Archiv für den Monat: April 2014

Libertär ist nicht liberal. Reloaded.

Nur ein relativ kurzer Rant:

Libertarismus ist eine politische Richtung, die auf der Annahme basiert, dass Menschen quasi uneingeschränkt befähigt sind, Verantwortung zu übernehmen. Sowohl für sich selbst, aber auch für andere und anderes, denn wichtigste Idee des Libertarismus ist die Freiheit von Einschränkungen durch andere und den Staat (also Negative Freiheit, bzw. „Freiheit von etwas“).

Der „idealtypische Mensch“ im Libertarismus muss also möglichst maximal gebildet, weitsichtig und extrem verantwortungsvoll sein, sonst wäre er nicht in der Lage, bei minimaler „Leitung“ (bzw. Einschränkung) von außen richtig zu handeln. Der ideale Mensch im Libertarismus entscheidet möglichst alles selbst: Ob und was er lernt oder tut. Ob und wie er sich versichert. Und er übernimmt für alles die Verantwortung: Wenn er sich nicht krankenversichert hat, leidet er lieber vor sich hin, als den Sozialstaat um Almosen zu bitten. Wenn er ein Atomkraftwerk gebaut hat, das dann explodiert, zahlt er die fälligen Milliarden für die Entseuchung der Natur…

Womit ich schon beim Punkt wäre: Menschen, die dem Typus des „libertären Menschen“ entsprechen gibt es in der Realität nicht. Und die meisten Menschen sind noch nicht einmal nahe dran an diesem Ideal des selbstbestimmten, kontrollierten, rational denkenden, aufgeklärten und universell informierten Menschen.
Und deshalb ist der Libertarismus meines Erachtens keine politische Richtung im eigentlichen Sinne, sondern eine extremistische Ideologie, deren Kern die abwegige Annahme ist, Menschen könnten dem Idealtypus des jederzeit selbstreflektiert, informiert, überlegt und verantwortlich handelnden „libertären Menschen“ entsprechen, und tatsächlich auch für alles Verantwortung übernehmen, was Menschen tun können.

Doch Menschen überschätzen sich. Menschen denken nicht nach oder haben nicht genug Zeit dafür oder machen dumme Fehler. Menschen betrügen und begehen aus Verzweiflung oder Gier Verbrechen. Menschen haben Persönlichkeitsstörungen oder werden physisch oder psychisch krank. Menschen können geistig eingeschränkt sein. Menschen können Wahrscheinlichkeiten schlecht einschätzen, oder verwechseln geringe Wahrscheinlichkeiten mit der Sicherheit, dass etwas nicht passieren wird. Menschen spielen deshalb Lotto, um reich zu werden, und bauen Atomkraftwerke, weil schon nix passieren wird. Menschen lassen sich mit Psychotricks Zeitschriften andrehen. Menschen haben unzählige Schwächen, und in unserer arbeitsteiligen, hochstrukturierten, immer spezialisierteren Wissensgesellschaft gibt es am Ende kaum jemanden, der alle seine Entscheidungen wirklich informiert treffen kann.
Also kann kein real existierender Mensch die Verantwortung und die Fülle von Entscheidungen, die der Libertarismus ihm aufbürden will, wirklich tragen. In dieser Hinsicht ist der Libertarismus unmenschlich, weil er jeden Menschen permanent überfordern will und verkennt, dass der Mensch schon immer ein Gruppenwesen ist, das auch nur in der Gruppe dauerhaft überlebensfähig und produktiv ist.

Den „libertären Menschen“ gibt es also nicht. Nur einige wenige, meist junge, männliche Menschen, möglicherweise in manchen Fällen auch mit ausgeprägter Persönlichkeitsakzentuierung, glauben, dieser Typ Mensch zu sein.

Das sind dann Leute, die für privaten Waffenbesitz, Atomkraft etc. plädieren, weil der Staat dem Bürger und den Unternehmen bitte nicht reinreden soll, was diese tun sollen, denn der einzelne wisse schon, was er tue, und könne das auch alles selbst verantworten. Das Risiko dafür, dass das so nicht funktioniert, weil jemand selbstbestimmt die Landschaft vergiftet oder Leute erschießt soll dann die Gesellschaft tragen; diese bekommt dafür ja auch das wunderbare Geschenk der libertären Freiheit.

