Pegida, Lebenslügen und die Mediendemokratie

Die ARD hatte neulich eine Woche der Toleranz ausgerufen. Alles war auch irgendwie super im Staate Deutschland und wir fühlten uns alle sehr vorbildlich und weltoffen, bis dann plötzlich Pegida auf der Matte stand. Grund genug für mich, einen länger rumliegenden Artikelentwurf zu beenden:

Toleranz funktioniert als Dogma oder Maxime nicht besonders gut, denn zumindest Toleranz gegenüber Intoleranz kann es nicht geben, soll die Toleranz obsiegen, und daher ist es mit der Toleranz wie mit allen anderen Dingen: Ob Toleranz Sinn ergibt, kommt auf den Kontext an. Toleranz darf nicht laissez-faire sein, sondern muss eine gesellschaftlich befriedende Wirkung haben; das ist jedenfalls mein Verständnis von der „richtigen“ Toleranz.

Allerdings ist es mit der Toleranz in Deutschland meiner Meinung nach nicht weit her. Zumindest nicht so weit, wie Politiker es gern behauptet haben, in Sonntagsreden über das Einwanderungsland Deutschland.

Als Wulff „Der Islam gehört zu Deutschland“ gesagt hat war das meiner Ansicht nach ein Höhepunkt konservativer Pseudo-Toleranz, ein kalkulierter, von einem Ghostwriter ausgedachter Satz, der dann doch etwas zu dick aufgetragen war, so dass das konservative Lager seinem eigenen „ersten Bürger“ nicht mehr so richtig folgen wollte.
Und zu dick aufgetragen mit der behaupteten Toleranz wir meiner Meinung nach nicht nur bei den „Rechten“.

Auch die „linke Toleranz“ ist meiner Ansicht nach kaum vorhanden. Klar, auf Toleranz und Weltoffenheit glaubt man links der Mitte eine Art Monopol zu haben, aber Kopftücher und Schächten sieht man als Linker natürlich auch ungern, und es wäre auch schön, wenn „Zugereiste“ am Veggie-Day kein Fleisch essen, Öko-Strom kaufen, und ihre Rollenbilder gendergerecht transformieren würden. Heißt also: Die Neuankömmlinge sollen sich gefälligst integrieren. Und Integrieren ist wiederum nur ein Euphemismus ist für das, was man rechts der Mitte als „sich der deutschen Leitkultur anpassen“ bezeichnen würde. Nur darf man das böse Wort Leitkultur unter Linken natürlich nicht sagen!

Aber eine Vorstellung von einer am Ende doch überlegenen, fortschrittlichen deutschen sozialen humanistischen pluralistischen und feministischen Leitkultur, die der konservativen Vorstellung so einer Leitkultur sehr ähnlich ist, existiert natürlich auch auf Seite der Linken, was auch von den ganz ganz linken „Antideutschen“ immer so schön kritisiert wird. Aber das eine Leitkultur-Idee auf linker Seite existiert, wird natürlich verleugnet, schon allein, weil man dann auf der rechten Vorstellung einer Leitkultur herumhacken kann, obwohl das am Ende ebenso durchschaubar wie lächerlich ist. Die linke „Toleranz“ ist also ein rein taktisches Manöver, um „links-sein“ als „irgendwie weniger spießig als konservativ“ zu re-framen.

Auch die Medien haben IMHO ein taktisches Verhältnis zu Weltoffenheit und Toleranz. Mal schüren sie Angst vor Fremden, mal berichten sie besorgt über die Fremdenfeinlichkeit. Mal geben sie sich staatstragend, mal denken sie an Auflage, Verbreitung, Einschaltquoten und Klickzahlen.

Will heißen: Die Medien verhalten sich völlig irrational und pendeln zwischen eitler Selbstinszenierung als Musterdemokraten und reinem Streben nach Marktanteilen.

Ich halte fest – ohne jetzt eine Idee zu haben, wie man alles besser machen könnte, sorry – dass sich sowohl die Medien als auch die Politik, Rechte und Linke und Liberale, Lebenslügen mit sich herumschleppen und diese aggressiv verteidigen, und dass in dieser Kultur des Gegeneinander keine konstruktive Debatte in Gang kommen kann.

Fragen, Probleme, Erwartungshaltungen, Prämissen, nichts kommt in unserer Gesellschaft mehr offen auf den Tisch, weil es einfach keine Diskussionskultur gibt, die zulassen würde, bestimmte Dinge mal grundsätzlich zu klären. Bundestagsdebatten gibt es nicht mehr, nur noch runterleiern von Reden, die für eventuell zuhörende Fernsehzuschauer geschrieben sind, und nicht für den politischen Gegner, denn die Mehrheiten sind ja dank „Frationszwängen“ eh klar und das ganze Gerede im Bundestag ist nur noch Show.

Aber es gäbe eben Dinge, die mal debattiert und geklärt gehören würden.
Zum Beispiel, ob es nicht insgeheim doch eine (Leit-)Kultur gibt, oder Grundwerte, die wir durchsetzen wollen, und wenn ja, wie die aussieht, was diese Grundwerte sein sollen.

Vielleicht könnte man sich ja auf bestimmte Dinge einigen, wie die Ablehnung von Todesstrafe, Folter und Angriffskrieg, möglicherweise auch noch Religionsfreiheit, Selbstimmung und Sozialstaat, Recht auf Abtreibung für Frauen und Recht auf körperliche Unversehrtheit sogar für kleine Jungen mit religiösen Eltern vielleicht, und vielleicht viel später dann noch auf Netzneutralität und Datenschutz. Da hätte man dann ein paar Sachen zusammen, bestimmt auch mit vielen „linken“ Positionen dabei, und die könnte man dann doch als eine Art kulturellen Grundkonsens bezeichnen, den dann auch Linke nicht ausländerfeindlich finden müssten.

Aber dieses blöde mit-dem-Finger-auf-andere-zeigen und Beleidigungen raushauen müsste halt vorher aufhören. Vielleicht würde es reichen, wenn im öffentlich-rechtlichen Rundfunk tatsächlich Debatten gezeigt würden, und nicht immer nur 60-Minuten-„Talks“ mit den immer gleichen Akteuren, die gar keine Lösungen erarbeiten wollen, sondern nur ihre immer gleichen „Gegner“ schlechtaussehen lassen.