Konfliktlinien in der Piratenpartei

Die unvergleichliche Esmeralda schreibt in einem versöhnlichen Beitrag, es gelten die Konfliktlinien in der Piratenpartei zu benennen.

Also gut ich greife mal drei raus und erkläre, warum hier argumentieren nicht helfen wird:

  1. Atomkraft

    Hier gibt es zwei Meinungen. Die eine Seite hält die Atomkraft für technisch nicht beherrschbar, und den möglichen Schaden, den man als Produkt von Schadenshöhe und Schadenswahrscheinlichkeit berechnen kann, als größer als den wahrscheinlichen Nutzen.
    Die andere Seite glaubt, durch technische Verbesserungen könne man die Atomkraft beherrschbar machen und das Problem des Atommülls beseitigen, z.B. mit Reaktoren der vierten Generation, die aus Barium, Thorium etc. wieder Kernbrennstoff erbrüten können.
    Hier gibt es keine Kompromissmöglichkeit; ob man der Technik vertraut oder das Risiko fürchtet ist am Ende eine Bauchentscheidung und Glaubensfrage.

  2. Frauenquote/Gender

    Die Frage, ob man eine Frauenquote braucht, hängt letztlich davon ab, wie man Gerechtigkeit definiert und welche Metrik man nutzt, um „Gerechtigkeit“ zu messen.
    Die Gegner von Frauenquoten argumentieren, Frauen hätten andere Interessen als Männer, und schon allein daraus erklärten sich große Teile der Ungleichverteilungen in bestimmten Berufsgruppen. Außerdem könne man von Ungleichverteilungen nicht auf Ungerechtigkeit schließen, und wenn man eine Art „Gesamt-Geschlechter-Vereilungs-Gerechtigkeit“ betrachten wolle, müsste man nicht nur die Berufsgruppen betrachten, wo viele Männer gut bezahlte Jobs haben (Aufsichtsräte) und wo viele Frauen schlecht bezahlte Jobs haben (Kassiererin), sondern auch die Berufsgruppen wo viele Frauen gut bezahlte Jobs haben (Ärztin, Richterin) und wo viele Männer schlecht bezahlt Jobs haben (Paketzusteller).
    Die Befürworter der Frauenquoten argumentieren, Frauen hätten durchschnittlich schlechter bezahlte Jobs als Männer, und hätten noch immer weniger Zugang zu guten Jobs. Diese (behauptete) Tatsache sei ein Beleg für die Ungleichbehandlung der Geschlechter, denn es gebe keine neurobiologischen oder andere Unterschiede zwischen Männern und Frauen, die sonst als Erklärung für diese Ungleichheit dienen könnten.
    Hier gibt es also zwei unterschiedliche Weltsichten entlang der Grenze von Differenz- und Gleichheitsfeminismus. Wenn Frauen und Männer gleich sind, dann kann man aus der gruppenweisen Ungleichverteilung auf eine Ungleichbehandlung und Ungerechtigkeit schließen, und von einer ungerechten Gesellschaft ausgehen, die Frauen benachteiligt. Wenn aber Frauen und Männer verschieden sind und/oder man an die Eigenverantwortlichkeit von Individuen glaubt, dann sind Ungleichverteilungen möglicherweise Folge geschlechtsspezifischer und/oder individueller Präferenzen und Frauen und Männer mit schlechten Jobs vielleicht einfach individuell selbst verantwortlich für ihre Berufswahl.
    Hier kann es keinen Kompromiss geben, weil die Meinungen auf verschiedenen Prämissen über die Beschaffenheit von Frauen und Männern und/oder über das Wesen von Eigenverantwortlichkeit beruhen. Libertäre werden nie auf die Idee kommen, Frauen wären für ihre Berufswahl nicht verantwortlich. Differenzfeministen werden immer behaupten, Frauen würde von Natur aus lieber soziale Berufe ergreifen oder die Familie über die Karriere stellen. Und Gleichheitsfeministinnen setzen die Gleichheit der Geschlechter einfach voraus, und schließen von dieser Basis aus gesehen logischerweise aus Ungleichverteilungen auf Ungerechtigkiet.