Und hier ist meiner Meinung nach der Unterschied zum Liberalismus: Der Liberalismus ist ebenfalls für individuelle Freiheit, aber der Liberalismus hat auch eine humanistische Tradition, die sich auch der Tatsache bewusst ist, dass der Mensch zahlreiche Schwächen hat. Der Liberalismus beschränkt deshalb das Maß an Verantwortung, das eine Person oder Firma übernehmen kann oder darf, auf ein realistisch handhabbares Maß. Darum müssen Firmen auch Eigenkapital haben. Darum müssen Autofahrer versichert sein. Darum darf nur operieren, wer Facharzt für Chirurgie ist. Darum gibt es ein solidarisches Gesundheitssystem.
Der Liberalismus denkt auch an die „Freiheit zu etwas“. Wer damit beschäftigt wäre, für alles verantwortlich zu sein, wer als Individuum in unserer komplexen Welt komplett auf sich selbst zurückgeworfen wäre, weil es keinen Staat oder keine Stelle gäbe, an die er sich wenden könnte, der wäre auch nicht wirklich frei, sondern eher ständig voller Sorge.

Und darum versucht der Liberalismus, einen vernünftigen Kompromiss zu finden zwischen positiver und negativer Freiheit, zwischen Eigenverantwortung des Individuums und staatlicher Verantwortung dafür, dass Invididuen sich und andere nicht ruinieren.

Und darum sind liberal bzw. sozial-liberal und libertär zwei völlig unterschiedliche Dinge. Bitte merken.

Gender- bzw. Gleichheitsfeminismus-Theorie – Der Sprung vom Instinkt-Verhalten zur sozialen Konstruktion von Verhalten

Der Gleichheits- bzw. Gender-Feminismus basiert auf der Theorie, dass die Geschlechterrollen „sozial konstruiert“ sind, und Männern in Frauen *in Wirklichkeit* gleich sind. Bei Abwesenheit eines Rollen-Aufprägenden sozialen Umfelds — so die Theorie — würden Frauen und Männer sich genau gleich verhalten.

Ich bin allerdings skeptisch. Denn die Theorie hat eine große Schwäche. Ihr fehlt eine konsistente Erklärung, wie es zur sozialen Tradierung des Geschlechterrollenverhaltens gekommen sein soll.

Die Theorie hat keine Antwort auf die Frage, wie und wann und wo in der Evolution des Menschen die Umstellung vom Instinkt-Verhalten zu diesem „sozial konstruierten“ bzw. durch soziale Konditionierung aufgeprägten Verhalten stattgefunden haben soll.

Denn ohne Zweifel ((es sei denn, Gender-Feministen sind automatisch auch Kreationisten)) gibt es bei Tieren instinkt-basiertes Rollenverhalten. Sozial konstruiertes Rollenverhalten setzt hingegen zwei Dinge voraus, nämlich soziale Kommunikation und ausgeprägte Rollen, denn sonst kann das Rollenverhalten nicht „sozial tradiert“ werden.

Soziale Kommunikation deshalb, weil die Erwartungshaltung bezüglich des „richtigen“ Rollenverhaltens zur sozialen Tradierung eindeutig und intensiv vermittelt werden muss. Notwendig zur Vermittlung eines so komplexen Verhaltens sind Sprache, Mimik und Gestik und die vergleichsweise enorm lange Aufzucht- bzw. Erziehungszeit. Bei Tieren ist darum ein sozial tradiertes Verhalten schon theoretisch gar nicht möglich.

Und ausgeprägt, also deutlich unterschiedlich müssen die Rollen sein, weil sonst die „soziale Tradierung“ nicht funktioniert und die Rollen verloren gehen. Der Genderfeminismus setzt diese Möglichkeit der Unterbrechung der sozialen Tradierung explizit voraus. Denn auf dieser Möglichkeit basieren seine Versuche, die soziale Tradierung der Geschlechterrollen durch die Einebnung der Rollenunterschiede zu unterbrechen.

