Archiv für den Monat: Juni 2015

Reinhold G. und die Vorratsdatenspeicherung

Der baden-württembergische Innenminister Reinhold Gall (SPD) hat es heute vermocht, einen absoluten Tiefpunkt in der Debatte um die Vorratsdatenspeicherung zu setzen:

(Ich nehme mal an, dass dieser Account trotz fehlendem „blauen Häckchen“ tatsächlich Reinhold Gall gehört.)

Warum ist das ein Tiefpunkt? Nun, es gibt mehrere Gründe.

Erstens ist natürlich die Suggestion, die VDS würde helfen, Kinderschänder zu überführen, totaler Käse. Denn wenn man mal kurz nachdenkt, wie die SPD-Mitglieder Edathy und Tauss überführt wurden, so ist dies jeweils ganz ohne Vorratsdatenspeicherung passiert, über klassische Polizeiarbeit.
Im Fall Tauss wurden seine Kontaktdaten bei einem anderen Verdächtigen gefunden, im Fall Edathy wurden Bestell- und Bankverbindungsdaten bei einer verdächtigten Firma entdeckt.
Die „Überführung von Kinderschändern“ per Vorratsdatenspeicherung ist also nur ein Strohmannargument, um mit dem emotionalen Argument des Kinderschutzes den Abbau der Bürgerrechte zu verteidigen.

Zweitens sind Grundrechte eben nicht „relativierbar“. Nach aktueller Rechtslage ((Also bis die GroKo auch hier ein Grundrecht abschafft)) ist zum Beispiel die sogenannte Rettungsfolter nicht legal, also die Folter bzw. Bedrohung eines Verdächtigen, um eine mögliche größere Gefahr abzuwehren. Auch im Falle der „Rettungsfolter“ wird mit der hypothetischen großen Gefahr (für die vom Verbrecher versteckte Geisel, durch die von den Terroristen versteckte Atombombe…) argumentiert, die abgewehrt werden soll, um die Grundrechte eines Menschen auf Basis von Vermutungen außer Kraft zu setzen. Und nach genau diesem Muster „(imaginäre) Große Gefahr rechtfertigt großen Grundrechtseingriff“ wird auch jetzt wieder argumentiert.

Das ist eine Schande für die große Traditionspartei SPD. Man kann nur hoffen, dass eine kommende größere Wahlniederlage die SPD wieder zur Vernunft bringen wird.

Piratenpartei Programm 2017

„Dank“ der unterirdischen Performance der SPD und der Tatsache, dass man der FDP möglicherweise auch nicht unbedingt über den Weg trauen sollte, könnte es ja doch noch mal was werden mit den Piraten, nachdem sich die links-bizarre Stalinisten-Truppe jetzt zur „die Linke“ verzogen zu haben scheint.

Es gäbe ja viele Punkte, die ich als Pirat gutheißen würde für ein Wahlprogramm 2017. Aber um den inneren Zusammenhalt nicht zu gefährden und sich nicht bei schwierigen Themen auf dem falschen Fuß erwischen zu lassen, empfehle ich, allein auf

  1. Abwehr der Vorratsdatenspeicherung und generell der Totalüberwachung
  2. Abwehr von TTIP, CETA, TIPA und anderen die Handlungsmöglichkeiten der Regierung ggf. behindernden Verträgen

zu setzen. Diese Themen sind nicht so haarig wie Flüchtlingspolitik, Steuern, Sterbehilfe, Feminismus, Rüstungskontrolle, Bildungspolitik, Beschneidung und tausend weitere Dinge, wo ich auch gerne sofort bestimmte Positionen beschlossen hätte, die aber einfach zu kontrovers sind, um da Einigkeit in der Piratenpartei herzustellen und dann auch noch Mehrheiten in der Bevölkerung dafür zu bekommen.

Je mehr Themen man im Wahlkampf hat, desto wahrscheinlicher werden Wähler wegen eines der Themen beschließen, eine Partei NICHT zu wählen. Darum ist der Wahlkampf der Altparteien auch so weichgespült. Die sind ja nicht wirklich blöd, sondern haben Erfahrung und gute Berater.

Eine Partei braucht nicht mehr als ein oder zwei Themen, denn mehr kann man im Wahlkampf nicht platzieren. Jedes Thema mehr schadet, weil es die Geschlossenheit gefährdet, zusätzliche Angriffsfläche bietet, und die Aufmerksamkeit des Wählers überfordert.

Darum plädiere ich dafür: Als Themen für den Piratenpartei-Wahlkampf 2017 VDS und TTIP/CETA/TIPA nehmen.

Freies Mandat und Vollprogramm

Menschen wählen Parteien, weil sie sich von diesen Parteien eine bestimmte Politik erhoffen.
Welche Politik dies ist, wird durch das Parteiprogramm der Partei bestimmt.

Nun sind die Piraten eine Partei, die für das „Freie Mandat“ eintritt, also dafür, dass Abgeordnete nur ihrem Gewissen verpflichtet sein sollen.
Das bedeutet: Abgeordnete sollten sich nicht der Parteimeinung bzw. der Fraktionsdisziplin unterwerfen, sondern ihren eigenen Kopf haben.

Das Problem daran ist, dass die Wähler sich auf deutsch gesagt verarscht fühlen (werden), wenn Abgeordnete einer Partei, die sie gewählt haben, nicht so stimmen, wie es im Wahlkampf versprochen wurde.

Je mehr also im Wahlkampf an Positionierung versprochen wurde, desto wahrscheinlicher ist es also für eine Partei, die für das „Freie Mandat“ eintritt, dass ihre Abgeordneten gegen das eigene Parteiprogramm stimmen.
Das bedeutet: Je umfangreicher das Parteiprogramm ist, desto häufiger wird es in den eigenen Fraktionen Stimmen gegen die Programmposition geben, desto häufiger werden Wähler enttäuscht sein, desto stärker leidet die Glaubwürdigkeit der Partei.

Und darum sind Vollprogramm und „Freies Mandat“ in der Praxis unvereinbar.

Die Piratenpartei muss sich darum entscheiden: Entweder ein schlankes Programm, dass sich auf die Kernthemen konzentriert und ansonsten bei anderen Themen die Abgeordneten frei entscheiden lässt, oder ein Vollprogramm und dazu eine eiserne Fraktionsdisziplin wie bei den Altparteien.

Ich bin für ein kompaktes Programm mit Kernthemen und das Freie Mandat. Das Vollprogramm, der Versuch, auf allen Politikfeldern alles abzudecken, ist ein Irrweg, ein Holzweg, auf den uns die Altparteien und die mit diesen verbundenen Journalisten locken wollen.
Wir müssen den Mut haben zu sagen, dass wir unseren Abgeordneten bei allen Themen, die wir nicht in unserem Programm abdecken, die freie Wahl lassen werden, wie sie stimmen. Wir müssen den Mut zur programmatischen Lücken haben und darauf vertrauen, dass unsere Themen genug Menschen bewegen können, um politisch erfolgreich zu sein. Ein Vollprogramm würde bedeuten, auf fast allen Politikfeldern personell und von der Kompetenz her unterlegen zu sein. Gewählt werden werden wir aber nur, wenn wir Menschen überzeugen. Und das können wir nur, wenn wir nur zu den Schlachten antreten, wo wir überzeugen und gewinnen können, also in den Politikfeldern, wo wir überlegen Kompetenz haben. Darum ist die Kombination Kernthemen und freies Mandat für mich für die Piratenpartei „alternativlos“.