Archiv für den Monat: August 2016

Die „linke“ Abneigung gegen biologische Einflüsse auf das menschliche Verhalten

Im Blog „JungsundMaedchen“ schrieb der Autor einen Artikel „Die linke Kritik an den Neo-Linken erweitert das humanistische picture“.
Darin sind durchaus einige gute Gedanken enthalten, aber es überwiegt leider, dass die Erkenntnis, dass das menschliche Verhalten auch, und durchaus stark, von der Biologie beeinflusst wird, abgelehnt und als Blödsinn bzw. „Biologismus“ abgetan wird.

Ich will hier nur kurz den Ersatz-Steven-Pinker geben, der diese linke Abwehr der biologischen Begründetheit unserer Existenz in seinem Buch the blank slate sehr treffend analysiert und zerlegt hat.

Ganz kurz: Unser Geist ist nicht von unserer biologischen Hardware unabhängig. Es gibt keinen Dualismus zwischen Körper und Geist. Es ist, wie Steven Pinker sagen würde, kein „Geist in der Maschine“, kein metaphysisches „Ding“ wie eine Seele in unserem Körper, die Maschine IST der Geist, unser Geist ist Ergebnis der Aktivität unseres Gehirns. Und darum gibt es auch keine strikte Trennung zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein, zwischen Intellekt und Instinkten, denn es hängt alles miteinander zusammen, und baut aufeinander auf.

Schade finde ich im Artikel das Strohmann-Argument, die Idee, das Teile unseres Verhaltens mit der Biologie zusammenhängen könnten sei „biologischer Determinismus“.
Kein vernünftiger Mensch würde behaupten, unser Verhalten sei biologisch determiniert, schon allein weil unser Verhalten grundsätzlich nicht deterministisch ist. ((Menschen reagieren in der gleichen Situation oftmals allein schon deshalb nicht gleich, weil sie aus der ersten Situation gelernt haben.))
Natürlich ist unser Verhalten von unzähligen Faktoren abhängig, inklusive der Frage, ob wir gut geschlafen haben und ob es gerade regnet, und natürlich hat unsere Sozialisation einen sehr großen Einfluss auf unser Verhalten. Es gibt verschiedene Wertesysteme, die unterschiedliche Sozialisationen und damit unterschiedliches Verhalten bedingen.
Aber alle Menschen haben als Grundlage für ihre Sozialisation fast gleiche mentale Fähigkeiten und unterbewusste Verarbeitungsmechanismen, die durch die Biologie unserer Art bedingt sind.
Aber niemand, auch kein Maskulist, behauptet heute, unser Verhalten sei *allein* durch die Biologie determiniert. Darum ist der „biologische Determinismus“ ein Strohmann-Argument. ((Also der Versuch, der Gegenseite die Nutzung eines schwachen/widerlegbaren Arguments zu unterstellen, dass diese aber gar nicht nutzt.))

Dennoch ist unser Verhalten teilweise biologisch determiniert. Der Reflex, keine heißen Dinge längere Zeit anzufassen, ist bei allen gesunden Menschen vorhanden, und basiert nachweisbar auf genetisch angelegten neurobiologischen Mechanismen. Auch der Hunger ist sehr tief in unserem Gehirn eingebaut und genetisch kodiert, und hat durchaus relevanten Einfluss auf unser Verhalten. („Du bist nicht Du, wenn Du hungrig bist!“)

Aber wieder zum Artikel. Nachdem der Autor sämtliche biologischen Einflüsse auf das menschliche und männliche Verhalten rundheraus geleugnet und die Idee eines biologischen Einflusses auf das menschliche Verhalten mit Scheinargumenten als „biologistisch“ verdammt hat — anscheinend, um in den Kreisen, die sein Artikel adressiert, Aktzeptanz zu generieren —, erscheint im Absatz zwischen (6) und (7) folgender bemerkenswerter Satz, ich zitiere:

Nun wissen Psychologen und Philosophen schon lange, daß Menschen mit rudimentären Fähigkeiten zur Beurteilung von Ungerechtigkeiten geboren werden, die sich im Laufe des Lebens entweder ausdifferezieren oder korrumpiert werden.

Der Autor bekennt an dieser Stelle also seinen Glauben an einen „angeborenen Sinn für Gerechtigkeit“. Dieser werde später durch Sozialisation entweder gestärkt oder zerstört.

Indes: Angeboren bedeutet neurobiologisch angelegt, bedeutet genetisch programmiert. Es sei denn, man glaubt daran, dass die „Hardware Mensch“ *irgendwie* mit einem metaphysischen „Geist“ beseelt wird, der diese erstaunliche Fähigkeit mitbringt bzw. nachrüstet. An dieser Stelle verlässt man dann auch die Grundlage der Wissenschaft und betritt das wunderbare Reich des Glaubens.
Und wir sind dann, im Sinne von Steven Pinker, wieder bei der alten Vorstellung des „Geistes in der Maschine sind“, und damit bei der überholten Vorstellung der Aufklärung, es gebe einen Dualismus von Körper und Geist.