Wenn man also annimmt, dass „soziale Tradierung“ existiert, aber nur dann funktionieren kann, wenn ausgeprägte Rollenunterschiede existieren, folgt daraus, dass die soziale Tradierung des Rollenverhaltens zu einem Zeitpunkt in der Evolution eingesetzt haben muss, an dem es ein sehr ausgeprägtes Instinkt-basiertes Rollenverhalten gab.

Denn ohne dieses ausgeprägte Instinkt-basierte Rollenverhalten hätte die soziale Tradierung nicht beginnen können. Es sei denn, das sozial tradierte Rollenverhalten wäre schon auf einem sehr geringen Niveau von Geschlechterunterschieden stark selbstverstärkend. In dem Fall aber hätte der Genderfeminismus ein generelles Problem, denn dann wäre der Kampf gegen das Rollenverhalten aussichtslos, weil es sich selbst immer wieder aus dem Nichts aufbauen könnte.

Also müssen wir, um die Theorie der sozialen Tradierung von Rollenverhalten in Einklang mit der Tatsache zu bringen, dass bei Tieren das Rollenverhalten Instinkt-basiert ist, voraussetzen, dass beim Einsetzen der sozialen Tradierung des Rollenverhaltens eben dieses Rollenverhalten stark unterschiedlich ausgeprägt und Instinkt-basiert war.

Dann wiederum müsste es zwischen dem Zeitpunkt dieses Starts und heute einen Übergang vom Instinkt-basierten zum sozial konstruierten Rollenverhalten gegeben haben. Realistisch denkbar ist dabei nur ein langsamer Übergang, bei dem das Instinkt-basierte Verhalten langsam weggefallen ist, denn Instinkte verschwinden nicht über Nacht.

Nun ist es aber so, dass Instinkte extrem widerstandfähig sind gegen „wegfallen“. Der Fluchtinstinkt, Angst vor Spinnen oder Schlangen, das Risiko-Verhalten – unzählige typische menschliche psychische Schwächen – alles deutet darauf hin, dass Instinkte ((auch noch-so-blödsinnige)) sich ansammeln und sehr, sehr, sehr langlebig sind.

Dass es einen Übergang von einem Instinkt-basierten zu einem „sozial konstruierten“ Rollenverhalten gegeben hat ist also schon deshalb zweifelhaft, weil das Wegfallen von Instinkten, noch dazu in evolutionsbiologisch gesehen eher kurzer Zeit, so unrealistisch ist. Warum sollte auch ein Instinkt wegfallen, der durch die soziale Tradierung des Rollenverhaltens kontinuierlich gestärkt und bestätigt wird? Müsste sich dieser Instinkt nicht immer weiter ausprägen und sich neurobiologisch immer tiefer in der menschlichen Psyche verankern, anstatt abgeschwächt zu werden?

Aber mal angenommen, es gäbe diesen Übergang von instinktbasiertem zu sozial konstruierten Rollenverhalten tatsächlich, und das instinktive Rollenverhalten wäre wirklich auf dem Rückzug; woher wüsste man dann, dass dieser Übergang schon abgeschlossen ist? Oder dass er jemals abgeschlossen sein wird? Wie könnte man feststellen, dass das Instinkt-basierte Verhalten ausreichend abgebaut ist, so dass die Ideen des Gleichheits- bzw. Gender-Feminismus zur „Aberziehung“ der Geschlechterrollten realistischerweise umsetzbar sind?

Und widerlegen nicht zahlreiche Experimente mit Säuglingen und Neugeboreren, die bereits geschlechterspezifisches Verhalten zeigen, die These, dass die Instinkte keine Rolle mehr spielen?

Das sind alles Fragen, die ich gerne von Gleichheits-Gender-Feminismus-Expert_*innen beantwortet hätte. Vielleicht gibt es ja überzeugende Antworten. Aber ich habe noch keine gehört oder gelesen.

Bis dahin bleibe ich also Differenz-Feminist :-)