Der wirkliche Vorteil eines Delegiertensystems.

Fulleren hat zum Thema Delegiertensystem gebloggt.

Er führt als Vorteile eines Delegiertensystems folgenden Dinge an, meint aber wohl eigentlich damit angebliche Nachteile des basisdemokratischen Systems:

– schlecht vorbereitete Stimmberechtigte
– Teilnehmer gehören zur Zeitelite
– Teilnehmer gehören zur Geldelite
– Teilnehmerzahl ist zu gering um repräsentativ zu sein
– Ort des Parteitags verfälscht das Ergebnis
– Regionen werden unter/überrepräsentiert

Ich will mich aber gar nicht lange damit aufhalten. Denn ich glaube, dass Fulleren es sich entweder etwas einfach macht und sich nur mit Strohmann-Argumenten auseinandersetzt, oder aber wichtige Vorteile des Delegiertensystems nicht wahrgenommen hat. Das beste Argument Pro Delegiertensytem lässt er einfach unerwähnt:

Das Delegiertensystem ist im Grunde bzw. im Kern ein verteilter, rundenbasierter Algorithmus, der die Entscheidungsfindung nach dem Prinzip von „Divide and Conquer“ organisiert und parallelisiert und damit die Effizienz der Antragsberatung mehrfach verbessert.

Die Basisdemokratie hingegen ist — zumindest in der Piratenpartei — einfach das Fehlen jeder intelligenten Steuerung des Ablaufs der politischen Willensbildung.

Rick Falkvinge, immerhin Gründer der Piratenpartei, schreibt in seinem Buch „Swarmwise“ darum auch nicht etwa, dass es eine tolle Idee wäre, eine Organisation mit nur einem Entscheidungsgremium zu gründen. Statt dessen schreibt er von hierarchischen Organisationsformen mit bestimmten optimalen Gruppengrößen, die Kommunikationsoverhead vermeiden, als Methode einen Schwarm effizient zu organisieren.

Und er hat absolut Recht mit seinen Überlegungen, denn wenn Gruppen bestimmt Größen überschreiten, ist keine sinnvolle Arbeit mehr möglich, weil dann einfach nicht mehr jeder mit jedem sprechen kann und nicht mehr jeder jeden kennt. Darum gibt es in Firmen auch eher kleine Teams, darum hat das Bundeskabinett keine 50 Mitglieder. Aufsichtsräte und Vorstände sind zwischen 5 und 12 Personen groß, und bei Landesparteitagen von „Altparteien“ gibt es zwischen 200 und 400 Delegierten (was eigentlich schon zu viele sind), aber keine 2000 Teilnehmer wie bei einem BPT der Piratenpartei.

Was ist wohl effizienter – wenn 2000 Leute an einem Wochenende an einem Ort gleichzeitig alle Anträge diskutieren, die alle zusammen erstellt haben, wobei jeder bei 2 Tagen Parteitag (16h a 60 Minuten = 960 Minuten, geteilt durch 2000 ergibt 0,48 Minuten = 28,8 Sekunden) nur weniger als eine Minute Redezeit hat?

Oder ist es effizienter, wenn die 2000 Leute sich in der ersten Runde eines verteilten Algorithmus auf z.B. 50 kleine Gruppen aufteilen, die nicht alle Anträge diskutieren, sondern nur die, die aus der eigenen Gruppe kommen, und dann schonmal die offensichtlich spinnerten und nicht mehrheitsfähigen aussortieren, und nur die erfolgversprechenden in die nächste Runde geben, zusammen mit Leuten, die diese Anträge in der nächsten Runde vertreten können?
In der nächsten Runde, oder den nächsten Runden, mit weniger vielen, vielleicht etwas größeren, aber weiter mehrfach parallel und mit geringem Kommunikationsoverhead arbeitenden Gruppen können dann Dubletten eliminiert werden und alle Anträge nochmal ausdiskutiert werden, und in der letzten, großen Endrunde werden dann die mittlerweile gereiften und konsolidierten Anträge endgültig beschlossen.

Jede einzelne dieser Gruppen in den verschiedenen Runden hat weniger Kommunikationsoverhead als der 2000-Mann-BPT, und arbeitet effizienter. Hinzu kommen die Gewinne durch die Parallelisierung und die Eliminierung von Dubletten-Anträgen, die dazu führen, dass die Endrunde dieses Algorithmus unter viel besseren Vorbedingungen startet (mit weniger, besser vorbearbeiteten, mehrheitsfähigeren Anträgen) als ein basisdemokratischer Parteitag.

Gut der basisdemokratische Parteitag verspricht Partizipation für alle, aber man muss kein Genie und Mathecrack sein um zu erkennen, dass ein basisdemokratischer Bundesparteitag mit 2000 Leuten nicht etwa bedeutet, dass jeder partizipieren kann, sondern eher bedeutet, dass kaum jemand wirklich gehört wird. Bei 2000 Leuten gibt es theoretisch (2000² + 2000) / 2 Kommunikationsbeziehungen, also 2.001.000 Paarungen von Kommunikationspartnern. Die können niemals zustande kommen, was bedeutet, dass in so einer großen Gruppe vor allem aneinander vorbeigeredet wird, und nicht miteinander. Von daher ist „Partizipation durch Basisdemokratie“ ein Versprechen, das sich nie erfüllt, und darum haben wohl auch die Grünen die Basisdemokratie schließlich abgeschafft.

