Archiv für den Monat: Oktober 2014

Der wirkliche Vorteil eines Delegiertensystems.

Fulleren hat zum Thema Delegiertensystem gebloggt.

Er führt als Vorteile eines Delegiertensystems folgenden Dinge an, meint aber wohl eigentlich damit angebliche Nachteile des basisdemokratischen Systems:

– schlecht vorbereitete Stimmberechtigte
– Teilnehmer gehören zur Zeitelite
– Teilnehmer gehören zur Geldelite
– Teilnehmerzahl ist zu gering um repräsentativ zu sein
– Ort des Parteitags verfälscht das Ergebnis
– Regionen werden unter/überrepräsentiert

Ich will mich aber gar nicht lange damit aufhalten. Denn ich glaube, dass Fulleren es sich entweder etwas einfach macht und sich nur mit Strohmann-Argumenten auseinandersetzt, oder aber wichtige Vorteile des Delegiertensystems nicht wahrgenommen hat. Das beste Argument Pro Delegiertensytem lässt er einfach unerwähnt:

Das Delegiertensystem ist im Grunde bzw. im Kern ein verteilter, rundenbasierter Algorithmus, der die Entscheidungsfindung nach dem Prinzip von „Divide and Conquer“ organisiert und parallelisiert und damit die Effizienz der Antragsberatung mehrfach verbessert.

Die Basisdemokratie hingegen ist — zumindest in der Piratenpartei — einfach das Fehlen jeder intelligenten Steuerung des Ablaufs der politischen Willensbildung.

Rick Falkvinge, immerhin Gründer der Piratenpartei, schreibt in seinem Buch „Swarmwise“ darum auch nicht etwa, dass es eine tolle Idee wäre, eine Organisation mit nur einem Entscheidungsgremium zu gründen. Statt dessen schreibt er von hierarchischen Organisationsformen mit bestimmten optimalen Gruppengrößen, die Kommunikationsoverhead vermeiden, als Methode einen Schwarm effizient zu organisieren.

Und er hat absolut Recht mit seinen Überlegungen, denn wenn Gruppen bestimmt Größen überschreiten, ist keine sinnvolle Arbeit mehr möglich, weil dann einfach nicht mehr jeder mit jedem sprechen kann und nicht mehr jeder jeden kennt. Darum gibt es in Firmen auch eher kleine Teams, darum hat das Bundeskabinett keine 50 Mitglieder. Aufsichtsräte und Vorstände sind zwischen 5 und 12 Personen groß, und bei Landesparteitagen von „Altparteien“ gibt es zwischen 200 und 400 Delegierten (was eigentlich schon zu viele sind), aber keine 2000 Teilnehmer wie bei einem BPT der Piratenpartei.

Was ist wohl effizienter – wenn 2000 Leute an einem Wochenende an einem Ort gleichzeitig alle Anträge diskutieren, die alle zusammen erstellt haben, wobei jeder bei 2 Tagen Parteitag (16h a 60 Minuten = 960 Minuten, geteilt durch 2000 ergibt 0,48 Minuten = 28,8 Sekunden) nur weniger als eine Minute Redezeit hat?

Oder ist es effizienter, wenn die 2000 Leute sich in der ersten Runde eines verteilten Algorithmus auf z.B. 50 kleine Gruppen aufteilen, die nicht alle Anträge diskutieren, sondern nur die, die aus der eigenen Gruppe kommen, und dann schonmal die offensichtlich spinnerten und nicht mehrheitsfähigen aussortieren, und nur die erfolgversprechenden in die nächste Runde geben, zusammen mit Leuten, die diese Anträge in der nächsten Runde vertreten können?
In der nächsten Runde, oder den nächsten Runden, mit weniger vielen, vielleicht etwas größeren, aber weiter mehrfach parallel und mit geringem Kommunikationsoverhead arbeitenden Gruppen können dann Dubletten eliminiert werden und alle Anträge nochmal ausdiskutiert werden, und in der letzten, großen Endrunde werden dann die mittlerweile gereiften und konsolidierten Anträge endgültig beschlossen.

