Netzneutralität oder: Die Piratenpartei als Marktwirtschaft-für-Verbraucher-Partei

Wie viele Menschen in diesem Land wohne ich in einem Gebiet mit semi-prekärer Internet-Versorgung.
Ich habe die Wahl zwischen einem ziemliche störungsanfälligen DSL 6000 (mehr gibt die Teilnehmeranschlussleistung nicht her), und Internet über KabelBW.

KabelBW hat ein attraktives Angebot. Aber was mich stört, sind die „Besonderen Geschäftsbedingungen Internet und Telefonie“.

Ganz kurz: Im Abschnitt über die genutzte Hardware, A:4 C, wird verboten, über das Internet andere Voice-Over-IP-Telefonie-Dienste zu nutzen als den von KabelBW angebotene. Im Abschnitt über Telefonie, C:2.3 & 2.6, wird verboten, über die Telefonleitung ins Internet zu gehen.

Das bedeutet: Obwohl technisch gesehen heute beide Dienste, Telefonie und Internet-Zugang, über das Internet funktionieren, wird mit juristischen Mitteln die traditionelle Trennung der Dienste „aufrechterhalten“. Der Netzbetreiber profitiert davon, dass er beide Dienste über das selbe Medium abwicklen kann, aber der Kunde soll weiter für beides getrennt zahlen.

Diese juristische und technische „Verkrüppelung“ von Internet-Zugängen mit dem Ziel, den Kunden doppelt zahlen zu lassen, ist natürlich eine Sauerei, und auch nur möglich, weil sich sämtliche Telekommunikationsanbieter zu einem Kartell zusammengeschlossen haben mit dem Ziel, die sogenannte „Netzneutralität“ abzuschaffen und die Verbraucher abzuzocken.

Netzneutralität bedeutet nämlich, dass ein Internet-Zugang nicht ein gefilterter, eingeschränkter Internet-Zugang ist, wo der Anbieter bestimmte Inhalte filtern oder verzögern kann, sondern dass ein Internet-Zugang tatsächlich ein unbeschränkter Zugang zum Internet ist, wo der Kunde sich seinen Internet-Telefonie-Anbieter unabhängig vom Internet-Zugangs-Anbieter aussuchen kann und wo Filme von Netflix genau so schnell geladen werden wie die von Entertain.

Netzneutralität bedeutet, dass der Kunde einen uneingeschränkten Zugang zum IP-Netz bekommt, ohne irgendwelche technischen oder juristischen Sperren, die ihn dazu verurteilen nur das mitgelieferte Netzabschlussgerät zu benutzen, keine „fremden“ Voice-over-IP-Dienste zu nutzen, oder irgendetwas zu tun oder nicht zu tun, was man mit einem IP-Zugang so tun kann.

Ich sehe hier eine Chance für die Piratenpartei, sich als die Partei zu positionieren, die Marktwirtschaft aus Verbraucherperspektive denkt. Marktwirtschaft bedeutet, dass sich die Anbieter anstrengen müssen, den Verbrauchern das beste Angebot zu machen. Die Spielregeln der Marktwirtschaft müssen dementsprechend von der Politik so gestaltet werden, dass die Anbieter die Möglichkeiten der Verbraucher nicht mit technischen und juristischen Tricks einschränken können.
Ohne Steuerung durch die Politik ist „der Markt“ nur ein Regelkreis, der sich in irgendeinem beliebig blödsinnigen Zustand stabilisiert. Damit „der Markt“ dazu führt, dass sich etwas zum Positiven hin verändert, müssen die (hauptsächlich in rechtlichen Regelungen bestehenden) Rahmenbedingungen hin und wieder entsprechend geändert werden.

Wir brauchen die Netzneutralität, die nichts anderes ist als eine weitere bzw. erneute Deregulierung auf dem Telekommunikationsmarkt, und wir brauchen generell eine pragmatische Anpassung des Rechts an die Realität, damit Deutschland nicht weiter das Land bleibt, in dem die weltweit meisten Youtube-Videos gesperrt sind und sogar die Live-Übertragung des 70-jährigen Jahrestages der Auschwitz-Befreieung gesperrt war (!).

Es gäbe vieles, was die Bundesregierung mit geringen Mitteln in Gang bringen könnte, wenn sie nur wollte. Dinge, die die Menschen wollen, zum Beispiel sicherere IT-Systeme, wirklich abhörsichere Telefone, sicher verschlüsselte EMails, und zwar für alle, kostenlos.

Das sind Punkte, die wir Piraten 2017 auf unsere Fahnen schreiben sollten, Dinge, die zu unseren Kernthemen gehören.
Andere Sachen, die auch wichtig sind, aber auch innerparteilich zu kontrovers und zu bunt gemischt, um sie im Wahlkampf vermitteln und kommunizieren zu können, sollten wir bis 2018 zurückstellen.