Also: Der Autor verstrickt sich selbst in Widersprüche, indem er auf der einen Seite das Schreckgespenst und den Strohmann eines „biologistischen Maskulismus“ aufbaut, und jegliche [evolutions-][neuro-][psycho-]biologischen Einflüsse auf das menschliche Verhalten ablehnt, aber auf der anderen Seite selbst von „[angeborenen] rudimentären Fähigkeiten zur Beurteilung von Ungerechtigkeiten“ spricht.

Entweder es gibt angeborene Fähigkeiten und Verhaltensweisen, dann ist sollte der Autor seine Einstellung zu biologischen Einflüssen auf das Verhalten und seine Vorwürfe bzgl. „Biologismus“ überdenken; oder es gibt sie nicht, dann sollte der Autor eine neue Grundlage für seine Moraltheorie suchen, die ohne Rückgriff auf ein „natürliches Gerechtigkeitsempfinden“ funktioniert.

Der konservative Backlash oder: Warum bleibt die SPD in der Koalition?

In den letzten Monaten hat sich eins gezeigt:

Wir erleben in Folge der sogenannten Flüchtlingskrise einen konservativen Backlash.

Asylrechtsverschärfungen, SPD-Ministerpräsidentinnen, die mehr abschieben wollen, und Grüne, die ggf. sogar nach Syrien abschieben würden, sind eindeutige Belege, dass sich das politische Koordinatensystem nach jahrlanger Drift nach links wieder nach rechts verschiebt. Das ist ein konservativer Backlash.

Die Ursache, auch das ist klar, ist die Flüchtlingskrise, die wiederum Folge von Angela Merkels Politik ist.

Eine Frage dazu ist für mich, ob diese Entwicklung Zufall ist, oder ob Angela Merkel ggf. ein „Evil Overmind“ ist, der diesen Backlash geplant hat. Aber die Antwort auf diese Frage ist eigentlich nicht wichtig, auch wenn es eine tolle Verschwörungstheorie wäre, dass Angela Merkel als Wolf im Schafspelz durch das Zulassen der Massenimmigration sozusagen links-soziale Erzählungen als nicht mit der Realität kompatibel entlarvt und damit den konservativen Backlash scheinbar unbeabsichtigt ins Rollen gebracht hat…

Viel wichtiger ist für mich die Frage, warum die SPD bei dieser Politik mitmacht.

Liegt das daran, dass man bei der SPD selbst das Gefühl hat, dass eine Neu-Justierung des politischen Koordinatensystems in Deutschland notwendig ist?
Oder merkt die SPD gar nicht, dass ein konservativer Backlash stattfindet, und bleibt nur deshalb in der großen Koalition?

Müsste die SPD nicht jetzt die Koalition verlassen, und mit Linken und Grünen diesen Backlash aufhalten?
Und sollte sie nicht, wenn sie den Backlash gutheißt, ebenfalls die Koalition aufkündigen, Merkel alle Schuld in die Schuhe schieben, und sich an die Spitze der Migrations-Abwehr-Bewegung setzen?

Mit Pathologisierung und Infantilisierung in die Medien- und Demokratiekrise

Heute hat der Blogger und Twitterer „Stefanolix“ dargelegt, dass die „Statistik“, aus der die EU und deutsche Ministerien und die Amadeu-Antonio-Stiftung Handlungsbedarft gegen „Hatespeech“ ableiten, die Bits nicht wert ist, in denen sie gespeichert ist.

Und wie reagieren die Damen und Herren Meinungs-Beeinflusser von der Stiftung darauf?

Wie folgt:

Anstatt entweder zuzugeben, dass Stefanolix recht hat, und die Statistik wertlos ist, oder die Statistik zu verteidigen, wird pseudo-pädagogisch bzw. -psychologisch festgestellt, dass Stefanolix anscheinend „mit der Statistik unzufrieden“ sei.

Das erinnert mich etwas an „aktives Zuhören“ aus irgendwelchen Pädagogik-Büchern.
Kann man einen Bürger weniger ernst nehmen? Ein Argument umzudeuten in ein „Gefühl von Unzufriedenheit“ ist eine Unverschämtheit.

Und ich glaube, das ist grundsätzlich ein Problem unserer Zeit und auch der Politik: Als kurzfristige Kommunikationsstrategie mag es funktionieren, Kritik durch rhetorische Tricks abzublocken und ihr auszuweichen, aber langfristig funktioniert es natürlich nicht, Kritiker zu pathologisieren („Wutbürger“, „Pack“, „Phobie“ …) oder zu infantilisieren.

Dass die Politik auf diese Weise kommuniziert und die Presse diese Kommunikationsstrategien von Parteien und Politikern mitträgt bzw. nicht kritisch(er) nachfragt, führt meiner Meinung zu der Medien- und Politikverdrossenheit unserer Zeit.

Auf diese Weise kann es nicht weiter gehen. Konkret, weil überhebliche Kommunikation irgendwelcher Stiftungen, die im Auftrag von Ministerien für Wohlverhalten der Bürger in sozialen Netzwerken sorgen sollen, die Menschen weiter gegen die Politik oder zumindest gegen die hier verantwortliche SPD aufbringen wird.
Abstrakt, weil im schlimmsten Fall sogar die Demokratie selbst beschädigt wird, wenn weiterhin quasi alle Ministerien, Politiker und Parteien solche Formen belehrend-ignoranter Diskursverweigerung praktizieren.