Jede einzelne dieser Gruppen in den verschiedenen Runden hat weniger Kommunikationsoverhead als der 2000-Mann-BPT, und arbeitet effizienter. Hinzu kommen die Gewinne durch die Parallelisierung und die Eliminierung von Dubletten-Anträgen, die dazu führen, dass die Endrunde dieses Algorithmus unter viel besseren Vorbedingungen startet (mit weniger, besser vorbearbeiteten, mehrheitsfähigeren Anträgen) als ein basisdemokratischer Parteitag.

Gut der basisdemokratische Parteitag verspricht Partizipation für alle, aber man muss kein Genie und Mathecrack sein um zu erkennen, dass ein basisdemokratischer Bundesparteitag mit 2000 Leuten nicht etwa bedeutet, dass jeder partizipieren kann, sondern eher bedeutet, dass kaum jemand wirklich gehört wird. Bei 2000 Leuten gibt es theoretisch (2000² + 2000) / 2 Kommunikationsbeziehungen, also 2.001.000 Paarungen von Kommunikationspartnern. Die können niemals zustande kommen, was bedeutet, dass in so einer großen Gruppe vor allem aneinander vorbeigeredet wird, und nicht miteinander. Von daher ist „Partizipation durch Basisdemokratie“ ein Versprechen, das sich nie erfüllt, und darum haben wohl auch die Grünen die Basisdemokratie schließlich abgeschafft.

Natürlich könnte man einen verteilten politischen Beschluss-Algorithmus auch anders organisieren als die Altparteien, z.B. nicht an Kreise, Bezirke, Landesgrenzen, Hierarchie-Ebenen der Parteiorganisation gebunden, sondern vielleicht dynamisch nach Anzahl der Interessierten, oder nach Themengebieten getrennt. Auf die Vorteile der Parallelisierung und Verteilung dieses rundenbasierten Systems zu verzichten, nur um „anders“ zu sein ist hingegen meiner Meinung nach völliger Irrsinn. Lieber würde ich an der Art und Weise, wie und wie lange Delegierte gewählt werden, herumschrauben, um zu verhindern, dass Delegierungen einhergehen mit einer Art dauerhaftem Machtzuwachs und einer deutlich höheren Möglichkeit, eigene Themen zu platzieren. Zum Beispiel könnte man darauf verzichten, dass Gliederungs-Vorstände (z.B. Landesvorstände) Anträge direkt in eine der Endrunden des Beratungsalgorithmus einspeisen können, anstatt wie alle anderen in der ersten Runde einsteigen zu müssen.

Auch wenn man die Delegiertensysteme der Altparteien mit einigen guten Gründen kritisieren kann – das zugrundeliegende System der mehrstufigen Antragsberatung und der Delegierung für die nachfolgenden Runden ist meiner Meinung nach der Basisdemokratie so deutlich und klar überlegen, dass man dieses System als solches eigentlich nicht ablehen kann. Entweder Fulleren hat das nicht gesehen, oder aber er ist absichtlich nicht auf diese eigentliche Kernfrage eingegangen. Beides kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, und bleibe insofern ratlos zurück und warte auf etwaige Kommentare.

Eingefrorene Eizellen oder: Die (Un-)Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Machen wir uns nichts vor. Es gibt keine „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“, jedenfalls nicht in dem Sinne, dass man gleichzeitig voll für seine Familie da sein und mit ganzer Kraft an einer Karriere arbeiten kann.

Man kann seine Kraft zwischen Beruf und Familie verteilen. Workaholics und Vollzeit-Eltern bilden dabei die Extreme; dazwischen gibt es alle möglichen anderen Modelle der Verteilung der eigenen Kraft auf Beruf oder Familie.

