besteht – wird abnehmen: Bye bye Sozialstaat.

    Das ist ebenfalls unvermeidlich, alles eine Frage der Methode und ihres Preises und für Konservative oder Neo-Liberalie natürlich ein Fest, die die Linken auf diese Weise erstens ausmanövrieren und zweiten auch die traditionell linke Medienlandschaft für sich einspannen können.

    Aber was macht die SPD? Sollen wir aus all dem folgern, daß sie sich selbst für eine „kleine politische Partei“ hält? Mal andersrum gefragt: Was würde es kosten, sich wie eine „große politische Partei“ zu benehmen?

    Man müßte sich mit den Medien anlegen, die nicht mehr unabhängig, sondern via GEZ staatsfinanziert und freiwillig regierungshörig geworden sind. Und man müßte vor allem eine altenative politische Vision haben, die kraftvoll genug wäre, Mehrheiten im Volk zu mobiliieren und zu binden. Doch – ups – die gibt es ja nicht mehr .. wegen der Vielfalt, die ja moralisch so unersetzlich ist … und einen universell gültigen, moralischen Kompaß, der die postmorderne Moral der Diversifizierung aufhalten könnte, gibt es auch nicht mehr.

    Offenbar bliebe der SPD nur übrig auf das angeblich überwundene Paradigma der Moderne zurückzugreifen – was ich als Humanist übrigens laufend tue. Und dann würde die solche SPD, die die Medien gegen sich aufgebracht hat, die sich gesellschaftlich lächerlich gemacht hat, weil sie rückwärtsgewandt das Paradigma der Moderne wiederbeleben will, und die sich postmodern-moralisch unmöglich gemacht hat, zu genau der Partei werden, die sie auf keinen Fall sein will – zu einer kleinen Partei.

    Und vor allem: Nichts hätte sich in politischer Hinsicht geändert. Also macht die SPD das Einzige, was ihr übrig bleibt: Sie bleibt in der großen Koalition, um im Spiel zu bleiben, um weiterhin informiert zu werden und um weiterhin zu den politischen Akteuren zu gehören, anstatt den Weg in die Diaspora anzutreten. Mit anderen Worten: Die SPD wartet auf eine Gelegenheit, zu der sie eine Veränderung zu einem günstigeren Preis bekommen kann.

    Wie realistisch das ist, kann ich nicht beantworten. Ich verstehe ja kaum die Lage und der analytische Humanismus, den ich entwickle, ist noch nicht reichhaltig genug, um eine neuen, modernistische Gesellschaftsvision zuzulassen.

  3. whocares

    Das finde ich einen der größten und bemerkenswertesten Tricks der SPD – sich weiterhin als „links“ darzustellen, obwohl sie es schon lange nicht mehr ist. Insofern kommt der „Backlash“ da vielleicht gar nicht so ungelegen, insbesondere bei den Seeheimern. Sicher, ein Ausscheren aus der GroKo könnte den Markenkern der SPD deutlich schärfen und die Umfragewerte mal wieder über 22% heben, aber taktisches Denken haben die Genossen schon lange nicht mehr drauf. Wenn sie das hätten, dann wären sie 2013 nie im Leben in die GroKo eingestiegen…

    Was Merkel angeht: Ich sage Zufall, und berufe mich auf Hanlon’s Razor. Merkels Politik hat in den letzten 11 Jahren *niemals* irgendeinen erkennbaren Ansatz von langfristiger Überlegung gezeigt – alles nur reagierend, nie über längerfristige Folgen nachgedacht, immer den Weg des kleinsten Widerstandes gegangen und TINA gerufen. Das ist kein „evil overmind“ – oder wie Pispers es so schön ausdrückte: Wenn sie vor Merkel stehen und mit ihr schimpfen, dann dreht sie sich einfach um und sagt „die stehen alle hinter mir“. Insofern war die „wir schaffen das“-Ansage bemerkenswert – ich kann mich nicht erinnern, dass Merkel in irgendeiner anderen Sache jemals Eier hatte wie hier, aber ansonsten war auch das komplett unüberlegt.

    Was Grüne angeht: die sind doch auch zu beachtlichen Teilen eher konservative (ganz gerne auch als Öko-FDP bezeichnet), deren Mitglieder sind keine Hippies mehr, sondern gutbürgerlich. Siehe BaWü, kaum von den Schwatten zu unterscheiden. Wir haben in den beiden Schröder-Legislaturen gesehen, wozu die fähig sind, wenn sie an der Macht sind.

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