  3. SMV/Online-Wahl

    Die Befürworter von ständiger Mitgliederversammlung oder Online-Wahl sehen viele Vorteile in der Möglichkeit, Online zu wählen. Dieses Mittel, dass ständige basisdemokratische Abstimmungen ermöglicht sehen sie als revolutionäre Innovation, die wirkliche Demokratie („Herrschaft des Volkes“) wieder möglich macht. Dass dabei die Möglichkeit bestünde, Datenbanken über Wahlentscheidungen anzulegen, sehen sie als nicht kritisch, ebenso wenig, dass eine Online-Wahl nie gleichzeitig frei, geheim und gleich sein kann.
    Die Gegner von Online-Wahlen argumentieren, eine ständige Wahl würde zu einer Art Wahlverdrossenheit führen; dass jeder immer sofort allein abstimmen könne, verhindere möglicherweise eine Auseinandersetzung mit Gegenargumenten; und das Problem von Datenschutz bzw. Wahlmanipulation sei so schwerwiegend, dass es nicht hinnehmbar sei.
    Die verschiedenen Positionen basieren auch hier wieder auf verschiedenen Menschenbildern. Das eher positive Bild des Bürgers, der sich infomiert und gern an allen Entscheidungen teilnimmt oder seine Stimme kompetent delegiert herrscht auf Seite der Befürworter vor. Außerdem geht man hier anscheinend von redlichen und neutralen Wahlauswertern aus, so dass Manipulationen oder Indiskretionen, wie von den Gegnern befürchtet, auszuschließen seien.
    Auf Seiten der Gegner das eher negative Bild des Menschen als träges, fehlerhaftes, egoistisches Wesen, dass durch Verfahren und Prozesse dazu gebracht werden muss, sich zu informieren und zu wählen, und gehindert werden muss, zu betrügen oder Daten zu missbrauchen.
    Auch hier kann man durch Diskussionen nichts erreichen: Entweder man vertraut auf das Gute im Menschen und dessen Willen und Fähigkeit zu politischer Mitwirkung, und glaubt an einen Erfolg einer SMV ohne Pannen, Skandale, Missbrauch, oder man ist eher skeptisch bezüglich der Eigenschaften von Menschen und will daher lieber ein System, dass Missbrauch ausschließt und durch das Verfahren eine Auseinandersetzung mit dem Thema vor der Abstimmung erzwingt. Hier sind wieder unterschiedliche Welt- bzw. Menschenbilder und Prämissen Grundlage der Konflikte, die man durch Diskussion nicht ändern kann.

6 Gedanken zu „Konfliktlinien in der Piratenpartei

  1. LoMi

    Aus Wählersicht hätte ich einige Anmerkungen: Die Piraten sind für mich im Zusammenhang mit den Zensursula-Protesten 2009 interessant geworden. Angesichts des Ausmaßes der NSA-Überwachung hätten sie immer noch interessant sein müssen. Das entscheidende Thema für mich ist das der Bürgerrechte und der Demokratie. Das war auch für die Piraten einst zentral. Und es ist nach wie vor so, dass dieses Thema zu wenig bis gar keine politische Heimat hat. Die „Altparteien“ begreifen die Tragweite dieses Themas nicht.

    Ich kann daher nicht so ganz begreifen, warum das Thema Atomkraft eine Rolle spielen sollte. Das ist gut bei SPD, Grünen und Linken aufgehoben. Für die Piraten kann dies eigentlich nur ein Randthema sein. Insgesamt finde ich als Piratenwähler diesen Drang nach Vollprogramm sehr irritierend. Gleiches gilt für Genderfragen. Nun wird man meinem Blog schnell entnehmen können, dass ich feminismuskritisch bin. Aber davon abgesehen halte ich das einfach ebenfalls für ein Randthema. Auch hier haben SPD, Grüne und Linke längst das Feld für sich reklamiert. Dafür braucht man keine eigene Partei und erst recht keine neue.