Aber wie auch immer man seine Kraft verteilt: Natürlich kann man nicht gleichzeitig seinen Kindern die ideale Kindheit mit anwesenden und aktiven Elternteilen bieten und nebenher Karriere machen, mit Überstunden, Stresszeiten, Weiterbildungen, Jobwechseln. Eltern machen weniger, langsamer oder überhaupt nicht Karriere, entweder beide, oder der Elternteil, der sich stärker für die Familie als für den Job entscheidet. Das ist bei Männern genau so wie bei Frauen.

Dass uns, dass Frauen und Männern dennoch von Politik und irgendwelchen Nachrichtenmagazinen bzw. Frauenzeitschriften stetig eingeredet wird, eine tolle Karriere sei ebenso Pflicht wie eine glückliche Familie ist meiner Meinung nach eine Irreführung, auf die wir nicht hereinfallen sollten, weil wir sonst nur unglücklich werden können mit unserer nicht-perfekten Familie und unserer nicht-perfekten Karriere und der scheinbaren Ungerechtigkeit, dass man einfach keine zwei Dinge gleichzeitig tun kann.

tl;dr;:Die „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ im Sinne von Beides-haben-Können ist eine Lüge, die wir glauben, weil wir sie so gern glauben wollen, obwohl wir es besser wissen sollten.

Das Angebot von Silicon-Valley-Unternehmen, Frauen das Einfrieren von Eizellen zu finanzieren, empfinde ich in diesem Zusammenhang als weitere groteske Ausbaustufe des offensichtlich unhaltbaren Versprechens, in seiner begrenzten Lebenszeit doch irgendwie alles haben zu können, tolle Karriere, Selbstverwirklichung, Haus, Nestbau, Familie, Barbequeue mit den Enkeln in der Vorstadt…

Dieses Angebot soll helfen, die Familiengründung (ad infinitum?) zu verschieben, zumindest aber aus dem Zeitraum der höchsten Leistungsfähigkeit heraus. Entsprechend der verbreiteten Vorstellung davon, in welchen Phasen ein „erfolgreiches Leben“ ablaufen sollte.

Ich halte die Entwicklung unserer Vorstellungen von so einem Leben allerdings für eine krasse Fehlentwicklung.

Die Vorstellung vom „erfolgreichen“ Leben sieht meiner Meinung nach so aus: Nach der glücklichen Kindheit kommt die erfolgreiche Schulzeit, dann Ausbildung/Studium, dann die berufliche Karriere. Dabei findet man dann den Traumpartner, und dann wird die Familie gegründet, natürlich nicht, bevor genug Geld für das geräumige Passiv-Haus im Grünen und den SUV einer süddeutschen Automarke beiseite gelegt worden ist…

In Wirklichkeit ist es aber so, dass jüngere Menschen sich natürlich leichter tun, Kinder zu bekommen und aufzuziehen, weswegen frühes Kinder-Kriegen günstig wäre. Wer mit dreißig — aus heutiger Sicht: schon — die ersten Kinder bekommt muss einsehen, dass es eigentlich doch schon etwas spät ist, weil man mit 20 die durchgeschrieenen Nächte mit Säuglingen oder kranken Kleinkindern leichter weggesteckt hätte. Und auch unter dem Aspekt der Fruchtbarkeit oder dem Aspekt der Verfügbarkeit fitter Großeltern zur Kinderbetreuung wäre eine frühe Familiengründung günstig. Es gilt nur irgendwie als falsch oder gar asozial Kinder in die Welt zu setzen, wenn man keine Ausbildung oder kein Studium oder noch keine relevante Karriere vorweisen kann. Obwohl man sich natürlich viel schwerer tut, nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensstandards und einer bestimmten Karrierestufe diese Dinge aufzugeben um kleine, zeitraubende, teure Monster in die Welt zu setzen, was Kinder einfach manchmal sein können.

