Ein Plädoyer für Anonymität und Pseudonymität gegen Hate-Speech

Es gibt ein letzter Zeit verstärkt Forderungen, Nötigungen und Beleidigungen im Internet besser strafrechtlich verfolgbar zu machen. Und das bedeutet dann meistens: Jeder soll im Internet mit Klarnamen unterwegs und direkt von jedem als reale Person identifizierbar sein. Dadurch soll ein Abschreckungseffekt erreicht werden, sich online „zu benehmen“.

Ich will nicht bestreiten, dass „Online-Mobbing“, Stalking etc. ein Problem sind, aber es gibt außer der totalen Zuordnebarkeit von Online-Identitäten noch eine anderen Weg, das Problem zu beseitigen, und das ist das Gegenteil, nämlich die totale Nicht-Zuordnebarkeit von Online-Identität und realer Person.

Wer anonym oder pseudonym im Internet unterwegs ist und sich sicher sein kann, dass seine richtige Identität NICHT rekonstruierbar ist, solange er sie nicht von sich aus preisgibt, der braucht online keine Drohungen zu fürchten. Solange niemand weiß, ob ich in Hamburg oder München wohne, 14 oder 94, Mann oder Frau bin, gehe ich persönlich jedenfalls mit Online-Bedrohungen überaus locker um.

Erst von Juristen erzwungene Identifizierbarkeit für irgendwelche Haftungs-Ansprüche durch Whois-Records, Impressumspflicht, Klarnamenspflicht bei Online-Diensten, Verknüpfung von Daten, z.B. Email-Adresse und Telefonnummer etc. führen doch dazu, dass Online-Identitäten enttarnt werden und Drohungen überhaupt gezielt gegen reale Personen gerichtet werden können.

Es wäre also auch möglich, durch Abschaffung dieser Pflicht zur Selbstidentifikation und Einführung von von Jedermann nutzbaren Möglichkeiten zur Herstellung von Anonymität bzw. Pseudonymität einen angstfreien Aufenthalt im Internet zu ermöglichen.
Im Gegenzug könnte man ja eine Möglichkeit mit Richtervorbehalt schaffen, den Betreiber einer Webseite festzustellen, wenn Inhalte einer Website tatächlich zivilrechtlich oder strafrechtlich justiziabel wären. Durch Verfolgung von Zahlungen bzw. mit „Quick-Freeze“, also einer anlassbezogenen, kurzzeitigen „Vorratsdatenspeicherung“, sozusagen dem Online-Äquivalent einer Fangschaltung, könnte man gegen Kriminelle vorgehen, ohne jedermann unter Verdacht zu stellen und alle Bürger zu zwingen, sich online als reale Personen zu exponieren.

Pseudonymität würde auch Menschen, die professionell „Internet“ machen ermöglichen, nicht mit dem bürgerlichen Namen auftreten zu müssen, sozusagen gleichzeitig identifizierbar und nicht identifizierbar zu sein. Verschiedene Künstler sind ein Beispiel dafür, dass soetwas klappen kann.

Ermöglichen wir das doch allen Bürgern. Schaffen wir ein Internet, wo (wieder) niemand weiß, ob Du ein Mensch oder ein Hund bist, und Anonymität und Pseudonymität freie Entfaltung der Persönlichkeit ermöglichen. Wo Drohungen einfach ins Leere laufen.

Die Alternative, nämlich die Polizeistaat-Version von Internet, wo jedes Datenpaket mit der Online-ID des Verursachers ((und Urheberrechtsinformationen)) gekennzeichnet ist, ist meiner Meinung nach schlimmer als eine „virtuelle digitale Anarchie“.

Lassen wir uns also nicht vor den Karren derjenigen spannen, die von Gerechtigkeit reden, aber Überwachung meinen, und kämpfen wir für einen freien, anonymen Zugang zum Internet.

2 Gedanken zu „Ein Plädoyer für Anonymität und Pseudonymität gegen Hate-Speech

  1. Pingback: JAWOs Links am Mittwoch – KW 42/43 in 2015 - NICHT-Feminist

  2. Ichtio

    Das ist wie ich finde ein sehr interessanter Ansatz. Leider musste ich letztens feststellen, dass der Normalbürger ohne Regelungen und Obrigkeit nicht leben kann.
    Bestürzendes Beispiel: Die Umfrage eines Radiosenders, ob man an manchen kirchlichen Feiertagen ein Tanzverbot braucht oder nicht. Es könnten ja die tanzen, die wollen und die anderen nicht.
    das Ergebnis waren erschreckend viele Bürger, die nicht auf die Verbote verzichten wollten. Die Antworten dafür und dagegen hielten sich in etwa die Waage. Das bedeutet ca 50% der Bürger kann nicht ohne Verbote.
    Ich vermute das liegt tief im Neid eines jeden einzelnen verankert: „Wenn ich das nicht darf (auch wenn ich es mir selbst auferlege), dann soll es keiner dürfen“ ist die Devise.

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