Natürlich könnte man einen verteilten politischen Beschluss-Algorithmus auch anders organisieren als die Altparteien, z.B. nicht an Kreise, Bezirke, Landesgrenzen, Hierarchie-Ebenen der Parteiorganisation gebunden, sondern vielleicht dynamisch nach Anzahl der Interessierten, oder nach Themengebieten getrennt. Auf die Vorteile der Parallelisierung und Verteilung dieses rundenbasierten Systems zu verzichten, nur um „anders“ zu sein ist hingegen meiner Meinung nach völliger Irrsinn. Lieber würde ich an der Art und Weise, wie und wie lange Delegierte gewählt werden, herumschrauben, um zu verhindern, dass Delegierungen einhergehen mit einer Art dauerhaftem Machtzuwachs und einer deutlich höheren Möglichkeit, eigene Themen zu platzieren. Zum Beispiel könnte man darauf verzichten, dass Gliederungs-Vorstände (z.B. Landesvorstände) Anträge direkt in eine der Endrunden des Beratungsalgorithmus einspeisen können, anstatt wie alle anderen in der ersten Runde einsteigen zu müssen.

Auch wenn man die Delegiertensysteme der Altparteien mit einigen guten Gründen kritisieren kann – das zugrundeliegende System der mehrstufigen Antragsberatung und der Delegierung für die nachfolgenden Runden ist meiner Meinung nach der Basisdemokratie so deutlich und klar überlegen, dass man dieses System als solches eigentlich nicht ablehen kann. Entweder Fulleren hat das nicht gesehen, oder aber er ist absichtlich nicht auf diese eigentliche Kernfrage eingegangen. Beides kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, und bleibe insofern ratlos zurück und warte auf etwaige Kommentare.

5 Gedanken zu „Der wirkliche Vorteil eines Delegiertensystems.

  1. Fulleren

    Hinweis:
    Ich habe die Argumente aufgegriffen, mit denen Leute mir gegenüber für ein Delegiertensystem argumentiert haben.
    Ein paar davon hat z.B. Foti in seinem Blogpost untergebracht. http://stille-piraten.de/2014/10/22/145/
    andere werden gerne auch für LQFB/SMV/BEO verwendet und man kann sie nicht oft genug widerlegen.

    Ich hoffe das klärt deine Ratlosigkeit.

    Ein LPT in NRW hat 2012 mit etwa 500 Akkreditierten über 200 Anträge an einem Wochenende vorgestellt, kurz diskutiert und abgestimmt. Grob geschätzt gab ein 6 Minuten pro Antrag.
    Das geht, wenn man das möchte.

    1. Autor Beitragsautor

      200 Anträge à 6 Minuten sind 1200 Minuten sind 20 Stunden Netto-Arbeitszeit.
      Ich denke, wegen Akkreditierung, Organisation, Wahlen, Antragsreihung können niemals 20 Stunden Netteoarbeitszeit zusammenkommen an einem Wochenende.
      Und sogar wenn 6 Minuten pro Antrag drin wären reicht das nichtmal für eine ordentliche Antragsvorstellung und eine Gegenrede.

      Dementsprechend kann ich mir nicht vorstellen, dass bei dieser Vorgehensweise etwas Sinnvolles herauskommt. Und bestimmt nichts, was an die Qualität eines mehrstufigen, parallelisierten Systems rankommt.

      1. Fulleren

        Die Anträge wurden in den 2-3 Wochen vor dem Parteitag in Mumblesitzungen vorgestellt und diskutiert. Einige Anträge konnten als Gruppe vorgestellt und behandelt werden. Viele Leute waren einfach vorbereitet, dass macht viel aus. Der Verzicht auf TO- und GO-Diskussionen hilft natürlich auch.

        1. peter Beitragsautor

          Okay, also gab es eine Art „Antragskommission“ (böses Altparteienwort!), die die Anträge gruppiert hat, und es gab eine „Vorrunde“, in der die Anträge bereits einmal bearbeitet worden sind? Aber wie habt ihr es geschafft, dass es keine TO-/GO-Diskussionen gab?

          1. Fulleren

            Wir im LV NRW woll(t)en Politik machen. Damals hatten die AGs ihre Programmteile fertig und die Umfragewerte waren gut. Es sah so aus, als könnten wir unsere Inhalte in den Landtag tragen.
            Forsche mal nach, woher weite Teile des Programms stammen, bevor sie durch Copy and Paste, in alle Piratenprogramme gewandert sind.
            Du brauchst keine TO-Diskussionen, wenn du weist dass jeder Antrag dran kommt. NRW hat keinen Antragsstau so wie der Bund. Wir haben seit Jahren eine brauchbare GO für Programmparteitage.

Kommentare sind geschlossen.