Wenn unsere Gesellschaft tatsächlich ein „lebenslanges Lernen“ ermöglichen würde, wenn es tatsächlich jedem jederzeit möglich wäre eine Ausbildung oder ein Studium neu aufzunehmen oder fortzusetzen, wenn die Menschen keine Angst hätten bzw. haben müssten, nach einer frühen Familiengründung unqualifiziert und ohne gute weitere Bildungsmöglichkeiten sozial abzurutschen, dann könnte man die „Ideal-Reihenfolge“ von Schule-Ausbildung/Studium-Karriere-Familie ggf. durchbrechen.
Dann würden Eltern ihren Kindern nicht gut zureden (müssen), „erstmal die Ausbildung/das Studium“ fertigzumachen oder „erstmal Karriere zu machen“, „erstmal etwas zu sparen“, vielleicht sogar „erstmal ein Haus zu bauen“, etc..
Und wenn wir aufhören würden uns einzureden, es gäbe eine Art von „Vereinbarkeit von Beruf und Karriere“, die jedem alles ermöglicht, dann könnten wir vielleicht entspannter an das Thema Familiengründung herangehen und aufhören, auf „den idealen Zeitpunkt“ für die Familiengründung zu warten, der natürlich niemals kommt, weil es ihn nicht gibt; zumal es immer großartig ist, ein Kind zu bekommen.

Vielleicht könnten wir den Trend zu einer immer späteren Familiengründung umkehren, und vielleicht könnten wir dann einfach über Firmen lachen, die ihren Mitarbeiterinnen durch Eizellen-Einfrier-Angebot „helfen“, ihre naive Wunschvorstellung von der Machbarkeit eines zweihundertprozentigen Lebens mit 100% Karriere und 100% Familienglück weiterzuleben, bis es vielleicht für eine Familie doch zu spät ist.

Amazon Prime – my ass!

Vor noch ca. einem Jahr dauerten auch „normale“ Sendungen bei Amazon meist nur einen Tag.
Heute werden immer öfter die drei Tage gerissen, obwohl man annehmen sollte, das Amazons Logistik eher besser als schlechter geworden ist.

Meine Vermutung, schon seit Monaten, ist, dass durch eine künstliche Verschlechterung des „normalen“ Serivce-Niveaus für Nicht-Prime-Kunden der Anreiz zum Abschluss einer Prime-Mitgliedschaft erhöht werden soll.

Eine Überlastung des Amazon-Versandapparats kann bestimmt nicht der Grund dafür sein, dass Nicht-Prime-Sendungen länger dauern – denn dann müssten sich die Verzögerungen auch über die drei-Tages-Grenze hinweg aufstauen.
Und es scheint auch nicht so, als würden Prime-Sendungen teurer versendet. Der einzige Unterschied scheint zu sein, dass Amazon Prime-Sendungen schneller zusammenstellen und ausliefern lässt.

Der Grund dafür, dass ich überzeugt bin, dass Amazon die Nicht-Prime-Sendungen absichtlich künstlich verzögert ist folgender: Amazon hat ein Interesse daran, *alle* Kunden zu Prime-Kunden zu machen. Das bedeutet, dass die Logistik so gestaltet sein muss, dass Prime-Versand für *jeden* Kunden möglich ist. Bestimmt hat Amazon keine zwei verschiedenen Lagerhäuser und Logistik-Unternehmen für Prime- und Nicht-Prime-Kunden. Folglich kann der Grund dafür, dass Prime-Kunden ihre Pakete schneller bekommen nur sein, dass der Versand zu Nicht-Prime-Kunden absichtlich verzögert wird.

Und auf Service-Verschlechterung-als-Mittel-um-Leuten-Zusatzleistungen-Anzuschnacken stehe ich ja überhaupt nicht. Diesen Mist mache ich weder beim HD-Fernsehen mit, noch bei Versandhändlern. Und darum werde ich versuchen, meine Einkäufe bei Amazon soweit als möglich zu beschränken – und für „Prime“ extra bezahlen werde ich auch nicht. Denn unter Kundenservice verstehe ich Etwas anderes als Kunden zusätzliches Geld aus der Tasche ziehen zu wollen, und Marktwirtschaft bedeutet ja zum Glück, dass ich als Kunde Händler boykottieren kann, die diese Art von Kundenfreundlichkeit betreiben.