    Eine neue Partei hat es gebraucht, weil die Etablierten zuviele Kompromisse in Sachen Bürgerrechte eingegangen sind, wenn sie nicht gar auf Law and Order umgeschwenkt sind wie die SPD. Hier klafft eine große Lücke in der bundesdeutschen Parteienlandschaft. Atom und Gender dagegen sind politischer Mainstream.

    Was SMV/Online-Wahl angeht: Es wird Zeit, dass sich die Piraten professionalisieren. Dies betrifft auch kollektive Entscheidungen, die unter den Bedingungen idealer Basisdemokratie schlecht bis gar nicht funktionieren. Das lehrt der Blick in die Geschichte der Grünen und ihrer Versuche der Basisdemokratisierung. Die Gefahr des Missbrauches finde ich auch erheblich und es ist schon spannend, dass gerade bei den Piraten da einige so bedenkenlos sind in Sachen Datenschutz. Ich würde es mit der Revolution nicht übertreiben. Es ist am Ende besser, etwas mehr „normale Partei“ zu werden, dafür aber umso schlagkräftiger die wesentlichen Themen zu vertreten.

    Ein für mich wesentliches Problem ist dann noch die Austragung internen (eher persönlichen) Streits über Twitter und Blogs. Schlimmer geht es nicht, das ist Selbstzerlegung pur. Die Piraten müssen diesbezüglich erwachsen werden.

    Unter dem Strich bleibt für mich aber: Die Piraten werden gebraucht. Dringend!

  2. janndh

    Der Konflikt bei der Atomkraft ist emotional geladen.

    Sollten die Proaromleute argumentativ, faktisch und wissenschafftlich nachweisen das es in der Version Sicher geht, dann hab ich nichts dagegen.

    Als kriterium ob die Risiken beherrschbar sind sollte gellten: würde ein solches Werk Technikum eine umfassende bezahlbare Haftpflichtversicherung bekommen können? Wenn die Münchner Rück dafür eine Versicheru g anbieten würde, dann kann mans machen.

    Zur Quote,
    Menschen sind unterschiedlich.
    Und eben nicht gleich.
    Geschlecht ist eine Eigenschaft, keine Qualifikation.
    Deswegen sind Qouten abzulehnen. Ansonsten: ich fordere Qouten für rothaarige Menschen, ich seh im Alltag eindeutig mehr rothaarige als in hohen Positionen vertreten sind,
    /scherz beiseite/
    Qoute? Ja bitte, 100% kompetenz für $job.

    Zur Smv
    Kann man machen, aber nur für dinge die wir auch auf einem BPT per handzeichen abstimmen.

    Die Gesinnungsdatenbank, das muss ja noch nichtmal aus dem inneren kommen, allein die Möglichkeit das es möglich wäre so was aufzubauen ist ein Argument das eine Generelle Smv ganz schlecht ist.

    Grundsatzentscheidungen, bei denen zurecht auf geheime wahl gepocht wird kann man nicht elektronisch sicher abbilden.

    Für alle Smv Fans: Ich soll allen ernstes einen Wahlcomputer benutzen?

    Aber es gibt Situationen wo eine rein elektronis he nachvollziebahre Wahl sinnvoll ist.
    Bei eitscheidungen der Abgeordneten.
    Ein Abgerdneter ist zwar nur seibem Gewissen verplichtet, aber es ist wichtig zu wissen wie mein lokaler Bundestagsabgeordneter abgestimmt hat.
    Abgeordnetenwatch ist ein guter Anfang, aber für mandatsträger denke ich darf keine geheime wahl möglich sein.

  3. Radbert Grimmig

    Sind jetzt alles nicht so die entscheidenden Konfliktlinien.

    Die Atomenergie-Befürworter von der Nukularia sind eine verschwindende Minderheit innerhalb der Piratenpartei und wären völlig unbedeutend, wenn sie sich nicht deutlich besser als die „offiziell“ Beauftragten auf Öffentlichkeitsarbeit verstünden.

    Die Feministen beuten die mangelnde politische Bildung der breiten Masse bei den Piraten aus, die sich aus Unkenntnis einreden lassen, das sei das gleiche wie der Kampf für Frauenrechte. und es ist schon auffällig zu beobachten, wie die Hardcore-Feministen bewährte Opferrollen-Taktiken aus den 70ern übernehmen, sobald es irgendwie gegen die Anarcho-Splittergruppe geht.

    Und die Sache mit der SMV ist in der Form längst entschieden. Man muss nur das Geschick des Landesverbands Berlin verfolgen, dessen Basis im Kielwasser der Einführung seines Delegiertensystems mit Gesinnungsdatenbank auf inzwischen weniger als drei Dutzend aktiver Basisgurken zusammengeschmolzen ist.

  4. mitm

    „Die Gegner von Frauenquoten argumentieren, …“

    … noch mit diversen weiteren Argumenten, hier ist eine detaillierte Behandlung des Themas. Man muß nämlich unterscheiden zwischen Frauenquoten in politischen Ämtern, lukrativen Berufen und anderen Anlässen. Die Argumente und Gegenargumente sind jeweils deutlich verschieden.

    „Hier gibt es also zwei unterschiedliche Weltsichten entlang der Grenze von Differenz- und Gleichheitsfeminismus.“

    Schön wär’s, wenn sich die Quotenbefürworter wenigstens auf einen Standpunkt einigen könnten. Wenn man die pro-Quote-Argumentationsketten genauer durchleuchtet, macht man die erstaunliche Feststellung, daß teilweise innerhalb einer einzigen Argumentationskette abwechselnd von der Existenz und der Nicht-Existenz von statistisch relevanten, biologisch begündeten Verhaltensunterschieden ausgegangen wird (s. Feministisches Doublespeak im Zusammenhang mit Frauenquoten). Kurz gesagt: bei ihrem Aufstieg durch die Unternehmenshierarchien verhalten sich Frauen (theoretisch, gemäß Gleichheitsfeminismus) exakt wie Männer und theoretisch müßten oben anteilig genausoviele Frauen ankommen wie Männer. Einmal oben angekommen verhalten sich Frauen schlagartig anders als Männer (gemäß Differenzfeminismus), denn gerade die Diversität von Frauen und Männern steigert den Erfolg des Unternehmens.

    Betrachtet man die Gesamtmenge aller Argumente, die von feministischen Akteuren aus unterschiedlichen Denkschulen zugunsten von Frauenquoten vorgebracht werden, geht es erst recht kunterbunt durcheinander.

  5. stefanolix

    Die Gegner der elektronischen Abstimmung in einer permanenten SMV sind i. d. R. deckungsgleich mit den Gegnern der Wahlcomputer. Das entscheidende »Menschenbild« für das Gegenargument ist: Wenn die Handlungen der Menschen an den Schalthebeln nicht kontrollierbar sind, wird es irgendwann Machtmissbrauch geben. Allein die Möglichkeit des Machtmissbrauchs wird die Parteimitglieder (Wähler) im Zuge einer Selbstzensur davon abhalten, so abzustimmen, wie sie wirklich denken – oder sie werden der Wahl den Rücken kehren. Fazit: In einer demokratischen Partei darf es keine Wahlcomputer geben. Punkt.

  6. soulless

    4 Demokratie / Kapitalismus

    Die Einen sehen Demokratie als eine Brückentechnologie und den Kapitalismus an sich als die Ursache aller Probleme und wollen das System komplett ändern. Die Anderen sehen Demokratie als die schlechteste aller Regierungsformen abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind und nicht den Kapitalismus an sich als Ursache aller Probleme sondern nur die Auswüchse und wollen nur Stellschrauben verändern.
    Auch hier kann man mit Diskussion nichts erreichen: Entweder man glaubt an das Gute im Menschen und meint alle Menschen könnten ohne staatliche Strukturen und Leistungsanreize glücklich und zufrieden miteinander leben oder man glaubt das der Mensch in erster Linie durch Egoismus angetrieben wird und es darum Leistungsanreize und staatliche Strukturen benötigt damit Menschen überhaupt in einer Gesellschaft zusammenleben können ohne sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen.

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